Behindertenwerkstätten lagern Arbeitsplätze aus

Behindertenwerkstätten lagern Arbeitsplätze aus
Die Zahl der Beschäftigten aus Behindertenwerkstätten auf regulären Arbeitplätzen hat sich in den Jahren von 2001 bis 2006 verdoppelt. Langfristiges Ziel: Behinderte in den allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren.
25.03.2010
Von Michael Ruffert

Man hört das Surren von Akku-Schraubern, sanftes Hämmern und das Rollen von Gabelstaplern: In einer großen Halle sitzen Menschen in einer Reihe an modernen Werkbänken. Mit einem elektrischen Schrauber montiert Markus Palme einen Schienenadapter. "Die Arbeit gefällt mir richtig gut", sagt der 38-Jährige, der psychisch behindert ist. Er ist seit zweieinhalb Jahren bei Wincor Nixdorf in Paderborn tätig, auf einem sogenannten "ausgelagerten Arbeitsplatz" der Schloßwerkstätten der Caritas in Paderborn.

"Wir arbeiten seit drei Jahren daran, unsere Beschäftigten außerhalb der Werkstätten in Betrieben zu beschäftigen", sagt Werkstattleiter Jürgen Mathieu. Inzwischen seien 72 der 810 Werkstattbeschäftigen in rund zehn Unternehmen tätig. Außer Palme arbeiten bei Wincor Nixdorf noch 21 weitere Werkstattbeschäftigte. Sie montieren Teile für die Geld- und Kassenautomaten in dem IT-Unternehmen, bringen Schrauben und Aufkleber an. Kerstin Hennesbach, 31 Jahre, lobt das sehr gute Arbeitsklima. Die junge Frau montiert Kabel und muss genau darauf achten, dass die Schrauben die richtige Länge haben.

Höheres Selbstwertgefühl

"Wir haben früher Bauteile für die Geldautomaten in den Werkstätten produzieren lassen", erläutert Andreas Fiedel, Mitverantwortlicher für den Produktionsprozess bei Wincor. Dann habe man sich entschlossen, die Materialtransporte zu reduzieren und die Arbeitsplätze direkt bei Wincor einzurichten. Davon profitierten das Unternehmen und die Werkstätten. "Es gibt den Mitarbeitern ein gesteigertes Selbstwertgefühl, wenn sie sagen können, dass sie bei einem namhaften Unternehmen arbeiten", erläutert Mathieu.

Außerdem bleibt langfristig das Ziel, die Menschen mit Behinderungen wieder in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Bei zwei Werkstattbeschäftigen sei das bereits gelungen, sagt Mathieu. Ein dritter stehe kurz davor.

Fähigskeitsprofil und Praktikum

Mit ihren Aktivitäten liegen die Schloßwerkstätten voll im Trend: Der Anteil der Beschäftigten aus Werkstätten auf ausgelagerten Arbeitplätzen hat sich 2006 gegenüber 2001 verdoppelt. Das ergab ein Forschungsprojekt über die Situation der Werkstätten, dessen Resultate 2008 in Bremen vorgestellt wurden. Mehr als die Hälfte der damals befragten rund 700 Werkstätten bot mindestens einen ausgelagerten Arbeitsplatz an.

Die Beschäftigten auf den Inhouse-Arbeitsplätzen müssen bestimmte Fähigkeiten und handwerkliches Geschick mitbringen. Denn selbst bei scheinbar einfachen Handgriffen können Fehler passieren, die den Produktionsprozess bei Wincor behindern. "Wenn man eine bestimmte Schraube falsch herum anbringt, passen die Bauteile nicht mehr. Dann beginnt die Arbeit von vorn", sagt Rainer Wester, Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung, der die Werkstattmitarbeiter bei Wincor betreut.

Bevor ein Werkstattbeschäftigter auf einem Inhouse-Arbeitsplatz anfangen kann, wird er oder sie genau getestet. Ein Fähigkeitsprofil wird erstellt, die vorhandenen Qualifikationen werden geprüft. Dann folgt meist ein dreimonatiges Praktikum in dem Betrieb. Erst dann steht fest, ob der behinderte Mensch in das Unternehmen passt.

Hauptamtliche haben mehr Zeit für ihre Pflegeaufgaben

Ferdinand Herbeck kommt auch aus einer Werkstatt und ist im Altenzentrum Westphalenhof "Mädchen für alles". Offiziell ist er zuständig für "soziale Dienste". Jeden Morgen macht der 30-Jährige seine Runde vorbei an den Appartements für betreutes Wohnen. Er schaut nach, ob die Senioren ihre Schilder nach draußen gehängt haben, dass alles in Ordnung ist.

Dabei kommt er auch an der Wohnung von Gunhild Kamp-Schröder und Erika Vosseler vorbei, der Schwester und der Mutter von Altbundeskanzler Gerhard Schröder. "Es ist eine gute Sache, dass er uns betreut", sagt Kamp-Schröder. Die beiden nehmen sich auch schon mal Zeit für ein Schwätzchen. Die Prominenz der Bewohnerin bereitet Ferdinand, wie ihn alle hier nennen, keine Probleme. "Ich behandele sie wie jede andere", sagt er bestimmt.

Durch seine und die Tätigkeit von elf weiteren Werkstattbeschäftigten im Westphalenhof haben die Hauptamtlichen mehr Zeit für ihre Pflegeaufgaben. Denn die behinderten Menschen übernehmen Hilfsdienste. Renate Palnik, 48 Jahre, hilft beim Putzen, Spülen und in der Küche. Sie will nicht zurück an ihren alten Werkstattarbeitsplatz, aber dafür ein neues Namensschild für ihre Arbeitskleidung. Bislang steht da nämlich noch "Praktikantin". Aber diese Zeit liegt hinter ihr. Jetzt bleibt sie als ständige Hilfskraft in dem Altenzentrum.

epd