Wie Beratungsunternehmen Zeitungsverlage umbauen

Wie Beratungsunternehmen Zeitungsverlage umbauen
Berater sind in Unternehmen der Normalfall. Was aber, wenn sie statt Fließbandproduktion Redaktionskonferenzen optimieren? Dann ist der Aufschrei in den betroffenen Redaktionen laut - wie sonst in Unternehmen auch. Was also macht den Unterschied aus?
01.04.2010
Von Henrik Schmitz

Wenn es um Unternehmensberater geht, findet "Handelsblatt"-Chefredakteur Bernd Ziesemer, der demnächst zu Hoffmann und Campe wechselt, deutliche Worte: "Bestimmte Arten von jungen Verlagsmanagern und mehr noch von Unternehmensberatern, die sich in den letzten Jahren in den Verlagshäusern tummeln, erzeugen bei mir ein intellektuelles Würgegefühl. Viele von ihnen sind kulturelle Analphabeten, die schon lange keine einzige Zeitung mehr lesen, sich aber berufen fühlen, uns Journalisten zu erklären, wie man Zeitungen machen muss. Ich habe in einem Auswahlgespräch vor kurzem all die Berater erlebt, die in verschiedenen Verlagen und in Redaktionen ihr Unwesen treiben. Nur sehr wenige von ihnen brachten die erforderliche Mindestkompetenz für unser Gewerbe mit. Einige der Powerpoint-Präsentationen, die ich erleben konnte, waren in ihrer fachlichen Lächerlichkeit, intellektuellen Dumpfheit, betriebswirtschaftlichen Vordergründigkeit und moralischen Impertinenz nicht mehr zu überbieten."

Was Ziesemer in seinen "Zehn zornigen Thesen zur Zukunft der Zeitung" ausdrückt, entspricht wohl dem allgemeinen Unbehagen, das die meisten Journalisten überkommt, wenn Unternehmensberater vor der Tür stehen. Die Beraterbranche steht in dem Ruf, Medienunternehmen letztlich wie Konservenfabriken zu behandeln. Statt kreativer Lösungen für Struktur- und Konjunkturprobleme greifen Berater immer auf dasselbe Konzept zurück, heißt es: Personalkürzungen.

Wahrnehmungsverzerrung?

Eine Wahrnehmungsverzerrung macht hier Rolf-Dieter Lafrenz von der Unternehmensberatung Schickler aus. Die Mehrzahl der Projekte der Unternehmensberatungen in den Medien habe nichts mit massiven Umstrukturierungen oder Kostenreduktionen zu tun, sagt er. "Stattdessen arbeiten wir mit Redakteuren zusammen und erarbeiten zum Beispiel, wie man eine kombinierte Print-Online-Redaktion aufbaut."

Tatsächlich setzt die Beraterbranche mit den Medien Schätzungen zufolge 100 Millionen Euro pro Jahr um, wobei der Beraterverband BDU die Medienbranche in diesem Jahr als "Wachstumsfeld" ausgemacht hat. Von der Mehrzahl der Projekte der Berater erfährt die Öffentlichkeit aber nichts. Wenn doch, dann sind die Ergebnisse der Beratungen zumindest für die Mitarbeiter des jeweiligen Medienhauses - nicht nur für die Journalisten! - in der Regel allerdings eher unerfreulich.

Nur einige Beispiele: Die Schickler-Gruppe beriet die WAZ-Mediengruppe, die in ihren Redaktionen 90 Redakteursstellen strich. Auch bei der "Frankfurter Rundschau" war Schickler aktiv. Am Ende sollten dort von 190 Stellen in den Redaktionen (einschließlich Grafik und Sekretariate) weitere 80 Stellen gestrichen werden. Die Unternehmensberatung Roland Berger gilt als Hausberater der "Süddeutschen Zeitung". 2008 fielen im Süddeutschen Verlag nach Gewerkschaftsangeben 90 Stellen weg, weitere 60 Stellen sollen zur Disposition stehen. Die Unternehmensberatung McKinsey und die Schickler-Gruppe beraten Gruner+Jahr, seit 2008 sind in dem Verlag nach Gewerkschaftsangaben über 300 Stellen abgebaut worden.

Gesellschaftliche Komponente

Solche Stellenstreichungen sind für die Betroffenen ein schwerer persönlicher Einschnitt. Darüber hinaus haben sie auch eine gesellschaftliche Komponente. Werden in den Medien Stellen abgebaut, so schwächt dies auch deren Rolle als "vierte Gewalt". Weniger Journalisten bedeuten weniger Recherche und damit weniger Kontrolle der Mächtigen. Es bedeutet auch weniger Beitrag zur Meinungsbildung und schwächt damit die Demokratie. So weit jedenfalls der häufig geäußerte Vorwurf: "Wir sehen nicht mehr nur Arbeitsplätze in Gefahr, sondern auch die Presse- und Informationsfreiheit", erregte sich etwa Ver.di-Sprecher Karl-Heinz Kaschel-Arnold über die angekündigten Sparmaßnahmen beim Süddeutschen Verlag (epd 86/09).

Stimmt also Ziesemers Verdikt, viele Unternehmensberater seien "kulturelle Analphabeten", die keine Zeitungen lesen und denen die Mindestkompetenz für das Gewerbe fehlt? Fragt man die Berater selbst, so weisen sie den Vorwurf zurück - und überzeugen zum Teil allein mit der eigenen Vita.

Gregor Vogelsang ist Partner bei Booz & Company und Journalist. Nach dem Besuch der Deutschen Journalistenschule schrieb er für das Feuilleton der "Abendzeitung", für "Die Zeit" und die "Süddeutsche Zeitung" und kam über ein Wirtschaftsstudium an der London School of Economics und einem Abstecher in die Bankenwelt schließlich zum Job als Unternehmensberater. Viele seiner Mitarbeiter seien vielseitig ausgebildet, versichert Vogelsang und nennt dafür als Grund: "Es wird niemand als Gesprächspartner akzeptiert, der nicht zuvor selbst in der Branche gearbeitet hat." Daher müssten Menschen als Berater eingesetzt werden, die "die Bedeutung der Branche für die Gesellschaft verstehen und eine Sympathie für Medien mitbringen".

"Eine ganz besondere Branche"

Auch Rolf-Dieter Lafrenz, der selbst Betriebswirtschaft in Koblenz studiert hat, setzt bei Schickler auf die Medienkompetenz seiner Mitarbeiter. "Wir haben ein internes Dreisäulenmodell, nach dem wir unsere Mitarbeiter auswählen: Methodenkompetenz, Branchenkompetenz und persönliche Kompetenz." Zudem betonen die Berater durchaus selbst, dass die Medien "eine ganz besondere Branche" seien. Lafrenz: "In der Autofabrik kann ich einen klaren Qualitätsmaßstab definieren, das geht bei Medienunternehmen kaum. Medien sind sehr stark von Kreativität und teilweise auch Irrationalität bestimmt. Das ist die Kunst. Es muss trotzdem eine wirtschaftliche ,Veranstaltung' sein. Am Ende darf ein Medienunternehmen nicht an Selbstgefälligkeit pleitegehen."

Und Vogelsang ergänzt: "Die Medienbranche hat für unsere Gesellschaft eine besondere Bedeutung und ist nicht umsonst von der Verfassung geschützt." Auch was das Zeitunglesen angeht, wehren sich die Berater gegen die Vorwürfe Bernd Ziesemers. Die großen Tageszeitungen, aber auch Fachdienste wie "kress", "Werben & Verkaufen" oder "epd medien" gehören Lafrenz und Vogelsang zufolge zur gängigen Lektüre der Berater. Hinzu kommen Blätter wie der "Hollywood Reporter" oder Blogs wie das von Peter Turi. Handelt es sich bei den Bekenntnissen zur "Besonderheit der Medienbranche" nur um Sonntagsreden? Kann jemand, der die Besonderheit der Branche erkannt hat, ernsthaft Entlassungen vorschlagen?

Wieso am Ende diverser Beratungstätigkeiten oft Entlassungen stehen, begründen die Unternehmensberater in der Regel mit den Veränderungen im Markt. "Der Abbau der Arbeitsplätze geht einher mit dem Rückgang der Erlöse, die ständig weniger werden", sagt Lafrenz. Bei den internen Kosten seien Kosteneinsparungen fast nur durch einen Personalabbau möglich. Die zweite Stellschraube seien Kooperationen mit anderen Verlagen. Das, so darf man ergänzen, ist wohl ein Personalabbau auf Umwegen. Wer bestimmte Inhalte einkauft, spart eigenes Personal, das diese bislang produziert hat.

Vogelsang sieht beim Personalabbau in Redaktionen sogar noch Spielraum: "Viele Medienunternehmen sind bei ihren Einschnitten bislang nicht an die Redaktionen rangegangen. Da steckt noch ein möglicher Effizienzgewinn drin."

Und sogar die Tatsache, dass viele Zeitungsverlage immer noch traumhafte Umsatzrenditen von über 20 Prozent erreichen, die Veränderungen am Markt mitunter also nicht unbedingt existenzbedrohend sind, ficht die Berater nicht an. "Nur wer wirtschaftlich stark ist, ist auch unabhängig und nicht erpressbar", sagt Lafrenz. Bei einer Umsatzrendite von nur drei Prozent etwa könnten Medien nicht mehr unabhängig berichten und damit auch ihrer gesellschaftlichen Aufgabe als "vierte Gewalt" nicht nachkommen. Vogelsang verweist auf die USA. Der Markt habe gezeigt, wie schnell Medienunternehmen in Schieflage geraten können: "Wenn einige Unternehmen im Werbemarkt mit ihren Titeln 40 Prozent Umsatzeinbruch hinnehmen müssen, kann ich eine panische Reaktion schon verstehen." Ziel sei es letztlich, Medienunternehmen und damit Stellen für Journalisten zu erhalten.

Sind Unternehmensberater also am Ende die besten Freunde und nicht die schlimmsten Feinde der Journalisten? Wolfgang Storz war von 2002 bis 2006 Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau" und lenkte die traditionsreiche Zeitung durch ihre bislang wohl schlimmste wirtschaftliche Krise. Das Wirken von Unternehmensberatern bewertet er uneinheitlich - als "mal segensreich" oder "mal katastrophal".

Vor allem den berühmten "Blick von außen", den auch die Unternehmensberater selbst immer wieder betonen, sieht Storz positiv. "Berater weisen auf Probleme hin, die man selbst nicht mehr sieht. Oder sie zwingen einen, Dinge umzusetzen, die man zwar im Hinterkopf hatte, aber im Tagesgeschäft nie angepackt hat." Eine gute Unternehmensberatung verfolge einen "ganzheitlichen Ansatz" und beantworte nach der Analyse von Redaktion, Leser- und Anzeigenmarkt die Fragen "Wie bekommen wir mehr raus als jetzt?" mit mindestens zwei Alternativen. Ein Denken in Alternativen habe aber gerade die Schickler-Gruppe nicht gepflegt, kritisiert Storz.

Wenig Schmeichelhaftes

Mit dem Vorwurf steht er nicht allein. Wer sich bei Journalisten nach Schickler erkundigt, bekommt in der Regel wenig Schmeichelhaftes zu hören. Schickler gilt als der "Benchmark-Berater". Die Schickler-Gruppe, die auch als Hausberater der SPD-Medienholding DDVG gilt, hat bislang rund 150 Medienunternehmen, darunter viele Lokal- und Regionalzeitungen, beraten. Bei jeder Beratung sammelten die Schickler-Leute massenhaft Zahlen. Böse formuliert könnte man sagen, dass sich ein Unternehmen mit Beratern immer auch Industriespione ins Haus holt, die Unternehmensdaten - natürlich anonymisiert und verrechnet mit den Daten anderer Unternehmen - später an Konkurrenten weitergeben können.

Wer sich von Schickler beraten lässt, weiß später genau, wo seine Zeitung im Vergleich mit anderen Zeitungen steht. Was durchaus hilfreich sein kann. Wie viel eine einzelne Zeitungsseite in der Produktion kostet, wissen die Verlage vielleicht noch selbst. Wie viel eine solche Seite bei anderen Zeitungen kostet, meistens nicht. Und auch nicht, wie viele Bilder, Texte und Anzeigen eine durchschnittliche Zeitungsseite bei der Konkurrenz enthält. All diese Daten liefert Schickler und kommt so, wie es Lafrenz ausdrückt, zu einem Vergleichsmaßstab für Redaktionen. Ob darüber hinaus zusätzliche Kapazitäten für Qualität investiert werden sollen, sei vor allem die Entscheidung des Verlegers.

Ähnlich sieht es auch Vogelsang: "Journalistische Qualität ist nicht in Ziffern zu fassen, sondern misst sich letztlich daran, ob Menschen das Produkt kaufen. Aber das Thema überlassen wir den Fachleuten, die das bewerten können, also etwa dem Chefredakteur oder dem Programmdirektor. Wir können nur Hinweise geben, etwa bei einer Zeitung oder Zeitschrift, wie einzigartig die Inhalte wirklich sind oder ob es eine hohe Re-Write-Quote gibt. Dort haben wir auch unsere Benchmarks."

Gut geölter Fertigungsprozess

Kritiker sehen gerade in dieser Festlegung auf Zahlen und Benchmarks fehlendes Gespür für die Branche. Ziel von Schickler sei es, das Zeitungmachen in einen gut geölten Fertigungsprozess zu verwandeln, dabei aber die Kreativität außer Acht zu lassen, lautet ein Vorwurf. "Sogar die Zeit, die ein Redakteur in Sitzungen verbringt, wurde mit der Stoppuhr gemessen", sagt ein führender Mitarbeiter einer Regionalzeitung. "Aber dass ein solcher kreativer Austausch auch Sinn macht, wenn er nicht immer ein direktes Ergebnis hat, kann man eben nicht messen. Wenn ich den Vorschlag höre, eine Blattkritik könne auch schriftlich rumgereicht werden, werde ich ganz kribbelig."

Auch Wolfgang Storz hat Probleme mit den Benchmarks, die Schickler vorgibt, verweist aber vor allem auf das Zusammenspiel zwischen Verleger und Unternehmensberater. So gäben die Benchmarks stets einen Korridor an Produktionskosten vor, letztlich werde aber jeweils die untere Grenze eines solchen Korridors als Ziel angestrebt. Zudem bleibe Schicklers Herangehensweise einem "engen betriebswirtschaftlichen Denken" verhaftet. Als Schickler zur FR kam, arbeiteten dort in den Redaktionen (inklusive Sekretariate) rund 190 Mitarbeiter. Ursprünglich waren es sogar einmal 260. Nach den Beratungen durch Schickler sei als Benchmark eine Stärke von 90 Redakteuren vorgegeben worden, plus 20 Redakteure für den überregionalen Auftrag. "Wenn solche Zahlen erst einmal eingespeist sind, ist das für die Verleger auch ein Symbolwert, von dem man nur noch mit höchster Begründung um zwei oder drei Stellen abweichen darf", so Storz.

Und noch etwas ist ihm unangenehm in Erinnerung. Zwar gebe sich Schickler immer wieder Mühe, die allgemein erhobenen Benchmarks mit Zu- und Abschlägen zu differenzieren - etwa ob eine Zeitung einen überregionalen Teil hat, der auch ein Arbeiten im Schichtsystem erfordere -, aber im Kern führe diese Herangehensweise zu einer Gleichmacherei und oft auch zu einer Plattmacherei. Denn: "Erst wird nach verengten betriebswirtschaftlichen Kriterien der Redaktionsetat festgelegt. Und dann soll die Redaktion schauen, wie sie unter diesen neuen Bedingungen noch möglichst viel Qualität liefern kann." Wenn es nicht klappe, dann sei die Redaktion schuld. In diesem Sinne rede Schickler zwar viel von Qualität, kümmere sich jedoch nie um sie.

Überall Newsrooms

Kritiker fürchten, dass am Ende ein journalistischer Einheitsbrei herauskommt. Dieser ergebe sich nicht nur aus der zunehmenden Pressekonzentration, die ohnehin schon einen Abbau an Vielfalt bedeute, sondern auch daraus, dass Zeitungen durch Unternehmensberater letztlich stets nach Schema F umgebaut würden. Wer in die Branche hineinhört, bekommt als erstes Beispiel stets den Newsroom genannt, den die Berater in allen Häusern, in denen sie aktiv seien, implementierten. Dabei werde der Newsroom stets als Innovation verkauft, der für mehr Durchlässigkeit zwischen den Ressorts sorge. Letztlich gehe es aber nur darum, den Faktor Zeit zu optimieren.

"Der Newsroom setzt auf sehr strenge Hierarchie, in letzter Konsequenz zugeschnitten auf den Chefredakteur. Die einzelnen Ressorts werden geschwächt, unterm Strich wird sogar weniger debattiert und werden gesellschaftliche Probleme daher aus weniger Blickwinkeln betrachtet", sagt ein Kritiker. Und Wolfgang Storz ergänzt: "Wenn man ohnehin davon ausgeht, dass alle Zeitungen gleich sind, kann man auch immer dasselbe Modell implementieren. Wenn ich aber von unterschiedlichen Profilen ausgehe, funktioniert es nicht."

Schickler selbst wehrt sich gegen den Vorwurf, nach Schema F zu handeln. "Theoretisch könnte man vermuten, es gibt einen Idealablauf für Zeitungsverlage", sagt Lafrenz. "Tatsächlich spielen Verbreitungsgebiet, Leserschaften, Positionierung des Titels und Historie des Verlags eine wichtige Rolle. Jeder Verlag ist ein Stück weit individuell, also müssen auch die Strategien und Organisationsstrukturen diese Individualität widerspiegeln."

Was die Zukunft angeht, sieht Lafrenz wie sein Kollege Voge sang übrigens alles andere als schwarz. "Die Zeitung wird nicht untergehen", sagt Lafrenz. Er rechnet aber durchaus damit, dass "in Zukunft die Bedeutung der digitalen Angebote stark steigen wird". Hier neue Konzepte und Geschäftsmodelle zu entwickeln, sei eine Zukunftsaufgabe der Berater. Und Vogelsang macht den Journalisten regelrecht Hoffnung: "Die Investitionen in Qualität werden erst noch kommen, man kann das aktuell an der Entwicklung der Nachrichtenmagazine in den USA ablesen." Wirtschaftlichkeit und journalistische Qualität seien eben kein Gegensatz, betont Lafrenz: "Für Qualität werden die Menschen weiterhin Geld bezahlen." Wie viel und ob dies auch im Internet gilt, weiß er aber wohl noch nicht so genau.