Ein Bild von Bastian steht neben dem Adventskranz auf dem Tisch. Da ist er elf Jahre alt. Er sitzt vor dem Nachttisch im Krankenhaus und blickt ernst. Das Foto ist schon etwas vergilbt. Es wurde 1987 aufgenommen, in dem Jahr, in dem Bastian gestorben ist. "Das war im März, kurz vor seinem zwölften Geburtstag", sagt seine Mutter Uschi C. leise. Sie wohnt in der Nähe von Osnabrück. Seine letzten drei Jahre hat Bastian auf einer Kinderkrebsstation in Göttingen verbracht. "Das Herz beruhigt sich mit der Zeit", sagt Uschi C. "Man denkt nicht mehr pausenlos daran. Aber Weihnachten ist schwer. Da merkt man: Es fehlt einer."
Spürbare und schmerzliche Lücke
Weihnachten sei das Fest der Liebe und der Familie, sagt Carmen Berger-Zell, Initiatorin und verantwortliche Redakteurin der Internetplattform "trauernetz.de". "Wenn dann ein geliebter Mensch nicht mehr da ist, wird die Lücke noch spürbarer, noch schmerzlicher." Für das Angebot www.trauernetz.de kooperieren mehrere evangelische Landeskirchen und das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt.
Auf der Seite gibt es Gebete und Meditationen, Beratungsangebote, Gesprächsforen und Buchtipps. Trauer ist immer ganz individuell, sagt Berger-Zell, die auch Gemeindepfarrerin, Notfall- und Gefängnisseelsorgerin ist. Es gebe "kein richtig oder falsch", keine Zeitvorgabe, wann Trauer abgeschlossen sein sollte. Wer ein Kind verloren hat, für den ist es besonders schwer: "Da ist der Schmerz oft ein Leben lang zu spüren." An besonderen Tagen wie dem Geburts- und Todestag des Verstorbenen und eben an Weihnachten kommt er aber bei fast allen wieder an die Oberfläche.
Das erste Weihnachtsfest nach Bastians Tod war für Uschi C. am schlimmsten: "Ich hatte eine solche Angst davor." Sie hat noch drei weitere Kinder. Für die wollte sie wenigstens einen Baum schmücken, obwohl sie damals schon erwachsen waren. "Aber es sollte ein besonders hässlicher Baum werden. Denn ich war unglaublich wütend. Doch als ich fertig war, war es plötzlich der schönste Baum, den ich je geschmückt hatte."
Seitdem richtet sie jedes Jahr wieder einen Baum her - für sich alleine. Ganz ohne Weihnachten kann sie sich das Jahr nicht vorstellen. Ein fröhliches Fest wird es aber für sie nie wieder werden. "Da ist keine Innigkeit mehr."
Besondere Angebote von Kirchen
Nach den Erfahrungen von Berger-Zell wollen viele Trauernde über ihre Gefühle sprechen. Sie möchten über den Menschen reden, den sie verloren haben, über gemeinsame Erlebnisse. "Die, die nicht trauern, wollen aber gerade an Weihnachten davon oft nichts hören", sagt die Seelsorgerin. Andere Trauernde wiederum wollten allein sein, sich nicht zur Fröhlichkeit gezwungen fühlen.
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Viele haben keine Familie, die dies alles tragen und auffangen könnte. Fast drei Viertel der Deutschen leben allein oder zu zweit. Deshalb machen immer mehr Kirchen zu Weihnachten besondere Angebote. Heiligabend-Feiern für Alleinstehende gibt es in vielen großen Städten. Unter den Gästen sind oft Trauernde.
Im Internet finden Hinterbliebene spezielle Chat-Angebote zu Weihnachten. Gottesdienste für Trauernde sind relativ neu, bekommen aber immer mehr Zulauf, etwa in Berlin, Karlsruhe oder Ranstadt bei Frankfurt. In Selbsthilfegruppen wie den "Verwaisten Eltern" fühlen Trauernde sich unter Gleichgesinnten verstanden und geborgen.
Weihnachtsgottesdienst für Trauernde
Ähnlich sei es auch mit dem Berliner Weihnachtsgottesdienst für Trauernde, sagt Isolde Böhm, Superintendentin im Kirchenkreis Tempelhof in Berlin. Sie hat 2006 eine schon bestehende Tradition übernommen: An Heiligabend wurde zur Mittagszeit in der Friedhofskapelle St. Lukas/St. Simeon immer ein Gottesdienst für trauernde Menschen gefeiert. "Es kamen Menschen, die sich vor ungebrochener Fröhlichkeit fürchteten. Die wollten kein Weihnachten mit Lametta und Krippenspiel. Die wollten weinen dürfen."
Die Zahl der Besucher stieg von Jahr zu Jahr. Diesmal findet der Gottesdienst erstmals im Raum der Stille des Vivantes-Wenckebach-Krankenhauses statt. Die Weihnachtsgeschichte wird gelesen, ein Tannenstrauß sparsam geschmückt, sagt die Superintendentin. "Dabei herrscht hoffentlich die Gewissheit, dass Gott mit uns auch das Traurige lebt." Zum Schluss bekommt jeder eine weiße Grableuchte: "Ich möchte die Menschen einladen, dieses Licht an einem der Feiertage auf das Grab der Verstorbenen zu stellen."
In einen normalen Weihnachtsgottesdienst zieht es Uschi C. schon lange nicht mehr. Sie fühlt sich geradezu belästigt von der Fröhlichkeit zur Feier der Geburt Jesu Christi: "Ich glaube nicht mehr an Gott. Was soll das für ein Gott sein, der meinen Sohn sterben ließ und all die anderen kranken Kinder?", sagt sie fast heftig. Nur manchmal geht sie am späten Heiligabend in eine Christmette - dann sitzt sie einfach da und lauscht der Musik.