Er war das Gegenteil eines politischen Kämpfers: ein feinnerviger Kulturmensch, Feuilletonredakteur und Romancier. Doch der skandalöse Pariser Prozess um den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus, über den er als Journalist zu berichten hatte, zerriss ihm die Seele. Theodor Herzl (1860-1904) begann, für die Gleichberechtigung der Juden zu streiten. Und er entwickelte die Idee einer organisierten Auswanderung der Juden in einen eigenständigen Staat.
"Wenn es den Juden unmöglich gemacht wird, sich innerhalb anderer Nationen zu verwirklichen, so müssen sie die Errichtung eines eigenen Nationalstaates anstreben, um gleich unter Gleichen zu sein", schrieb er 1896 in seinem Buch "Der Judenstaat". Die Proklamation des Staates Israel 1948 wäre ohne seine Vorarbeit kaum möglich gewesen.
Zum Studium nach Wien
Benjamin Seev Herzl wurde in Budapest als Sohn eines Textilkaufmanns geboren und studierte in Wien Jura, Philosophie, österreichische Geschichte. Er begann, Gedichte und Feuilletons zu schreiben, trat der Burschenschaft "Albia" bei, änderte seine Vornamen in "Theodor" - und interessierte sich viel mehr für Kultur und literarisches Leben der Donaumonarchie als für sein Judentum.
Entschlossene Assimilation schien ihm der einzige Weg zu sein, den Diskriminierungen und Verfolgungen zu entgehen. Im Übrigen konzentrierte er sich auf seine literarische Karriere. Als ihn die "Freie Neue Presse" als Korrespondenten nach Paris schickte, musste er miterleben, wie 1894 der Hauptmann Alfred Dreyfus in einem antisemitisch aufgeheizten Klima des Landesverrats angeklagt und aufgrund gefälschter Dokumente verurteilt, degradiert und ins Exil geschickt wurde. "Bringt die Juden um", brüllte das Publikum.
Programmschrift "Der Judenstaat"
In seiner Programmschrift "Der Judenstaat" vollzieht Theodor Herzl daraufhin eine Kehrtwende seines Denkens: Die Unterdrückung der Juden sieht er jetzt als internationales Problem, das nur politisch gelöst werden könne. "Ihr seid Parias, Ihr müsst immer zittern, dass man Euch die Menschenrechte oder Euer Gut abnimmt", macht Herzl seinen jüdischen Lesern klar. "Arm leidet Ihr doppelt. Reich, müsst Ihr's verbergen. Man duldet Euch in keinem Ehrenberuf, und handelt Ihr mit Geld, so seid Ihr erst recht bedroht und verachtet. (?) Das wird nicht anders, kann nicht besser werden, weil's ein immer engeres Kesseltreiben ist. Es gibt nur einen Ausweg: ins Gelobte Land."
Besessen von seiner Idee, wandelte sich der verspielte Literat zum geschickten Organisator. Herzl reiste von Berlin nach Paris, von London nach Moskau, warb bei Politikern und Geschäftsleuten für den "Judenstaat". Zusammen mit dem Arzt und Zeitungsredakteur Max Nordau organisierte er 1897 den ersten Zionistenkongress in Basel.
Dort wurden eine Bank und ein Fonds zum Ankauf von Land in Palästina ins Leben gerufen. Der Kongress verabschiedete das "Basler Programm" mit der zentralen Forderung: "Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina."
Kaisser war anfangs begeistert
Kaiser Wilhelm II. hörte ihm begeistert zu, verlor sein Interesse aber wieder. Papst Pius X. empfing Herzl ebenfalls, äußerte auch Verständnis für die Lage der Juden, machte aber kein Hehl aus seiner Abneigung, sie als Hüter der heiligen Stätten Jerusalems zu akzeptieren. Auch die meisten westeuropäischen Juden hielten Herzls Idee für eine Zumutung.
Umso mehr Anklang fand die Idee vom "Judenstaat" bei den verarmten Ostjuden und bei der Jugend der westlichen Länder. Die britische Regierung erklärte sich bereit, ein Gebiet auf der Sinai-Halbinsel oder in Uganda, dem damaligen Britisch-Ostafrika, für eine autonome jüdische Ansiedlung freizugeben. Aber die große Mehrheit des dritten Zionistenkongresses 1903 erblickte darin den endgültigen Verzicht auf Palästina, das Land der Väter.
Früher Tod mit 44 Jahren
Herzl war schon länger schwer herzkrank. Am 3. Juli 1904 starb er im Alter von 44 Jahren im österreichischen Edlach. "Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen", hatte Herzl einst über den Traum von einem jüdischen Staat geschrieben.
13 Jahre nach seinem Tod bekannte sich der britische Außenminister Arthur James Balfour in einer historischen Erklärung zur Errichtung eines jüdischen Staates - der aber erst 1948, nach dem Massenmord an den europäischen Juden und nach dem Ende der britischen Herrschaft in Palästina, Wirklichkeit wurde. 1949 wurden Theodor Herzls sterbliche Überreste von Wien nach Jerusalem überführt und dort auf dem "Herzlberg" beigesetzt.