Gebrauchtkleiderexporte: Jobkiller oder Jobmaschine?

Gebrauchtkleiderexporte: Jobkiller oder Jobmaschine?
In den meisten afrikanischen Staaten werden kaum noch Stoffe gefertigt und auch Textilfabriken gibt es nur wenige. Daran ist aber nicht in erster Linie der Import von Gebrauchtkleidern schuld.
25.03.2010
Von Alexia Passias

Seit Beginn der 1990er Jahre wird in Deutschland kontrovers darüber diskutiert, welche Auswirkungen der Export von Gebrauchtkleidung auf die lokale Produktion von Neukleidung hat. Dabei stehen die Länder in Afrika südlich der Sahara besonders im Blickpunkt. Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Studien zu diesem Thema veröffentlicht, die zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Die Bandbreite reicht dabei von der pauschalen Verurteilung der Altkleiderexporte als "Jobkiller" bis zur ebenso pauschalen Befürwortung.

Vor diesem Hintergrund hat der Dachverband FairWertung mit finanzieller Unterstützung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) von 2003 bis 2005 das "Dialogprogramm Gebrauchtkleidung in Afrika" mit den Schwerpunktländern Tansania und Kamerun durchgeführt. Ziel war es, zu erfahren, wie die Menschen im subsaharischen Afrika den Import von gebrauchter Kleidung beurteilen. Auf mehrwöchigen Reisen wurden eigene Recherchen durchgeführt und zahlreiche Interviews geführt. Der Handels- und Agrarexperte Francisco Mari war für Fairwertung vor Ort. Daraus ist ein facettenreiches Bild der gesamten Textil- und Bekleidungsproduktion, des Handels mit Kleidung und der Meinung vor Ort entstanden.

Gebrauchtkleidung einziges Angebot an sofort tragbarer Kleidung

Schätzungen gehen davon aus, dass in vielen afrikanischen Ländern 60 bis 70 Prozent des Kleidungsbedarfes durch Gebrauchtkleidung gedeckt wird. Es gibt sowohl Kleidung aus lokaler Produktion als auch Neukleidung aus Europa und Asien zu kaufen. Auch modisch sind alle Richtungen vertreten: traditionelle Stoffe mit afrikanischen Mustern, aber auch Designerkleidung afrikanischen Stils; neue, modische und aktuelle Kleidung aus teuren Stoffen aus Europa oder den USA, aber auch imitierte Markenkleidung aus Thailand oder Kunstfaserkleidung aus China.

Außerhalb der Metropolen sieht es anders aus: Schon in mittelgroßen Städten gibt es kaum noch teure Neu- oder Gebrauchtkleidung; je ländlicher die Gegend, desto mehr verschwindet auch die Neukleidung europäischen Stils und es gibt nur noch Stoffbahnen zum Nähen afrikanischer Kleidung zu kaufen. Laut Untersuchungsergebnissen, die Francisco Mari auch in einem Beitrag für Welt-Sichten, dem Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit, veröffentlichte, bilde Gebrauchtkleidung hier zunehmend das einzige Angebot an sofort tragbarer Kleidung. Der am häufigsten genannte Grund für den Kauf von gebrauchter Kleidung sei der günstige Preis.

Viele Gründe für Mitumba

Mitumba, wie Gebrauchtkleidung in Ostafrika heißt, ist überall: Auf den Märkten, wo Händler sie an Ständen verkaufen, in den Straßen, wo junge Männer Kleider an Bügeln auf dem Arm tragen und den vorbeigehenden Passanten anbieten, in den Büros, in die junge Frauen den Angestellten auf Bestellung Röcke, Blusen und Anzüge zur Anprobe bringen. Quer durch fast alle Bevölkerungsschichten sind der Kauf und das Tragen von Second-Hand-Kleidung üblich und akzeptiert. "Mitumba ist für mich immer erste Wahl", erfährt Mari von einer jungen Lehrerin aus Moshi in Tansania. "Nur auf den Mitumba-Märkten finde ich Kleidung, die andere nicht tragen. Ich möchte täglich etwas anderes anziehen und verschiedene Kleidungsstücke zum kombinieren haben."

"Ein Pastor aus Tansania meinte, dass Mitumba vor allem in den Ländern mit christlichen Mehrheiten auch das Straßenbild verändere. Sie gäbe den Menschen 'ein kleines Stück Würde und Selbstachtung'", berichtet Mari. "Durch Mitumba habe sich zumindest optisch der Unterschied zwischen Armen und Reichen verringert. Er erlebe das besonders am Sonntag beim Kirchgang." Tatsache ist, dass die Menschen in den Drittweltländern nicht arm sind, weil sie Gebrauchtkleidung importieren, sondern sie kaufen sich Gebrauchtkleidung, weil sie arm sind.

Handel trägt zur Armutsbekämpfung bei

Jährlich landen über 400.000 Tonnen gebrauchte Kleidung aus der ganzen Welt in afrikanischen Häfen. Der Siegeszug der Gebrauchtkleidung begann vor rund zwanzig Jahren. Der Handel mit importierten Altkleidern in Afrika trage nach Ansicht des Handelsexperten Mari heute wesentlich zur Bekämpfung der Armut bei. Bis zu 30 Prozent der ungeregelten Jobs in Afrika hätten Schätzungen zufolge mit dem Handel mit gebrauchter Kleidung zu tun. Vor allem Frauen und Jugendlichen biete der Handel, für den nur niedrige Anfangsinvestitionen nötig seien, eine Möglichkeit, sich und ihre Familien zu ernähren.

Die Händler benennen jedoch auch deutlich die Probleme, die mit dem Handel verbunden sind. In Tansania seien es die hohen Preise der Kleidung und die geringen Gewinnmargen, die für die Endverkäufer übrig blieben, weil schon zu Beginn der Handelskette hohe Gewinne erzielt würden. In Kamerun läge das Problem eher bei den zu niedrigen Preisen durch die hohen Einfuhrzahlen und der schlechten Qualität der Ware, die zu wenig Gewinn brächten.

In beiden Ländern sei aber die abnehmende Kaufkraft der Bevölkerung das Hauptproblem. Gründe dafür seien steigende Preise für Energie, Wasser und Bildung bei gleichzeitig sinkenden Preisen für agrarische Exportprodukte wie Baumwolle, Kaffee und Kakao. Hinzu käme die lebensbedrohliche Situation der immer höheren AIDS-Raten, die das Gesundheitssystem verteuern und große Teile der Kaufkraft der Menschen absorbieren würden.

Zahlreiche Investitionshindernisse für Textilindustrie

Sowohl in Tansania als auch in Kamerun existiert nach wie vor eine einheimische Textilproduktion. Es werden hauptsächlich Stoffe produziert, die mit so genannten "afrikanischen" Mustern bedruckt werden, aus denen dann vor allem lokale Schneiderinnen und Schneider Frauenkleider oder - in muslimischen Regionen - lange Gewänder für Männer nähen. Daneben werden Stoffe für Schul- und Berufskleidung sowie Bettwäsche und Handtücher produziert. Die Produktionsmengen sind nicht sehr groß und die Produktivität relativ gering. Auch die Qualität der Produkte wird immer wieder kritisiert. Das führt dazu, dass die Käufer erst recht gebrauchte Kleidung von guter Qualität zu schätzen wissen.

"Ein großes Problem für die Textilindustrie sind die hohen Kosten für das Betreiben und die Wartung der zum Teil sehr veralteten Maschinen", sagt Andreas Voget, Geschäftsführer des Verwertungs-Dachverbandes "FairWertung". Außerdem stellen die Unternehmenssteuern und die immensen Kosten für Energie und Wasser ein Investitionshindernis dar. Dazu kommen logistische Probleme, da die Transportwege und -mittel in sehr schlechtem Zustand sind sowie Probleme im Marketing.

Da der lokale Bekleidungsmarkt durch Gebrauchtkleidung und das Schneiderhandwerk abgedeckt wird, versuchen die Textilproduzenten, sich auf andere Märkte zu konzentrieren. Für sie spielt zunehmend das Exportgeschäft in die Nachbarländer eine Rolle. Im Binnen- oder Regionalmarkt schaffen es die verbliebenen Fabriken immer öfter, ihre Nischen zu finden. Erst mit höheren Einkommen der Bevölkerung, so die allgemeine Auffassung, sei auch an eine Produktion von Bekleidung zu denken. Dass dies möglich ist, zeigen Fabriken, die zumindest wieder T-Shirts zu angepassten Preisen herstellen. Zunehmend wird aber auch dieser Nischenmarkt durch billige Neuimporte aus Asien bedroht.

Gebrauchtkleidung keine Konkurrenz für Schneiderhandwerk

Sowohl in Tansania als auch Kamerun gibt es in jedem städtischen Viertel und in fast allen Dörfern zumindest einen Schneider oder eine Schneiderin, auch wenn nicht alle über eine eigene Werkstatt oder eine Nähmaschine verfügen. Die Umsätze sind im Schneidhandwerk laut der Untersuchung in den letzten 10 Jahren um durchschnittlich 30 Prozent zurückgegangen. Das entspreche dem allgemeinen durchschnittlichen Kaufkraftverlust der meisten Menschen in den bereisten Ländern. Abwertungen der Währungen, Massenentlassungen von Staatsangestellten, Verfall der Weltmarktpreise für Exportgüter seien die wesentlichen Gründe für die zunehmende Armut und Verelendung im subsaharischen Afrika, oft in Folge von Wirtschaftsprogrammen von Weltbank und IWF.

Madame Madou aus Kamerun hat früher auch Gebrauchtkleidung verkauft. Inzwischen hat sie sich auf ihre Ausbildung als Schneiderin zurückbesonnen und verbindet beides miteinander: Sie kauft beispielsweise ein großes gebrauchtes T-Shirt für umgerechnet 10 Cent und näht daraus eine Kinderhose, die sie für 40 Cent verkaufen kann. An einem Arbeitstag schafft sie etwa 60 Hosen. "Ich verdiene nicht schlecht und kann davon meine Familie ernähren", erzählte sie Mari bei einem Interview.

Gebrauchtkleidung wird somit nicht als Konkurrenz gesehen. Bedrohlicher empfinden die Schneiderinnen und Schneider die Importe billigster asiatischer Kleidung aus Kunstfaser. Dennoch glauben die meisten, gerade auch die jungen Schneiderinnen, dass sie eine Zukunft haben. In den ländlichen Regionen ist die Situation schwieriger, da die Kaufkraft noch geringer ist. Daher haben sich viele von ihnen auf das Umnähen und Reparieren von gebrauchter Kleidung spezialisiert. Andere kaufen selbst günstige und qualitativ gute Gebrauchtkleidung und nähen sie zu "neuer" Kleidung um, zum Beispiel zu Kinderkleidung, die auch gebraucht nur selten und teuer zu haben ist.

"Diskussion ist theoretisch und abgehoben"

"Sicher wäre eine eigene Wertschöpfungskette von der Baumwollproduktion zum fertigen T-Shirt volkswirtschaftlich die bessere Alternative", schlussfolgert Mari. "Doch verschiedene Studien, zuletzt 2006 von der Friedrich-Ebert-Stiftung, belegen, dass ohne Subventionierung von Baumwolle und Textilmaschinen, ohne strikten Schutz vor chinesischen Importen und ohne ausreichend große regionale Märkte mit zahlungskräftigen Kunden niemand bereit ist, hier zu investieren."

Die Bilanz von Fairwertung-Geschäftsführer Voget fällt nüchtern aus: "Die in Deutschland geführte Diskussion ist theoretisch und abgehoben und geht an der Situation und den Interessen der betroffenen Menschen vorbei."


Alexia Passias ist freie Journalistin und lebt in Karlsruhe. Unter anderem arbeitet sie als Online-Redakteurin für evangelisch.de.