Harald Höppner, 41 Jahre alt und dreifacher Vater, lebt mit seiner Familie auf einem Hof im 300-Seelen Dorf Tempelfelde im Nordosten Berlins. Von sich selbst sagt er: "Ich bin eine echte Landratte." Die kommenden Monate wird der gut gelaunte, verstrubbelte und eher zweckmäßig gekleidete Brandenburger dennoch auf dem Meer verbringen.
Nachmachen ist erwünscht
Gesagt, getan: Im Dezember kauften Höppner und seine Freunde, darunter Kapitäne, Journalisten, Ingenieure, Anwälte und Pädagogen in den Niederlanden einen alten Kahn: 98 Jahre alt, 21 Meter lang und 180 Tonnen schwer. "Wir sind keine Millionäre", betont Höppner, der in Berlin zwei Geschäfte mit Kleidung, Möbeln und Krimskrams aus Asien und Südamerika sowie einen Internethandel betreibt, "ich habe dafür gespart." Der Kutter liegt im Hamburger Hafen und wird von Höppner und seinen Helfern seetauglich gemacht.
Am 19. April hat die Sea-Watch in Hamburg abgelegt, und im Mai steigt Höppner in Malta an Bord. Drei Monate lang reicht das Geld für das Projekt, dann sehen sie weiter. Alle zwei Wochen soll die Mannschaft der Sea-Watch wechseln. "Wir haben unglaublich viele Hilfsangebote." Derzeit brauchen sie aber noch Skipper, Kapitäne, Ärzte und Notfallsanitäter.
Drei Ziele hat das Projekt: Menschenleben retten, Öffentlichkeit herstellen und Nachahmer finden. Die Operation "Mare Nostrum", in der die italienische Küstenwache mehr als 130 000 Menschen gerettet hat, wurde unlängst von der EU ausgesetzt, um die Abschreckung auf See zu steigern. Als "Ersatz" wurde die Operation "Triton" ins Leben gerufen, um den Grenzübertritt zu erschweren. "Wir haben beschlossen, für die Humanisierung der Politik zu kämpfen. Gastfreundschaft soll wieder zu unserem Alltag gehören. Es muss dringend eine Seenotrettung aufgebaut werden. Die EU ist nicht willens dazu. Deshalb ergreifen wir die Initiative", heißt es von Bord der Sea-Watch.
Die EU in die Pflicht nehmen
Harald Höppner und seine Freunde können mit ihrem 21-Meter Kutter natürlich nicht Tausende von Flüchtlingen aus Seenot retten. Allerdings werden sie die bekannten Wasserstraßen kreuzen, um Flüchtlingsboote in Not aufzuspüren und die Seenotrettung zu alarmieren. Auf einem Schrottplatz für Schiffe in Dänemark entdeckten sie acht gebrauchte Rettungsinseln für je 60 Schiffbrüchige, aus China bestellten sie eintausend Rettungsringe und kauften eine Satelitenanlage. "Wir wollen die offiziellen Stellen in Europa in die Pflicht nehmen, indem wir Neuigkeiten vom Meer live übers Internet und per Telefon bekannt machen. Wir haben nur ein kleines Schiff, mit dem wir versuchen, unseren Teil zu leisten und so viele Menschen wie möglich durch unsere Anwesenheit zu retten und die Informationslücke zwischen Bootsflüchtlingen und Zivilgesellschaft schließen", sagt Höppner.
Sein Projekt soll vor allem auf die Folgen der Abschottungspolitik der Europäischen Union und der EU-Grenzschutzbehörde Frontex aufmerksam machen, die seit dem Jahr 2000 über 20 000 Asylsuchenden an den Außengrenzen Europas das Leben kostete. Höppner betont, dass er weder kirchlich noch politisch engagiert sei. "Unser Engagement ist rein menschlich. Die Sache ist doch ganz simpel: Wir dürfen die Menschen nicht ertrinken lassen. Wenn ich das jetzt nicht mache, würde ich es mein Leben lang bereuen." Mit seiner Familie ist er viel durch die Welt gereist und hat "viel Gastfreundschaft, Interesse und Offenheit für uns und unsere Kultur und Lebensweise erfahren." Wie der Sea-Watch Einsatz im einzelnen ablaufen wird, ob Flüchtlinge versuchen werden, seinen Kutter zu entern oder er und sein Team gar eventuell wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung angezeigt werden könnten, steht in den Sternen. Wegschauen kann er schon lange nicht mehr. "Unsere Aktion ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber wir wollen damit andere Menschen ermutigen, selbst zu handeln. Wir werden allen, die uns fragen, unsere Erfahrungen zu Verfügung stellen!"
Mehr Eindrücke von der "Sea Watch" in unserer Bildergalerie.