Wie kommt es eigentlich, dass Sie EKD-Synodale werden? Und freuen Sie sich auf diese Aufgabe?
Gesche Joost: Ja, ich bin sehr gespannt! Ich wurde zur Mitarbeit eingeladen. Das hing mit meinem Vortrag auf der letzten Synode (in Dresden 2014) zusammen, bei dem das Thema "vernetzte Kommunikation/digitales Zeitalter" im Zentrum stand. Dieses Thema stellt uns als Gesellschaft vor ganz neue Herausforderungen. Mich interessiert, welche Wertediskussionen durch die Digitalisierung angestoßen werden, wie man Teilhabe fördern und Gemeinschaften unterstützen kann und wie wir zu einer inklusiven Gesellschaft werden. Das ist wohl der Hintergrund, warum ich eingeladen wurde, in der Synode mitzudiskutieren.Ihre beruflichen Themenfelder sind Design, Internet, Mensch-Maschine-Interaktion. Braucht die Evangelische Kirche in Deutschland jemanden wie Sie?
Joost: Die Themen sind sicherlich wichtig. Denn im Netz findet man auch andere Formen, wie man Gemeinschaft gestaltet, wie man zusammenfindet, auch wie man sich engagiert und diskutiert. Und das sind wichtige Impulse, die für eine fortwährende Weiterentwicklung der kirchlichen Gemeinschaft gebraucht werden. Und andererseits werfen auch viele Technologiethemen wichtige ethische Fragen auf, die im Rahmen der Synode diskutiert werden sollten. Ich bin ja auf der einen Seite politisch aktiv, auf der anderen Seite habe ich als Professorin an der Universität viel mit der jungen Generation zu tun. Deren Denkweise mit einzubringen, ist für mich eine interessante Aufgabe.
Welche Technologie-Themen meinen Sie zum Beispiel, die ethische Fragen aufwerfen?
Joost: Wenn von Mensch-Technik-Interaktion die Rede ist, hat man ja schon seit mehreren Dekaden die Diskussion: Wo sind Grenzen der Technologieentwicklung? Werden jetzt alle zu Cyborgs? Gibt es noch Grenzen zwischen "Mensch" und "Technik"? Daran knüpfen sich Fragen an: Was für ein Menschenbild legen wir der Technologieentwicklung zugrunde? Wir brauchen meiner Ansicht nach ein inklusives Gesellschaftsbild, auch in der Technologiegestaltung. Denn im Moment vertiefen wir vielfach die Gräben in der Gesellschaft. In der Technologie-Entwicklung gehen wir zu häufig nur von den kompetenten, fitten, gesunden jungen Leuten aus. Aber wir sollten viel stärker darauf achten, wer im Moment in der Gesellschaft zu wenig berücksichtigt wird, und die sollten im Zentrum von Fortschritt und Innovation stehen. Die Gesellschaft ist vielfältig, daher sollten wir Ältere, Menschen mit Behinderungen, Frauen, Familien, ganz unterschiedliche Bürgerinnen und Bürger einbeziehen und gemeinsam überlegen, wofür wir Technologien einsetzen wollen.
"Eine schwache Flanke des Protestantismus zeigt sich … in dem Reflex, neue Technik suspekt zu finden", das ist ein Zitat von Bernd-Michael Haese*. Stimmen Sie zu?
Joost: (Lacht.) Ja, da könnte ich zustimmen. Ich glaube auch, dass man nicht reflexartig denken sollte: Das ist kalte Technik und das ist suspekt. Wir sollten genau hinschauen: Wozu nutzen wir die neuen Werkzeuge? Wie können wir dafür eine Wertebasis formulieren, die grundlegend für technologische Entwicklungen sein könnte? Im Netz gibt es zum Beispiel die Open Source Community – eine Gemeinschaft, die den freien Zugang zu Wissen gestaltet, Teilhabe an Technologie-Entwicklungen ermöglicht und den Bauplan offenlegt. Diese Gemeinschaft ist ein gutes Beispiel für eine Wertebasis in der vernetzten Gesellschaft.
Bedeutet das aus Ihrer Sicht, dass Mitarbeitende in der Kirche – Pfarrerinnen, Pfarrer und auch andere – ihre Kenntnisse in Technik, Informatik und Internet erweitern müssen?
Joost: Es ist sinnvoll, aufmerksam zu verfolgen, was im Netz diskutiert und technologisch entwickelt wird, und sich dann in die Diskussion einzubringen. Nicht jede und jeder muss programmieren lernen – auch wenn das nicht schadet – aber die Kirche sollte die aktuellen Entwicklungen begleiten. In der Auseinandersetzung um Google Glasses zum Beispiel: Was sind aus Sicht der Kirche kritische Aspekte? Gibt es durch diese Entwicklungen auch Chancen für die Gesellschaft? Welche Gefahren der Ausgrenzung von Menschen ohne technologische Kenntnisse sind auszumachen und wie positioniert sich die Kirche dazu?
"Eine große Frage ist für mich: Wie erreichen wir die junge Generation?"
Die "Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft" war Thema der letzten Synode (2014 in Dresden). Was sollte die evangelische Kirche dabei anders oder besser machen?
Joost: Die Herausforderung ist in meinen Augen, die Themen und Botschaften in den Alltag zu übersetzen. Teilen ist zum Beispiel ein wichtiges Thema im Internet – das Teilen von Wissen, aber auch von Wohnräumen, Autos oder Werkzeugen in der Nachbarschaft. Zu Teilen ist ein urchristlicher Wert. Eine solche Übersetzungsleistung ist heute eine große Aufgabe, um die Botschaften erneuern zu können und um gleichzeitig für viele Menschen neue Brücken zu bauen, um an die christlich-abendländische Kultur anknüpfen zu können. Über solche Themen kann man mit Jugendlichen kritisch diskutieren: Was bedeutet "Teilen" und "Teilhabe" im digitalen Zeitalter? Geht es allein um eine Ökonomisierung der letzten privaten Bereiche, oder geht es um ein wiederentdecktes Miteinander, um eine starke Gemeinschaft durch soziale Netzwerke?
Auch das Thema Lebensmittelverschwendung ist bei vielen, gerade jungen Menschen, wichtig. Auch hier kann sich die Kirche einbringen, in sozialen Netzwerken mitdiskutieren und dazu Gesprächsangebote machen. So würde man junge Menschen dort abholen, wo sie sich engagieren, und gleichzeitig von ihren Ideen lernen. So gibt es viele Kochgemeinschaften, die sich online verabreden, um regelmäßig die übrig gebliebenen Lebensmittel zu einem gemeinsamen Abendessen zu nutzen – auch eine Form des Teilens, der Wertschätzung von Lebensmitteln, und der Gemeinschaft. Das sind vielfältige neue Formate, an die die Kirche anknüpfen kann.
In der Synode kommen ja dann auch andere Themen und kirchliche Debatten auf Sie zu – Was erwarten Sie an Neuem für sich selbst? Worauf sind Sie neugierig?
Joost: Vor allem bin ich gespannt, wie die Themen diskutiert werden. Ich bin eher ein alltagspraktischer Mensch, und mich interessiert Begleitung für alltägliche Fragen und die notwendige Übersetzungsleistung. Und eine große Frage ist für mich: Wie erreichen wir die junge Generation? Wie können wir Begeisterung schaffen und viele mit einbeziehen? Diese Aspekte möchte ich mit einbringen.
(*Bernd-Michael Haese, Hinter den Spiegeln. Kirche im virtuellen Zeitalter des Internet, Stuttgart 2006., S.12)