"Birne" wird 80: Glückwunsch, Dr. Kohl!

"Birne" wird 80: Glückwunsch, Dr. Kohl!
Keiner schaffte es so oft auf das Titelbild der Satirezeitschrift "Titanic" wie Helmut Kohl. Zum 80. würdigt Bernd Fritz, einst Chefredakteur der "Titanic", "Birne", den Kanzler der Comedy.
24.03.2010
Von Bernd Fritz

Nun, da der Bürger und gebürtige Ludwigshafener Helmut Kohl 80 wird, ist es an der Zeit, es endlich zugegeben: Der Politiker Kohl war ein Segen für die Satire, ganz besonders und über die Maßen für das endgültige Satiremagazin "Titanic". Denn ohne ihn hätte es "Birne" nicht gegeben, den Spottnamen, der dem Blatt hohe Auflagen und die Witzhoheit über die Redaktions-, Stamm- und Wühltische der Bonner Republik einbrachte. Und ohne ihn hätte die "Titanic"-Redaktion 45 Mal nicht gewusst, was sie auf die Titelseite tun sollte.

Zum Vergleich: Schmidt, Schröder und Merkel zusammen haben es dorthin nicht einmal halb so oft geschafft. Und jeder andere Kanzler hätte die mit 27 von der Verbreitung ausgeschlossenen Ausgaben "verbotenste deutsche Zeitschrift" ("Der Spiegel") 27 weitere Male verbieten lassen. Und abertausende Male verklagt und wäre allein durch das Schmerzensgeld steinreich geworden.

Kohl ist nicht Engholm

Nicht so Dr. Kohl. Im Gegensatz etwa zu Björn Engholm, der sich bereits als Kanzlerkandidat von "Titanic" beleidigt fühlte und das höchste Schmerzensgeld der deutschen Satiregeschichte herausschlug, ließ der birnenförmige Tucholsky-Kenner ("Was darf die Satire? Alles!") das Blatt juristisch unbehelligt. Gegen "Birne" zeigte er sich ebenso resistent wie gegen die von Jahr zu Jahr grimmigeren und verzweifelteren Versuche der progressiven Großpresse, ihn aus dem Amt zu schreiben.

Den Satirikern brachte er gar eine ihrer bittersten Niederlagen bei, als er sich im Wahlkampf 1987 mit einer Birne ablichten ließ, in die er frech die Zähne schlug und die unschuldige Frucht anschließend rückstandslos verspeiste. Daraufhin verzichtete "Titanic" auf die weitere Verwendung der verbrauchten Obstmetapher und nannte den Kanzler fortan nur noch Kohl, Dr. Kohl oder Helmutz.

Regelrecht inflationär wurden die Kohl-Titelseiten unter Hans Zippert (1990-1994), einem von insgesamt sechs in der Ära Kohl verschlissenen "Titanic"-Chefredakteuren. 23 Mal gab der gebürtige Bielefelder den pfälzischen Stoiker auf dem Heft der Lächerlichkeit preis: Er verhöhnte ihn als Sadomasochisten und neuen Saddam Hussein, als Schäuble-Mörder und Nazifreund, zieh ihn des Übergewichts und behauptete, er sei bei der Wiedervereinigung gedopt gewesen. Als all das nichts nützte, wünschte er ihm Aids an den Hals und schließlich gar – na, na! - den Tod.

Doch der Kanzler überlebte ihn wie auch die Chefredakteure mancher Hamburger Gazetten, die in ihrem Anti-Kohl-Furor der Zippert-Titanic nicht nachstanden. Helmutz saß sein Ziel, Konrad Adenauer an Regierungsjahren zu übertreffen, souverän aus, mochten die Nordlichter ihn einen "sprachlosen Schwätzer" ("Spiegel") heißen, als "Oggersheimer" schmähen oder behaupten, er würde "Geschichte" mit zweimal "ch" schreiben.

Zeit, zu stutzen

Nun aber, da der "Stern" zu Kohls 80. plötzlich ein Sonderheft herausbringt und "Zeit"-Herausgeber Helmut Schmidt davon redet, der Oggersheimer habe "seine Sache erstklassig gemacht", ist es an der Zeit zu stutzen, zu fragen und von mir zu reden. Zu stutzen ob dieser späten Nettigkeiten, zu fragen, weshalb man über den Mann einst geiferte, dass die Druckerschwärze gerann, und warum es unter meiner "Titanic"-Ägide (1987 – 1990) lediglich fünf Kohl-Titel gab.

Die Sache ist die: Uns, Helmut Kohl und mich, eint ein gemeinsames Leid. Uns haftet der gleiche Makel an, nämlich in einem Dialekt aufgewachsen zu sein, der keine Lobby hat. Während den Sprechern des Schwäbischen in der Regel Cleverness attestiert wird, den Bayern Schlitzohrigkeit oder den Rheinländern weisheitsgesättigte Unbeschwertheit, gilt das Pfälzische (und mehr noch das Rheinhessische) als Ausweis dumpfester Provinzialität, wenn nicht angeborener Dummheit.

Während kein Stuttgarter, Münchner oder Kölner auf die Idee kommt, sich um ein akzentfreies Hochdeutsch zu bemühen, scheinen sich Ludwigshafener und Hasslocher, Wormser und Mainzer ihres Dialekts zu schämen und verleugnen ihn, sobald sie die Grenze ihres Bundeslands überschreiten. Bei Helmut Kohl führte diese Verleugnung zu jenem singulären Idiom, das für ihn typisch, für seine Zuhörer indessen eine wahre Ohrenpein war. Sowenig wie die norddeutschen Hochsprachler dem Pfälzer Kohl 1976, als er von Mainz nach Bonn ging, eine Chance gaben, hätte mir Rheinhesse die "Titanic"-Redaktion eine Chance gegeben, wenn ich seinerzeit, 1984, meine ersten Satiren nicht in Schriftform eingesandt hätte, sondern als Hörkassette.

Journalistischer Wahrheitstrieb

Dass es mit dem Redakteursposten trotzdem klappte, verdanke ich, neben einem ausgeprägten journalistischen Wahrheitstrieb (auch das muss endlich heraus), Helmut Kohl. Nachdem die von Nordstaatlern dominierte Redaktion mich als Pfälzer identifiziert hatte – ihnen den Unterschied zu Rheinhessen zu erklären, gab ich bald auf -, nutzte ich im Frühjahr 1985 die mir als vermeintlichem Landsmann unterstellte Kohl-Kompetenz, um die Satiriker für eine Bildungsreise nach Ludwigshafen zu gewinnen: zum Stadtteil Oggersheim, wo des Kanzlers Schuhkarton, pardon, Bungalow steht, und zum Stadtteil Friesenheim, in dem die BASF steht und Kohl seine ersten 30 Lebensjahre verbrachte. Lernziel: mit der Legende vom "Oggersheimer" aufräumen.

Das Aha-Erlebnis formulierte damals Robert Gernhardt stellvertretend für seine Kollegen: "Friesenheim, nicht Oggersheim." Und er bekannte: "Hatte ich nicht liebend gerne an die Legende vom 'Oggersheimer' Helmut Kohl geglaubt? Hatte sich nicht Oggersheim in meinem Kopf als Inbegriff verschnarchter Provinz gemalt: als Pfälzer Idylle, als Mischung von Weindorf und Kuhdorf?" Doch, hatte es. Und Gernhardt revidierte reuig das Bild vom "Dorfdepp, auf den ihn ebenso kritische wie schlechtinformierte Kreise zu reduzieren suchten". Kohl sei, das lehre ihn der satirische Lokaltermin in Friesenheim, "kein zurückgebliebener, sondern ein postmoderner Politiker".

Gernhardts Bericht erschien in der "Titanic"-Ausgabe vom April 1985, rechtzeitig zu Birnes 55. Geburtstag. Er füllte inklusive Fotos elf Heftseiten, brachte dem Blatt viel Lob und im Juni desselben Jahres den ersten (und letzten) rheinhessischen Redakteur ein. Danke, Dr. Kohl!

Die "Neue Frankfurter Schule" 1985 vor dem Kanzlerbungalow in Ludwigshafen (v. l.): Peter Knorr,  Jörg Metes (damaliger Chefredakteur der "Titanic"), Bernd Eilert, Eckhard Henscheid, Hans Traxler, Bernd Fritz, F. K. Waechter, Robert Gernhardt. Foto: Bernd Fritz

Bernd Fritz (geb. 1945) war von 1987 bis 1990 Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic". Bundesweit bekannt wurde er durch seinen Auftritt bei "Wetten, dass ..?", als er vorgab, er könne die Farbe von Buntstiften am Geschmack erkennen. Fritz ist weiter Herausgeber der "Titanic" und schreibt als Autor unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den "Feinschmecker".

Bilder: Titanic