Buchautor: Kirche muss sich stärker einmischen

Buchautor: Kirche muss sich stärker einmischen
Welchen Herausforderungen muss sich die Kirche in der Postmoderne stellen? Wie kann Gemeinde im Sinne Jesu relevant sein? Diese Fragen stellt der Autor und Theologe Roland Hardmeier in seinem preisgekrönten Buch "Kirche ist Mission" – und findet provozierende Antworten.

Es ist ein Tag im Januar. Die Besucher drängen sich vor den Toren der "Adult Entertainment Expo" in Las Vegas. Was die Organisatoren "Erwachsenenunterhaltung" nennen, ist in Wirklichkeit Pornografie. Tausende Menschen schieben sich durch die Gänge der Messe. Zwischen Videos und Fotobänden steht Craig Gross. Er ist Pastor und Gründer der ersten Kirche auf dem Las Vegas-Strip, der Vergnügungsmeile im amerikanischen Spielerparadies. Unter den Besuchern der Messe verteilt er Bibeln. Zudem gründete er die "erste christliche Pornoseite", eine Webadresse, die über Pornosucht aufklären und Hilfe bieten will. Mitten im Sündenpfuhl Amerikas will er Licht sein und den Menschen das Gefühl geben, dass Gott auch sie nicht vergessen hat.

Auch wenn dies ein besonders extremes Beispiel sein mag: Überall auf der Welt haben sich in den vergangenen Jahren Christen zusammengetan, die mehr wollen als Gottesdienste feiern. "Raus aus den Gemeinderäumen" ist ihr Motto. Nur so, da sind sie sich sicher, kann man die Welt erreichen. Menschen wie Craig Gross wollen die Kirche den postmodernen Bedingungen der Welt anpassen. Sie arbeiten mit dem Internet, bemühen sich, die Umwelt zu schützen und Menschen von Jesus zu erzählen, die am weitesten von ihm entfernt sein mögen. Sie finden radikale Wege, wie Gross, oder sanftere, wie etwa die amerikanische Willow Creek-Bewegung, die junge Menschen gezielt durch Gottesdienste mit moderner Musik und viel Medieneinsatz ansprechen will.

Der größte Fehler der Evangelikalen

Es gibt viele Antworten auf die Frage, wie eine Kirche in der Postmoderne aussehen sollte. Im Buch "Kirche ist Mission" versucht der Schweizer Roland Hardmeier den Spagat zwischen Moderne und Tradition. Seine Forderung: Wenn die Kirche in einer modernen Welt bestehen will, muss sie die Nachfolge Jesu leben – und zwar ganzheitlich. Kirche muss evangelisieren, sie muss Kirchenferne ansprechen und sie muss neue Formen des Gottesdienstes finden, sagt Hardmeier. Das, so schreibt er, ist die Kirche der Zukunft. Deshalb plädiert er für eine Erweiterung des Missionsbegriffs: "Der größte Fehler der Evangelikalen ist, dass sie das Soziale von der Mission abgekoppelt haben."

Zwar will er die reine Evangelisation nicht ersetzen, aber durchaus erweitern. Seine Vorstellung von einer missionarischen Kirche ist dreigliedrig: Evangelisation, moderne Gottesdienste, soziale Projekte – alles zusammen mache das Christentum für Menschen relevant. "Es geht darum, dass die Kirche sich auf ihre missionarische Aufgabe besinnt und durch gesellschaftsrelevante Taten die Welt umwandelt", schreibt er in seinem Buch. Dieser Gedanke brachte ihm zuletzt den G.W.-Peters-Preis ein, der vom "Arbeitskreis für evangelikale Missiologie" vergeben wird. "Ich bin wohl die richtigen Themen zur richtigen Zeit angegangen", sagt er dazu.

Nicht Heilsbotschaft allein

Zu seinen Grundforderungen gehört auch: Die Bibel muss in ihren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aussagen begriffen und nicht auf die Heilsbotschaft reduziert werden. Christen sollten auch politische Aktivisten sein, sagt Hardmeier. "Sie sollten sich engagieren, etwa im Gemeinderat. Jesus versuchte, trotz seiner eingeschränkten Möglichkeiten politisch Einfluss zu nehmen, etwa bei der Tempelreinigung, als er sich bewusst gegen die jüdische Elite wendete. Das ist ein gutes Modell für zivilen Ungehorsam – natürlich ohne Gewalt auszuüben."

Zum politischen Engagement gehörten auch Aspekte, die in den letzten Jahrzehnten gerade von christlicher Seite immens vernachlässigt worden seien: die Bewahrung der Schöpfung, Umweltschutz also, und die Herstellung sozialer Gerechtigkeit. Hardmeier, der selbst eine Gemeinde im schweizerischen Kloten leitet, nennt Beispiele: "Wir haben eine Jugendarbeit ins Leben gerufen. Themen wie soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gehören zu unserem Predigtmenü. Bei unserem Kirchenkaffee trinken wir selbstverständlich Fair-Trade-Kaffee und -Orangensaft."

Gelebtes Christsein: Klimaschutz und Fair-Trade

Im Zuge der Weltklimakonferenz in Kopenhagen 2009 meldeten sich auch in Deutschland Christen zu Wort, die das Thema Umweltschutz auf die politische Agenda ihrer Gemeinden und Bewegungen setzten. So plädierte etwa die "Micha-Initiative" der Evangelischen Allianz im Vorfeld des Klimagipfels für eine "radikale Lebensveränderung" im Hinblick auf den Klimawandel. Als "Haushalter" der Erde seien die Menschen dazu verpflichtet, die Schöpfung zu bewahren.

"Unser Versagen, treue Haushalter der Erde zu sein, hat die momentane Umweltkrise verursacht, führte zu Klimawandel und brachte das natürliche Ökosystem der Erde ins Ungleichgewicht", heißt es in einer Erklärung der Initiative zum Klimawandel. "Wir werden uns bemühen, nachhaltig zu leben und Konsumismus sowie die damit einhergehende Ausbeutung ablehnen", beschloss die Gruppierung. In einem offenen Brief an die Regierungen der Welt fordert die "Micha-Initiative" ein "solides Klimaabkommen".

Alternativen zur Ablehnung

Tobias Faix, Theologe und Autor des Buchs "Würde Jesus bei Ikea einkaufen?", sagt: "Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass irgendjemand immer für unsere Schnäppchen bezahlt." Kaufe man etwa Produkte, die aus Regenwaldhölzern bestehen anstatt eventuell teurerer, klimaschonend hergestellter Waren, bezahlten ärmere Völker, die schon heute massiv vom Klimawandel betroffen seien. Ein weiteres Beispiel für diese Logik findet Faix im Wassermangel armer Länder. Günstige Waren würden häufig eben dort hergestellt – und das unter erheblichem Wasseraufwand. Die Konsequenz: Der Bevölkerung fehlt Wasser zum Trinken.

"Leider sind wir immer wieder durch das aufgefallen, was wir ablehnen", schreibt Hardmeier in "Kirche ist Mission". Und weiter: "Es ist uns oft klarer gewesen, was wir nicht wollen und was es zu bekämpfen gilt, als was wir glauben und bekräftigen sollten. Diese reaktionäre Haltung gilt es zu überwinden und eine ganzheitliche, an der Bibel des Alten und Neuen Testaments orientierte Theologie zu entwickeln." Um das zu erreichen, nennt er drei Prinzipien der ganzheitlichen Nachfolge: "Wir werden weiterhin evangelisieren und zum Glauben an Jesus Christus aufrufen. Wir werden uns für soziale Gerechtigkeit einsetzen und die Angst ablegen, der Einsatz für bessere Verhältnisse mindere unseren Einsatz in der Evangelisation. Und wir werden uns vermehrt für die Bewahrung der Schöpfung engagieren."


Dieser Beitrag erschien erstmals im christlichen Medienmagazin "pro".