Eine gewisse Art zu Lächeln

Ishkhan Shahinian
Foto: Cornelia Kurth
Ishkhan Shahinian ist ein begabter Dolmetscher und arbeitet im Flüchtlingslager Friedland
Eine gewisse Art zu Lächeln
Wie ein junger Dolmetscher im Lager Friedland die Menschen aufmuntert
Bibo Khudeda ist ein jesidischer Geschäftsmann und stammt aus dem Irak. Er floh vor dem "Islamischen Staat" und rettete sein nacktes Leben. Im Flüchtlingslager Friedland in Niedersachsen traf er den Dolmetscher Ishkhan Shahinian, halb so alt wie er selbst und doch mit mehr Erfahrung in Deutschland. Cornelia Kurth schildert, wie sensibel der Jüngere die Geschichte des Älteren übersetzt.

Kaum stellt Dolmetscher Ishkhan Shahinian die erste Frage nach Namen und Beruf des zunächst still und bedrückt wirkenden Flüchtlings aus dem Irak, da kommt Leben in Bibo Khudeda. Er beginnt zu sprechen, schnell, mit lebhaften Armbewegungen und - voller Vertrauen, so scheint es. Dabei ist der Dolmetscher erst 26 Jahre alt und sieht noch um einiges jünger aus, während Bibo Khudeda fast 50 Jahre alt ist und trotz seiner hilfsbedürftigen Situation im Grenzdurchgangslager Friedland die Ausstrahlung eines Mannes von gesellschaftlicher Bedeutung hat. Er war ein wohlhabender Geschäftsmann in der irakischen Stadt Mosul, die von den Terrortruppen des "Islamischen Staates" (IS) erobert wurde. Khudeda geriet zwischen alle Fronten und musste vor dem Tod fliehen.

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Angreifbar war er allein schon deshalb, weil er seine Firma für Alkoholika auch dann noch mutig weiterführte, als sunnitische Extremisten im Jahr 2006 die eigentlich so interkulturelle Stadt Mosul zur Hauptstadt des neuen "Islamischen Emirats Irak" erklären wollten. Der zweite Punkt war der, dass er ein kurdischer Jeside ist, ein Ungläubiger ohne Daseinberechtigung also in den Augen der Mitglieder des "IS", die Mosul in diesem Sommer übernahmen. Und zudem trägt er auf seinem Arm das Tattoo eines christlichen Kreuzes, aus freundschaftlicher Solidarität zu den mindestens ebenso "ungläubigen" Christen. Alkoholhändler, Kurde, Jeside, Christenfreund - schon eines dieser Merkmale hätte gereicht, um ihn in größte Lebensgefahr zu bringen.

Zweimal wurde auf ihn geschossen - freimütig öffnet Khudeda sein Hemd, um die Narben zu zeigen - einmal entführte man ihn für vier Monate und ließ ihn erst gegen hunderttausend Dollar Lösegeld wieder frei. Immer hielt er an seinem Geschäft fest, weil er ja arbeiten, seine Familie versorgen und beschützen wollte, bis Christen und Jesiden so systematisch bedroht, verjagt, ermordet wurden, dass nur noch die Flucht blieb. Schlepper brachten ihn nach Deutschland, wo einige seiner Kinder bereits vor fünf Jahren Zuflucht fanden. Andere Mitglieder seiner Familie aber verstecken sich noch in einem Stadtteil von Mosul, ohne Geld, fast ohne Essen und ohne Chance, so sieht er es, jemals nach Deutschland nachzukommen.

Ein Mann weint nicht

Dolmetscher Ishkhan Shahinian hört sich diese dramatische Geschichte ruhig an. Wenn er Bibo Khudeda unterbrechen muss, um seiner Übersetzungsaufgabe nachzukommen, genügt eine gewisse Art zu Lächeln und ein kleines Nicken mit dem Kopf, um die lebhafte Rede des Irakers kurz zu stoppen, ohne ihn dabei aus dem Konzept zu bringen. Ishkhan Shahinian sieht so ungeheuer freundlich aus. Er, der im Jahr 2004 als 15-Jähriger mit seinen Eltern aus Syrien geflohen war, spricht arabisch und armenisch und dazu ein hervorragendes Deutsch, mit dem er beim Übersetzen in beide Richtungen auch feine Gesprächs- und Gefühlsnuancen rüberbringen kann.

Dolmetscher Ishkhan Shahinian im Gespräch mit dem Iraker Bibo Khudeda

Seit einem Jahr arbeitet Shahinian als Dolmetscher im Flüchtlingslager Friedland, unzählig sind die Schicksale, die er anhörte, in sich aufnahm, und für deutsche Ohren übersetzte. Dass er dabei so erfolgreich ist, dass die Flüchtlinge aus dem nahen Osten ihm vertrauen, ja sich ihm für einen Moment geradezu anvertrauen, es liegt nicht nur an seiner einfühlsamen und zugleich nüchternen Art, sondern auch daran, dass er einst ebenfalls ein Flüchtling war und nun anderen Menschen in Not zur Seite stehen kann.

"Zuerst war ich mir nicht sicher, ob das wirklich mein Job sein kann", sagt er. "Ich hatte so viel Mitleid, ich musste soviel über alles nachdenken, fast, als hätte ich das, was ich übersetzte, selbst erlebt." Inzwischen aber wisse er, wie man die Menschen aufmuntert, auch mal einen Witz macht und auf allerlei Art daran erinnert, dass sie jetzt immerhin in Sicherheit sind. "Das klingt vielleicht seltsam, wenn ich sage, es geht immer wieder um Aufmunterung, um ein Lachen", sagt er. "Aber genau darum geht es." Er erzählt von den Männern aus Syrien, aus dem Irak, die weinen müssen im Gespräch, und das sei schrecklich, denn ein Mann aus diesen Kulturen weint nicht, auf keinen Fall. "Und dann schaffe ich es irgendwie rüberzubringen, dass es nicht schlimm ist, sondern ganz normal." Nur er selbst, er weine niemals beim Dolmetschen. "Das darf nicht sein, dann könnten wir nicht mehr weitersprechen."

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Der irakische Kaufmann Bibo Khudeda weint ebenfalls nicht in diesem Gespräch. Es gelingt die Balance, dass er sich, so kurz das Interview auch nur sein kann, offensichtlich ernst genommen fühlt und in dieser öffentlichen Situation nicht die Kontrolle über seine Gefühle verliert. Dazu trägt auch der evangelische Pastor des Lagers Friedland, Martin Steinberg, bei. Als es um einen Sohn des Irakers geht, der in Mosul zurückbleiben musste, unterbricht Martin Steinberg und fragt nach Bibo Khudedas Plänen für seine Zukunft in Deutschland. Und siehe da, der Iraker lächelt und erzählt davon, dass er bereits als junger Mann im Saddam-Hussein-Regime von einem Leben in Deutschland träumte. "Ich will in Frieden leben", sagt er. "Ich will ohne Angst nach Hause kommen können. Ich will wieder mit meiner Familie zusammen sein."

"Man muss in die Zukunft blicken"

Für Ishkhan Shahinian ist es bereits so. Die Zeit der Angst und Verlorenheit liegt viele Jahre hinter ihm. Dabei sah der damals 15-Jährige zunächst nur wenige Hoffnungsschimmer. Monatelang lebte er mit seinen Eltern im Braunschweiger Lager für Flüchtlinge, ohne zur Schule gehen zu dürfen, ohne einen Sprachkurs zu erhalten, ohne einen Ansprechpartner für all seine Fragen zu haben. Zu deren dringlichsten gehörte, ob er wohl jemals, wie er es sich bereits als Schüler in Syrien ersehnt hatte, Medizin studieren könnte. Später dann konnte er doch die Realschule besuchen, bis er schließlich das Abitur nachholte und während eines Praktikums in Friedland als begabter Dolmetscher entdeckt wurde.

Dolmetscher Ishkhan Shahinian mit seinen Eltern Silva Keshkeshian und Hacus Shahinian

Sein Vater Hacus Shahinian und seine Mutter Silva Keshkeshian, beide Angehörige der armenisch-orthodoxen Kirche, arbeiten ebenfalls im Flüchtlingslager Friedland, er als Diakon, sie, ehemals Englischlehrerin, in der Kinderbetreuung. "Meine Eltern, vor allem mein Vater, sind mein großes Vorbild, wenn es um die Seelsorge geht", sagt Ishkhan Shahinian. "Meinen Vater kann ich immer um Rat fragen, er weiß, was in den Menschen aus Syrien und dem Irak vorgeht. Er lacht mit ihnen, weint mit ihnen, singt mit ihnen. Und in der Kapelle halten sich alle die Hände, egal, ob sie Moslems sind, ob Christen oder Jesiden."

Auch Bibo Khudeda besucht zweimal in der Woche die Kapelle, in der es für fast alle religiösen Ausrichtungen kleine Andachten gibt, und Gemeinschaftsandachten, wo die unterschiedlichsten Menschen friedlich zusammentreffen. "Ich weiß doch, dass es schrecklich traurig ist, was die Leute hier mit sich herumtragen", sagt Dolmetscher Ishkhan Shahinian. "Ich weiß es die ganze Zeit, man vergisst es nicht, und doch muss man in die Zukunft blicken. Ich jedenfalls versuche das zu vermitteln. Wenn ich anderen Menschen helfen will, muss ich stark sein, und das galt ja nicht nur für mich, auch für die Flüchtlinge gilt das."

Im April nächsten Jahres wird Ishkhan Shahinian ein Studium der Wirtschaftswissenschaft beginnen. Man kann nur wünschen, dass er - wie seine Eltern im Flüchtlingslager Friedland - Gelegenheit bekommt, anderen Menschen etwas von seinen Erfahrungen weiterzugeben.