Gericht: "Ossis" sind kein Volksstamm

Gericht: "Ossis" sind kein Volksstamm
Mehr als 20 Jahre nach der Wende steht fest: "Ossis" sind kein eigener Volksstamm. Mit dieser Begründung hat das Arbeitsgericht Stuttgart am Donnerstag die Klage einer Frau abgewiesen, die als Ostdeutsche keine Stelle bei einer schwäbischen Firma bekam.

Der Arbeitgeber hatte der 49-Jährigen die Bewerbungsunterlagen zurückgeschickt und auf dem Lebenslauf notiert: "(-) Ossi". Dieser Vermerk könne zwar als diskriminierend verstanden werden, sei aber keine gesetzlich verbotene Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft, urteilte das Gericht. "Unter ethnischer Herkunft ist mehr zu verstehen als nur regionale Herkunft", erklärte der Vorsitzende Richter. Außer der Zuordnung zum ehemaligen DDR-Territorium fehle es bei den "Ossis" an einheitlichen Merkmalen in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder Ernährung.

In der emotionalen Verhandlung beteuerte der Arbeitgeber, Grund für die Absage sei nicht die Herkunft, sondern die mangelnde Qualifikation der Frau gewesen. Ihr Anschreiben sei fehlerhaft gewesen, außerdem hätten ihr wichtige Computerkenntnisse gefehlt.

Die seit 1988 in Stuttgart lebende Buchhalterin stammt aus Ost- Berlin. Sie erschien nicht persönlich vor Gericht. Sie sei vom riesigen Medieninteresse überrollt worden, erklärte ihr Anwalt. Er berief sich in der Verhandlung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Nach dem Urteil sagte er, seine Mandantin werde möglicherweise Berufung vor dem Landesarbeitsgericht einlegen. Dort könnte sie sich auf einen Diskriminierungs-Paragrafen im BGB berufen, der aber wesentlich höhere Voraussetzungen in der Beweisführung mit sich bringen würde.

Bundesbeauftragte will anonymisierte Lebensläufe

Das Arbeitsgericht entschied, dass die Klägerin die angesichts des Streitwerts von 5.000 Euro relativ geringen Gerichtskosten und ihre Anwaltskosten tragen muss. Während der Verhandlung hatte der Richter mit Blick auf das große öffentliche Interesse an dem Fall den Prozessparteien eine gütliche Einigung nahegelegt. Sein Vorschlag, die Stuttgarter Firma könnte der Klägerin rund 1.650 Euro zahlen, hatten beide Seiten aber abgelehnt (Aktenzeichen: 17 Ca 8907/09).

Die Antidiskriminierungs-Beauftragte des Bundes, Christine Lüders, unterstützte die Klage. "Ich habe absolutes Verständnis dafür, dass die Frau sich beschwert oder in diesem Fall den Klageweg eingegangen ist", sagte Lüders in einem SWR-Interview. Aus ihrer Sicht muss das Antidiskriminierungsgesetz nicht genauer formuliert werden. "Ich würde die viel einfachere Methode wählen, nämlich anonymisierte Lebensläufe einzuführen", sagte Lüders. Im persönlichen Gespräch zeige sich die Qualifikation viel deutlicher: "Wir haben herausgefunden, dass gerade Menschen mit türkischem Hintergrund ganz große Probleme haben, dieses Erstgespräch zu bekommen."

dpa