Hartz IV: "Bescheid-Erklärer" sollen Klagen vorbeugen

Hartz IV: "Bescheid-Erklärer" sollen Klagen vorbeugen
Wer Hartz IV bezieht, muss sich immer auch durch einen Dschungel von Anträgen und Bescheiden kämpfen. Viele Empfänger können nicht nachvollziehen, warum ihr Jobcenter so und nicht anders entschieden hat. In Berlin gibt es jemanden, der ihnen das erklärt.
10.03.2010
Von Ulrich Jonas

An diesem Vormittag erreichen drei Unzufriedene das Büro von Frank Tauschmann. Eine Mutter ist mit ihrem Sohn gekommen, sie versteht nicht, warum das Jobcenter die Unterstützung gekürzt hat, seit ihr Sohn eine Ausbildung macht. Zwei Stunden später klopft eine junge Frau an die Tür. Die Hilfeempfängerin findet es ungerecht, dass die Behörde nur einen Teil ihrer Heizkosten bezahlen will. Tauschmann, 45, in Jeans und mit moderner Brille, nimmt sich Zeit. Der Mutter erklärt er, die Kürzung sei einer "Gesetzeskonkurrenz" geschuldet, eine Härtefallregelung könne vielleicht helfen. Auch die junge Frau kann sich Hoffnungen machen: "In begründeten Einzelfällen" gestatte das Amt die Überschreitung von Mietobergrenzen.

"Widerspruchs-Präventions-Management"

Seit Mai vergangenen Jahres sitzt Frank Tauschmann im Erdgeschoss des Jobcenters Berlin-Mitte und kümmert sich um "Kunden", die mit den Entscheidungen der Hartz-IV-Behörde nicht einverstanden sind. Die hübsche Bezeichnung "Bescheiderklärer" haben sie sich ausgedacht für die neue Tätigkeit des ehemaligen Teamleiters, ein "Pilotprojekt" des Hauses. Unisono beteuern Tauschmann und seine Vorgesetzten, es gehe nicht darum, Widersprüche und Klagen von Hilfeempfängern zu verhindern. Das Schild neben der Tür von Tauschmanns Büro erzählt anderes: "Widerspruchs-Präventions-Management" steht darauf geschrieben.

Rund 85.000 Menschen beziehen Geld vom Jobcenter Berlin-Mitte. "Fünf bis sechs am Tag" klopfen im Durchschnitt an Frank Tauschmanns Tür. Geschickt werden sie vom "Empfang", einem langen Tresen am Eingang, vor dem sich an diesem Tag lange Menschenschlangen bilden, oder von einem Sachbearbeiter. "Wir machen auch innerhalb des Hauses Werbung, wenn ein Kunde kommt und sagt: 'Ich versteh das nicht'", sagt die stellvertretende Geschäftsführerin des Jobcenters, Rosemarie Jochim. Ob nicht mehr Personal nötig sei angesichts der großen Zahl der Menschen, die jeden Tag ins Amt kommen? "Derzeit reicht ein Bescheiderklärer aus."

Kritiker äußern Bedenken

Die Zwischenbilanz von Frank Tauschmann: "Ein Drittel der Vorsprachen führen zu einem Widerspruch oder zu einem geänderten Bescheid." Anders gesagt gelingt es dem amtlichen Beschwerde-Manager in zwei von drei Fällen, die Unzufriedenen von der Korrektheit des behördlichen Vorgehens zu überzeugen. Ob er als Angestellter des Jobcenters nicht zwangsläufig parteiisch ist? "Ich sehe mich eher als neutrale Instanz."

Kritiker äußern Bedenken: "Die Bescheiderklärer geben Informationen, die zum Teil falsch sind, und haben nicht im Blick, was geht und was nicht", sagt Rechtsanwalt Imanuel Schulz. Nach seiner Ansicht sollten nur Anwälte die Entscheidungen der Behörde prüfen, denn: "Ein Bescheiderklärer wird zum Beispiel niemals erklären, dass die Beweislast bei der Frage, ob eine Wohngemeinschaft eine Bedarfsgemeinschaft ist, beim Jobcenter liegt."

Bisher Ausnahme: Anlaufstelle für unzufriedene Hilfeempfänger

Dass eine Hartz-IV-Behörde eine Anlaufstelle für unzufriedene Hilfeempfänger einrichtet, ist bislang die Ausnahme in Deutschland. Vorbildcharakter hatte eine Zeit lang die Duisburger Arbeitsgemeinschaft (Arge), die Ende 2007 einen ehrenamtlichen Ombudsmann als Vermittler berief. Doch schoss der pensionierte Kommunalbeamte aus Sicht der Behörde bald übers Ziel hinaus, als er Systemkritik übte. Er bekam zwei Mitarbeiter an die Seite gestellt - und legte sein Amt frustriert nieder.

In Berlin sind inzwischen zwei Jobcenter dem Vorbild aus Mitte gefolgt und haben ebenfalls "Bescheiderklärer" eingesetzt. Auch bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg wird über die positiven Wirkungen guten Beschwerde-Managements nachgedacht, sagte eine Sprecherin auf Nachfrage. Die Behörde überlege, ob sie das Modell nicht allen Argen in Deutschland ans Herz legen solle. Denn: "Wir vermuten, dass viele Hilfeempfänger pauschal Widerspruch einlegen, einfach weil sie die Bescheide nicht verstehen."

epd