Umjubelt, verfolgt, ermordet: Ein Sinto-Boxer zur NS-Zeit

Umjubelt, verfolgt, ermordet: Ein Sinto-Boxer zur NS-Zeit
Schlag um Schlag kämpfte er sich an die Spitze. Johann Trollmann (1907-1944) aus Hannover war zu Beginn der NS-Zeit eine Größe des deutschen Boxsports und wurde 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Doch Trollmann, genannt "Rukeli", war Sinto und der Boxverband bereits von Nationalsozialisten durchsetzt. Nur wenige Tage nach seinem Erfolg wurde ihm der Meistertitel wieder aberkannt. Der "Zigeuner" kämpfe nicht "deutsch", er tanze, hieß es. Jahre später starb der einstige Boxstar in einem Konzentrationslager.

"Mich hat seine Geschichte total umgehauen", sagt Theatermann Marc Prätsch, der durch Zufall vom Schicksal des Box-Champions erfuhr. Der Regisseur überzeugte das Schauspiel Hannover von dem Stoff und schrieb gemeinsam mit Björn Bicker "Trollmanns Kampf". Die Uraufführung des Stücks im Ballhof und in der Kreuzkirche in Hannover wurde am Freitag mit Beifallsstürmen gefeiert. Es handelt von der schicksalsreichen Biografie des Boxers und erzählt auch über das Leben und die Kultur der Sinti von heute. Einige spielen selbst im Stück mit.

Als Rahmenhandlung fungiert eine Sendung des einzigen Sinti-Radios in Niedersachsen über Trollmann. Es ist eine Annäherung: Wer war dieser junge Boxer, war er umschwärmt wie heute Menowin von "Deutschland sucht den Superstar"? Locker-flockig beginnen die drei Moderatoren zu plaudern, doch die fröhliche Stimmung kippt schnell. Auf die Bühnen-Rückwand werden Schwarz-Weiß-Fotos der Eltern Trollmann und ihrer neun Kinder projiziert - drei Geschwister kamen im KZ ums Leben.

Eine aktuelle Geschichte

"Wir Sinti sind deutscher als die Deutschen", sagt Marcelino Kreitz in dem Stück, während die Familie auf der Bühne "Zigeunerschnitzel" verspeist und alte Schlager hört. Seit mehr als 600 Jahren leben die Sinti in Deutschland, verknüpft mit alten deutschen Traditionen. Doch noch heute, erzählen die jungen Schauspieler dem Publikum, würden sie beim Einkaufen ständig beobachtet und verdächtigt zu klauen. "Das macht mich wütend", schreit Orchidea Laubinger über die Bühne.

Die Vorurteile über die "Zigeuner" sitzen tief, sagt der Großneffe des Boxers, Manuel Trollmann, am Rande der Aufführung. In der Jugend wurde auch er oftmals beschimpft. Sein Ziel ist es, die Geschichte von "Rukeli" weltweit bekannt zu machen. Er hat eine Internetseite über die Familie erstellt und ist auch beim Theaterstück aktiv dabei.

Sinti-Musiker wie Dotschy Reinhardt, Urenkelin des berühmten Jazz-Gitarristen Django Reinhardt, begleiten die Darsteller. Immer wieder tauchen sie dabei in die Vergangenheit ein, schlüpfen in verschiedene Rollen und erzählen aus deren Sicht die Lebens- und Leidensgeschichte von Johann Trollmann.

Frauenschwarm - aber kein Arier

Johann wuchs nahe der Spielstätte in der hannoverschen Altstadt auf, in einem damaligen Armenviertel. Die Stadt hat 2004 hier einen Fußweg nach ihm benannt und 2008 einen "Stolperstein" mit seinem Namen verlegen lassen. Der Frauenschwarm und Publikumsliebling boxte schon damals erfolgreich im Stil von Muhammad Ali, tänzelnd und drehend. Das entsprach nicht dem Idealbild vom kämpfenden, männlichen Helden der NS-Zeit.

1933, nach seinem größten Erfolg und seiner größten Niederlage, trat Trollmann zu seinem letzten Profi-Kampf an. Er trotzte der diskriminierenden Aberkennung des Meistertitels, färbte sich die dunklen Locken wasserstoffblond und puderte die Haut weiß. "Er hat sich wie eine deutsche Eiche in den Ring gestellt und sich verprügeln lassen", sagt Regisseur Marc Prätsch über die verheerende Niederlage, die in zahlreichen Sportberichten beschrieben wird. Auf "deutsche" Art zu boxen, war nicht seine Sache.

Tod im KZ

1938 wurden Sinti und Roma offiziell als "Nichtarier" eingestuft. Trollmann blieb in Deutschland, ließ sich aber scheiden, um seine Frau und Tochter zu schützen. Später diente er als Soldat, bis die "Zigeuner" 1942 aus der Wehrmacht ausgeschlossen wurden. Im selben Jahr wurde Trollmann wegen "Streunerei" verhaftet und ins Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg deportiert.

Dort wurde der Deutsche Meister von einst von den Nazis zum Spott zu Kämpfen herausgefordert. 1944 wird der frühere Boxstar nach Recherchen des Buchautors Roger Repplinger von einem Mithäftling, der sich in die Dienste der Nationalsozialisten gestellt hatte, im KZ Wittenberge bei Schwerin erschlagen. Erst 2003 wurde Johann "Rukeli" Trollmann posthum der Gürtel des Deutschen Meisters im Halbschwergewicht verliehen. Sein Großneffe Manuel nahm ihn stellvertretend entgegen.

Posthumer Auftritt

Auch im Theaterstück hat Manuel Trollmann seinen Auftritt. Das dramatische Finale spielt in der düsteren Atmosphäre der Kreuzkirche, nur wenige Gehminuten von dem Ort entfernt, wo Trollmann aufwuchs. Vor dem Altar ist ein Boxring aufgebaut. Als "Rukelie" nach der Titel-Aberkennung ein letztes Mal als Profi antrat, trug er eine blonde Perücke und hatte sein Gesicht weiß gepudert. Der als Gipsy-Boxer geschmähte Kämpfer ließ sich blutig schlagen. An diesen Akt des Protests erinnert eine gespenstische Szene: Alle Schauspieler sind jetzt "Rukelie" mit blutverschmiertem Gesicht.

"Ich hatte Tränen in den Augen", sagt Manuel Trollmann nach der Premiere. Die Geschichte seines Großonkels recherchiert er seit vielen Jahren, er will sie weltweit bekannt machen.

epd/dpa

Mehr über Johann Trollmann und die Hannoveraner Inszenierung: www.johann-trollmann.de, www.schauspielhannover.de.