Missbrauch: Runder Tisch nimmt Arbeit auf

Missbrauch: Runder Tisch nimmt Arbeit auf
Verjährungsfristen, Führungszeugnisse, eine generelle Anzeigepflicht - darüber werden die Teilnehmer des Runden Tisches gegen Missbrauch ab heute reden.

Zum Auftakt des runden Tisches gegen Missbrauch hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) an die Teilnehmer appelliert, jenseits von parteipolitischen Interessen nach schnellen Antworten zu suchen. Dem "Hamburger Abendblatt" (Freitagausgabe) sagte sie: "Der institutionalisierte Dialog über Prävention und Aufarbeitung sollte mit großer Ernsthaftigkeit, jenseits parteipolitischer Interessen geführt werden." Vor allem die Fragen der Aufarbeitung würden "gründlicher und schneller Antworten" bedürfen, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Die Ministerin kündigte an: "Dem Auftakt wird ein ehrgeiziger Fahrplan folgen."

Der von der Bundesregierung eingesetzte Runde Tisch gegen sexuellen Kindesmissbrauch kommt heute erstmals in Berlin zusammen. Die 61 Teilnehmer wollen über Hilfen für die Opfer beraten und Konzepte zur Vorbeugung entwickeln. Er wird von Leutheusser-Schnarrenberger und ihren Kabinettskolleginnen Kristina Schröder (CDU, Familie) und Annette Schavan (CDU, Bildung) geleitet.

Kritik an Kirche

Vor dem Start des Runden Tisches gegen Missbrauch hat die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung unterstrichen. Der Runde Tisch werde über Verjährungsfristen, Führungszeugnisse und eine generelle Anzeigepflicht reden und Präventionskonzepte erarbeiten, sagte die frühere Familienministerin Christine Bergmann (SPD) der "Berliner Zeitung" (Freitag). Nach Ansicht der Vorsitzenden der Jugend- und Familienkonferenz der Länder, Manuela Schwesig (SPD), müssen die Kirchen viel mehr tun, um sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen aufzuklären.

Es gehe keineswegs nur um Vergangenheitsbewältigung, sagte die Missbrauchsbeauftragte Bergmann. "Es geht auch darum zu sagen, was passiert eigentlich heute? Wo braucht es mehr Fortbildung, mehr Beratung, mehr Angebote?" Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht aus.

Mehrheit der Deutschen für Abschaffung der Verjährungsfristen

Schwesig, die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern ist, sagte der "Frankfurter Rundschau" (Freitag), es dürfe bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche "keine Salami-Taktik wie bei Walter Mixa geben". Der Augsburger Bischof hatte lange abgestritten, als Stadtpfarrer von Schrobenhausen Heimkinder geohrfeigt zu haben, bevor er jetzt seinen Rücktritt einreichte. "Entweder sie tut endlich alles, um aufzuklären, oder sie bleibt eine Wagenburg", forderte Schwesig an die Adresse der Kirche.

Die Mehrheit der Deutschen hat sich in einer Umfrage für eine Abschaffung der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch von Kindern ausgesprochen. In Ostdeutschland lag die Zustimmung mit 90 Prozent noch etwas höher als im Westen mit 86 Prozent. Auch waren Frauen häufiger dafür als Männer. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Deutschen Kinderhilfe in Auftrag gegeben Infratest-Umfrage, wie die "Welt" (Freitag) berichtet. Die Deutsche Kinderhilfe fordert bereits seit längerem die Verlängerung beziehungsweise Abschaffung der Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch.

Experten: Debatte hilft Missbrauchsopfern wenig

Nach Einschätzung von Opfervereinen hilft die politische Debatte über sexuellen Missbrauch den Opfern bisher nur wenig. "Missbrauch geschieht immer in der dunkelsten Kammer, da kommt auch keine Ministerin hin, die irgendwo an einem Runden Tisch sitzt", sagte Cornelia Hamm, die als Heilpraktikerin den Berlin Opferverein "El Faro" berät, in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Hamm zufolge sollte es dabei nicht nur um den Missbrauch an Schulen, in kirchlichen Einrichtungen oder in Sportvereinen gehen. Auch der Missbrauch in den Familien müsste offen angesprochen werden.

Nach Erfahrungen der Expertin wiederhole sich für Kinder der Missbrauch, den sie schon in der Familie erlebten, später in Schulen oder Heimen. "Leider spüren die Autoritäten solcher Institutionen, bei welchem Kind sie den Missbrauch fortsetzen können, ohne Gefahr zu laufen, dass sich das Kind wehrt."

Auch der Berliner Verein "Tauwetter", der sich um männliche Opfer von sexueller Gewalt kümmert, bezweifelt, dass die Diskussionen auf politischer Ebene langfristig Abhilfe schaffen: "Momentan gibt die Politik den Betroffenen lediglich die Möglichkeit, ihr Opferdasein aufzuarbeiten", sagt Traumafachberater Thomas Schlingmann.

Eine gesellschaftliche Verantwortung, die Opfer mit einzubeziehen, werde derzeit aber verweigert. Schlingmann übte Kritik an der Zusammensetzung des Runden Tisches: Das Ziel sollte Prävention sein, aber unter den Teilnehmern fehlten Experten, die Präventionsarbeit leisten.

Er rief die Politik dazu auf, sich für mehr Transparenz an den Institutionen stark zu machen. "Es würde helfen, wenn Institutionen so etwas wie einen Beschwerdemanager einrichten würden, damit die Kinder einen unabhängigen Ansprechpartner haben, wenn etwas passiert", sagte Schlingmann.

dpa