Trotzkis Enkel kämpft in Mexiko für die Wahrheit

Trotzkis Enkel kämpft in Mexiko für die Wahrheit
Das Haus, im dem Trotzki Zuflucht gefunden hatte, ist heute eines der bekanntesten Museen Mexikos. Sein Enkel will die "historische Wahrheit" über Trotzki und Stalin wiederherstellen - doch mit welchem Geld?
10.03.2010
Von Franz Smets

Wachtürme und Stahltüren erinnern an ein Ereignis, das vor 70 Jahren die mexikanische Hauptstadt zu einem Brennpunkt der Weltgeschichte machte. Hier ließ der sowjetische Diktator Josip Stalin seinen gefürchteten Widersacher Leon Trotzki 22 Jahre nach der russischen Revolution ermorden. Das Wohnhaus, im dem Trotzki mit seiner Frau Natalja Sedowa Zuflucht gefunden hatte, ist heute eines der auch im Ausland bekanntesten Museen Mexikos. Aber es ist in einem erbärmlichen Zustand.

Es kommen immer weniger Besucher

Feuchtigkeit hat dem Gebäude schon mächtig zugesetzt. Die Wänden im Innern sind dunkel, die Räume stockig, das Archiv und die Bücher des Gründers der Roten Armee, vergilbt. "Es gibt seit einiger Zeit finanzielle Probleme", sagt die Historikerin Olivia Gall, seit kurzem Direktorin des Museums im Stadtteil Coyoacan.

Früher floss vor allem Geld der Regierung in den Haushalt, und das Museum konnte sich einigermaßen über Wasser halten. Auch mit Hilfe von Eintrittsgelder. Doch es kommen immer weniger Besucher. Heute sind es nach Angaben von Gall nur noch bis zu 50.000 Interessierte im Jahr, die mehr über Trotzkis Leben und seinen Tod erfahren wollen. Im Garten ist er mit seiner Frau begraben, unter einer sowjetischen Fahne mit Hammer und Sichel. 

"Historische Wahrheit wiederherstellen"

Esteban Volkov (russ: Wsewolod Wolkow) ist Trotzkis Enkel. Er hat die Anschläge auf den russischen Revolutionär in Mexiko erlebt. 15 Jahre war er alt, als sein Großvater mit einem Eispickel erschlagen wurde. Jetzt ist der Enkel 86 geworden, er ist Mexikaner und hat vier erwachsene Kinder. Viele Jahre hatte er noch in dem Haus gelebt, ehe er es in ein Museum umwandeln ließ, um die Wahrheit über die Verbrechen des sowjetischen Diktators so fern von Moskau nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Stalin ließ in den 30er und 40er Jahren viele seiner Gegner weltweit verfolgen und ermorden - nicht nur in Mexiko.

"Ich kam ein Jahr vor dem Mord nach Mexiko", erinnert sich Volkov, dessen Vater im Gulag Stalins umkam und dessen Mutter, Trotzkis Tochter, Mitte der 30er Jahre in Berlin Selbstmord verübte. "Im Haus erlebte ich die Atmosphäre der Verleumdungen und erlebte die Attentate auf den Großvater." Kurz vor dem Mord waren bereits Bewaffnete auf das Anwesen gelangt. Sie drangen durch das Zimmer Estebans in das Arbeitszimmer Trotzkis vor und schossen, ohne allerdings den Gejagten zu töten. "Meine größte Sorge war immer, die historische Wahrheit wiederherzustellen", sagt Volkov. "Denn die wurde gefälscht und verändert durch das Stalin-Regime, dessen Säulen die Lüge und der Mord waren."

Unter anderem auch deshalb kämpft das kleine Museum um sein Überleben. Gall ist auf der Suche nach Sponsoren und will unter anderem die Botschaften anderer Länder ansprechen, in denen Trotzki seinerzeit Zuflucht gefunden hatte. Sie hofft auch auf die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung. Denn am 20. August, dem 70. Jahrestag der Ermordung Trotzkis, sind große Veranstaltungen geplant. Das Museum will dann mit einem neuen Konzept an die Öffentlichkeit treten, in dem Trotzki gewissermaßen als Zeuge für die immer wiederkehrenden Themen der Weltgeschichte steht: der Intoleranz, der Vertreibung und des Asyls.

In Russland ist Trotzki nach wie vor umstritten

In Russland ist Trotzki heute wie damals umstritten. Der Diktator Stalin, der den Mörder seines Gegners zum Helden der Sowjetunion ernannte, gilt in weiten Kreisen immer noch als großer Staatsmann und seine Gräueltaten werden mehr und mehr unter den Tisch gekehrt. "Russische Touristen können das Museum besuchen", erklärt etwa Botschafter Waleri Morosow, ohne größeres Interesse an diesem Teil der Geschichte Russlands erkennen zu lassen. Aber russische Museen hätten keinerlei Beziehungen zu der Institution in Mexiko. "Vielleicht in Zukunft", meint Morosow.

Volkov hat Moskau in der Zeit der Perestroika einmal besucht, nur um eine Halbschwester kennenzulernen. Sie starb kurz darauf. "Die Atmosphäre Stalins, der Funktionäre, die Befehle geben und den Despotismus, das alles habe ich dort zu spüren bekommen", erinnert er sich.

dpa