Voraussichtlich Mitte August werden wir vom ostspanischen Burriana aus in Richtung zentrales Mittelmeer aufbrechen. Die Vorbereitungen auf dem Schiff, der "Sea-Watch 4", laufen auf Hochtouren. Zu diesen gehört auch, dass die gesamte Crew einen Corona-Test machen muss, und das wiederum bedeutet eine mindestens einwöchige Quarantäne für alle. In dieser befinde ich mich derzeit noch. Gemeinsam mit meinem Fotografen-Kollegen leben wir in einer Wohnung in Burriana-Stadt einen Alltag ohne Restaurants, Bars und möglichst kaum Kontakten zu anderen Menschen, um den baldigen COVID-19 Test negativ abzuschließen und auf das ehemalige Forschungsschiff, die "Sea-Watch 4", zu kommen.
Constanze Broelemann, Jahrgang 1978, leitet die Graubündner Redaktion der evangelisch-reformierten Zeitung in Chur. Die Zeitung "reformiert" ist die auflagenstärkste evangelische Zeitung in der Schweiz. Außerdem arbeitet sie in Teilzeit im Pfarramt in der Schweiz und macht schwerpunktmäßig Konfirmandenarbeit.
Sea Watch e.V. ist eine Non-Profit-Organisation, die zivile Such- und Rettungseinsätze im europäischen Mittelmeer durchführt. Der Verein fordert und forciert Rettung von Menschen durch staatliche europäische Institutionen. Sea Watch will sichere und legale Fluchtwege (#SafePassage) und Bewegungsfreiheit in offenen europäischen Gesellschaften, die sich zur Solidarität bekennen. Finanziert wird die Arbeit des Vereins ausschließlich durch Spenden.
In der Werft von Burriana liegt jedoch nicht nur die imposante "Sea-Watch 4", das ehemalige deutsche Schiff für Ozeanforschung, sondern noch zwei weitere Schiffe mit bekannten Namen in der zivilen Seenotrettung: die in Barcelona ansässige "Open Arms" sowie die "Alan Kurdi", das Schiff des Regensburger Bündnisses "Sea Eye". Bis vor kurzem war dieses Schiff noch von den italienischen Behörden in Palermo festgesetzt, weil technische Mängel kritisiert wurden. Eine Praxis, die laut Mitarbeitenden der Nichtregierungsorganisation "Sea Eye" mehr mit Schikane der Behörden als wirklichen Mängeln am Schiff zu tun hat. Auch für die "Sea-Watch 4" könne es nach beendeter Rettung von Menschen schwierig werden, problemlos in einen italienischen oder maltesischen Hafen einzulaufen.
Derzeit wird jedenfalls noch unter der segende Hitze Spaniens in der Werft gewerkelt und geschweißt. Auf Nachfrage höre ich, dass sich einige Crew-Mitglieder bereits seit Anfang Juni auf den Schiffen befinden und arbeiten. Dass immerhin drei Nichtregierungsorganisationen (NGO's) in Burriana eine Werft gefunden haben, liege an der Kulanz der spanischen Behörden vor Ort, sagt man mir; man müsse hier keine Liegegebühr für die Schiffe zahlen. Chris Grodotzki, Pressesprecher von Sea Watch und Mitfahrender bei der kommenden Mission, erzählt mir von den Auflagen, die Crew und Schiff zu erfüllen haben, seit sie unter deutscher Flagge als so genanntes "kommerzielles Schiff" fahren. Zum Beispiel gibt es seit den Terroranschlägen von 2001 die Gangway-Watch. Das bedeutet, dass die Gangway, also die Brücke auf das Schiff, rund um die Uhr von jemandem bewacht werden muss, um Anschläge auszuschließen.
Und auch dass die "Sea-Watch 4" als ganz gewöhnlicher Frachter akkreditiert ist, der von seiner Pflicht Gebrauch macht, Menschenleben zu retten, ist Folge der strafferen Auflagen. Denn nach deutschem Seerecht gibt es keine Rettungsschiffe. Die Crew der "Sea-Watch 4" bestehend aus Ärzten, Pflegenden, Maschinisten, Kapitän, Offizieren und vielen weiteren ist zur Hälfte unentgeltlich vor Ort, zur Hälfte entlohnt. Ein großes Team soll sich um die "Gäste", also die Geretteten, kümmern. Eingerichtet ist an Bord ein Schutzraum für Frauen und Kinder, denn es ist laut Chris Grodotzki davon auszugehen, dass 90 Prozent aller geretteten Frauen vergewaltigt wurden und daher auf dem Schiff noch mehr Ruhe brauchen als sowieso schon.
Der Rettungseinsatz der "Sea-Watch 4" wird sich rund 24 bis 50 Meilen vor der libyschen Küste, der so genannten Such- und Rettungszone (SAR), abspielen. Bis 2016/17 haben NGO`s und die italienischen Behörden dort noch eng bei der Seenotrettung zusammen gearbeitet, man konnte "effizient" retten, sagt Grodotzki. Das ist mittlerweile Vergangheit. Derzeit kreuzt kein einziges Schiff, das sich Rettungen auf die Fahnen geschrieben hat, in diesen internationalen Gewässern an den Außengrenzen Europas. Zeit, für die "Sea-Watch 4" aufzubrechen: "Die SAR-Zone ist ein schwarzes Loch, ein rechtsfreier Raum, in das wir etwas Licht bringen", sagt mir Chris Grodotzki.