Weltwassertag: Die "sterbende Göttin" Yamuna

Weltwassertag: Die "sterbende Göttin" Yamuna
Die indische Regierung richtet ihren Fokus auf das Wirtschaftswachstum. Die Umwelt gerät dabei aus dem Blick. Der katastrophale Zustand des Yamuna, des größten Nebenflusses des Ganges, steht exemplarisch für die globale Wasserverschmutzung. Der diesjährige Weltwassertag hat dagegen das Motto "Sauberes Wasser für eine gesunde Welt" ausgerufen. Der Tag wird seit 1993 jedes Jahr am 22. März von den Vereinten Nationen begangen.
22.03.2010
Von Can Merey

Methan-Blasen steigen aus der schwarzen Brühe auf, die kaum noch an Wasser erinnert. Der Fluss, in dem nichts mehr lebt, stinkt erbärmlich. Ein Obdachloser am Ufer spült sich mit dem giftigen Nass den Mund aus. Unter einer Autobahnbrücke dümpeln Müllsammler auf selbst gebauten Flößen, sie fischen Gaben aus dem Yamuna heraus, die Autofahrer aus ihren Wagen ins Wasser schleudern. Hindus verehren den Fluss, der Neu Delhis Lebensader ist, als heilig. Doch die Menschen und die Politik lassen die "Göttin Yamuna" sterben. Der Fluss gilt als der schmutzigste Indiens und als einer der giftigsten weltweit. Umweltschützer warnen vor einer drohenden Katastrophe für die indische Hauptstadt.

Der katastrophale Zustand des Yamuna kann exemplarisch für die Wasserverschmutzung weltweit stehen. Jedes Jahr produziert die Menschheit 1.500 Kubikkilometer Abwasser - das würde 30 Mal den Bodensee füllen. In den Entwicklungsländern fließen 80 Prozent ungeklärt in Flüsse, Seen und das Meer. Schmutziges Wasser ist für jährlich mindestens 1,5 Millionen Todesfälle bei Kindern verantwortlich, wie das Wasserbüro der Vereinten Nationen (UN-Water) betont. Es hat daher für den diesjährigen Weltwassertag (22. März) das Motto "Sauberes Wasser für eine gesunde Welt" ausgerufen. Ziel ist, auch auf der politischen Ebene Verständnis für die zentrale Bedeutung der Wasserqualität zu wecken.

Fluss hinter Beton weggesperrt

So richtet Indiens Regierung ihren Fokus aufs Wirtschaftswachstum, aus dem Blick gerät dabei die Umwelt. Der Yamuna ist nur ein Beispiel dafür. Der Fluss stirbt in Neu Delhi beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die an seinem Tod wenig Anteil nimmt - auch deswegen, weil der Yamuna aus dem Stadtbild verdrängt und hinter Beton weggesperrt wurde. Wo einst das Flussbett war, ist heute eine Schnellstraße. Zugänge zum Yamuna gibt es kaum, zu sehen ist das Brackwasser fast nur von Auto- oder U-Bahn-Brücken aus. Der Chef der Umweltschutzorganisation "Swechha" (Freiwillig), Vimlendu K. Jha, schätzt, dass 60 Prozent der rund 14 Millionen Hauptstadtbewohner noch nie einen Blick auf den Fluss geworfen haben.

"Wie kann man den Yamuna retten", fragt Jha, "wenn niemand ihn kennt?" Dabei ist der Yamuna durchaus ansehnlich - bevor er in Neu Delhi vergiftet wird. Vor den Toren der Stadt ist das Wasser sauber, Vögel fliegen über die Oberfläche, Fischer haben Netze ausgeworfen. Das Wasser staut sich hier, und das ist eines der Probleme: Der an Neu Delhi angrenzende Bundesstaat Haryana hält an einem Damm entgegen innerindischer Abkommen das meiste Frischwasser für die Bewässerung von Feldern zurück, durch das Wehr fließt nur ein dünnes Rinnsal. Wenige hundert Meter entfernt, auf der Hauptstadt-Seite, wird das Flussbett wieder aufgefüllt: Mit Gift. Ein Kanal spült eine Mischung aus Fäkalien, Industrieabwässern und Schwermetallen in den Yamuna.

18 solcher Kanäle fließen in den als heilig geltenden Fluss, sie sorgen dafür, dass keinerlei Sauerstoff mehr im Wasser ist, der Leben ermöglichen würde. Die Behörden in Neu Delhi schätzen das Yamuna- Wasser als so toxisch ein, dass es nicht einmal zum Waschen von Tieren, sondern nur zur Kühlung von Industrieanlagen eingesetzt werden darf. Dennoch: Die vielen Obdachlosen, die am Ufer leben, haben kein anderes Wasser. Sie waschen sich und ihre Kleider im Yamuna, Kinder waten durch die Brühe. Manche würden das Wasser notdürftig filtern, kochen und trinken, sagte Jha, die Obdachlosen hätten keine Alternative. "Besser ungesundes Wasser als gar keines."

Auch Taj-Mahal-Stadt Agra leitet Schmutz ein

Über 1.370 Kilometer erstreckt sich der Yamuna, er ist etwas länger als der Rhein. Nur 22 Kilometer fließen durch Neu Delhi, doch auf dieser kurzen Strecke wird nach Angaben von "Swechha" 80 Prozent der Verschmutzung des Flusses verursacht. Für weitere neun Prozent zeichnet die Stadt Agra verantwortlich, in der das Taj Mahal liegt - der stinkende Fluss liegt direkt hinter dem Touristenmagnet, den jedes Jahr Millionen Urlauber auch aus dem Ausland besuchen. Später spült der Yamuna sein Gift in den berühmtesten Fluss Indiens, den ebenfalls als heilig geltenden Ganges. Etliche Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahren für die Reinigung des Yamuna ausgegeben. "Wir wissen nicht, wohin das Geld geflossen ist", sagt Jha. "Nichts ist passiert. Der Fluss ist Zeuge dafür."

Stattdessen nehme die Verschmutzung zu, während die Wassermenge zurückgehe, sagt Jha. Die meisten Kläranlagen funktionierten nicht richtig, der Großteil des Abwassers fließe unbehandelt in den Yamuna. Dabei ist der Fluss Neu Delhis wichtigste Trinkwasser-Quelle, wobei ihm das Wasser dafür an Stellen entnommen wird, an denen er noch nicht organisch tot ist. Doch das Gift sickert auch ins Grundwasser ein, aus dem wiederum Trinkwasser für die wachsende Metropole gewonnen wird. "Jeder denkt, die Stadt wird mit Einkaufszentren betrieben. Aber das ist falsch", sagt Jha. "Wir warten nur darauf, dass es zur Katastrophe kommt." Dann nämlich, wenn Hauptstadtbewohner wegen des giftigen Wassers anfingen, an Krankheiten zu sterben.

dpa