Filmkritik der Woche: "Ein Prophet"

Filmkritik der Woche: "Ein Prophet"
In dem französischen Film "Ein Prophet" geht ein junger Häftling bei der Mafia in die Lehre.Der Film ist ein spannender, erschreckender, aber auch ein einfühlsamer "Bildungsroman".
10.03.2010
Von Gerhard Midding (epd)

Töten oder sterben. So einfach wie brutal ist die Lösung für Malik El Djebenas auswegslose Lage. Mit erst 19 ist der Held von Jacques Audiards Film "Ein Prophet" für einen tätlichen Angriff zu sechs Jahren Haft verurteilt und kennt niemanden – weder drinnen noch draußen. Der Neuzugang ist schon zu Beginn des Films kein unbeschriebenes Blatt. Er hat Narben im Gesicht und auf dem Rücken. In den Erziehungsheimen, in denen er aufgewachsen ist, wurde wohl noch die Prügelstrafe eingesetzt.

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Um in der brutalen Knasthierarchie zu überleben braucht Malik den Schutz einer Bande korsischer Gangster, deren Chef César Luciani (Niels Arestrup) die Macht im Gefängnis hat. Seine Aufgabe ist es, einen Mithäftling zu liquidieren, bevor der als Kronzeuge aussagen kann. Dieser Initiationsritus birgt zugleich das Versprechen von Schutz und Zugehörigkeit: Fortan steht Malik unter der Protektion Césars, wird zu dessen Leibeigenem und verlässlichstem Instrument. Malik lässt sich unterwerfen, um selbst im Schatten seines Herrn sein eigenes Netz aus Verbündeten aufzubauen.

"Stammeszugehörigkeit statt Rassismus"

"Ein Prophet" ist ein ebenso rabiater wie einfühlsamer Bildungsroman. Der Betondschungel wird für Malik zu einer Schule des Lebens. Er lernt, sich in einer Welt des strategischen Vorbehalts zurechtzufinden, in der man Komplizen, aber keine Freunde findet, in der man sich Vertraulichkeiten zuflüstert, aber niemandem vertraut. Territorien müssen verteidigt werden. Es herrscht eher Stammeszugehörigkeit als Rassismus. Malik ist klug genug, nicht nur lesen und schreiben zu lernen, sondern auch die Sprache seines korsischen Herrn. Das erste Wort, das er sich merkt, ist Zorn.

Der rissige, vehemente Erzählrhythmus und die eigenwillige Bildsprache, das Aufflackern von Eindrücken, die Begrenzung des Blickfeldes durch eine nur halb geöffnete Blende – sie sind das visuelle Äquivalent eines tastenden Begreifens, des Erlernens von Kommunikation, um die Enge der eigenen Existenz zu überwinden.

"Starke Helden"

Malik ist ein Prophet in niemandes Namen außer dem eigenen. Er entscheidet sich, Kalkül und Diplomatie der dumpfen Brutalität vorzuziehen; Raffinement und Verschlagenheit sind im Universum dieses Films bewundernswerte Tugenden. In Blick des jungen Hauptdarstellers Tahar Rahim liegt nichts Tragisches.

Mit seinem kunstvollen Genre-Kino ist Jacques Audiard, der Mann mit schwarzem Hut und dunkler Brille, auch über die Grenzen Frankreichs hinweg bekannt geworden. Im Zentrum seiner Filme stehen immer wieder starke Helden, die sich auf ungeraden Wegen ihr Glück erkämpfen und sich von großen Vaterfiguren emanzipieren müssen. "Ein Prophet", gewann bei den renommierten Césars neun Auszeichnungen, darunter die für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch. Außerdem war er in der Kategorie bester ausländischer Film für den Oscar nominiert.

Césars Geschäfte

Maliks Erfolgsgeschichte bleibt ambivalent. Sie ist bekümmert, aber nicht hoffnungslos. Der Aufsteiger könnte Césars Geschäfte übernehmen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er das Herz einer Frau gewinnt und das ihres Kindes dazu. Auf dem Weg dahin sind wir zu Komplizen seiner Freude über das Gelingen geworden. Aber unser Hochgefühl war immer auch ein ästhetisches: Wir durften zusehen, wie er sich in einer Welt bewährt, die wir hoffentlich nie kennenlernen werden.

Frankreich/Italien 2009. Regie: Jacques Audiard. Buch: Thomas Bidegain, Jacques Audiard. Mit: Tahar Rahim, Niels Arestrup, Adel Bencherif, Reda Kateb. 149min.
 

epd