Schrecken und erste Hoffnung in Chile

Schrecken und erste Hoffnung in Chile
Während die Opferzahlen steigen und zerstörte Straßen, eingestürzte Brücken und Gebäude die chilenische Infrastruktur weitgehend lahmlegen, versuchen die Menschen in den weniger betroffenen Regionen langsam zur Normalität zurückzukehren.
02.03.2010
Von Cornelius Wüllenkemper

Das schwere Erdbeben, das die Küstenregionen Chiles in der Nacht zum Samstag heimsuchte, forderte weit über 700 Menschenleben, zerstörte Kommunikationsnetze und stürzte das Land zeitweise in ein Chaos. Die sechs Meter hohe Flutwelle, die das Beben ausgelöst hatte, riss anschließend Häuser, Autos und Menschen mit sich, die zuvor verschont geblieben waren. Von "apokalyptischen Szenen" war die Rede. Und dennoch scheint sich langsam wieder Ordnung einzustellen.

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"Nach zwei Tagen hatten wir wieder Kontakt zur Außenwelt", berichtet der Präsident der chilenischen Mission "Iglesia Evangelica Unida", Helmut Kühn. Seit 16 Jahren lebt er mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Nueva Imperial und widmet sich im missionarischen Dienst den Mapuche-Indianern. Auch in der 250 Kilometer südlich vom Epizentrum gelegenen 40.000-Einwohner-Stadt bei Temuco hatten Häuser und Straßen in der Nacht zum Samstag zu beben begonnen. "Als wir erschreckt aufwachten, zählten wir bis fünf, um die Schwere des Bebens abzuschätzen. Beim zweiten Stoß rannten wir auf die Straße, weil wir Angst hatten, unser Haus könnte über uns zusammenstürzen", berichtet Kühn weiter.

Das Hauptbeben dauerte zwei Minuten. Scheiben gingen zu Bruch und die Strom- und Wasserversorgung war ebenso unterbrochen wie das Telefon- und Handynetz. Die Bewohner von Nueva Imperial flüchteten nach dem Beben in die Berge, um sich von der angekündigten Tsunami-Welle in Sicherheit zu bringen. Vom ganz großen Unglück blieb man in der Stadt aber glücklicherweise verschont.

Rund 100 kleinere Nachbeben

Mittlerweile sind Internet- und Telefonverbindungen wieder hergestellt. Trotz der etwa 100 kleineren Nachbeben, die auch in Nueva Imperial zu spüren waren, kehrt langsam Ruhe in die Region zurück. "Am Sonntag stellten wir einen Generator auf und feierten Gottesdienst. Thema war der Umgang mit Naturkatastrophen. Wobei es eigentlich noch zu früh ist, sich geistig mit dem Beben auseinanderzusetzen", berichtet Kühn.

Die Chilenen in Helmut Kühns Umfeld reagieren weitgehend gelassen auf das Erdbeben. Zwar nehme man die Katastrophe der chilenischen Mentalität entsprechend emotional auf, allerdings seien die Zeichen der Hoffnung und der gegenseitigen Hilfe überdeutlich. Kühn beschreibt die Stimmung als "gefasst und hoffnungsvoll". Berichte über Plünderungen und Gewaltakte kann er aus der Region um Nueva Imperial nicht bestätigen. "Sobald die Supermärkte wieder regulär geöffnet haben, zahlen die Menschen für die Waren, die sie benötigen."

Anders als rund um das Epizentrum in der Stadt Concepción sei die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, Strom und Wasser mittlerweile wieder hergestellt. Einzig die Tankstellen in Nueva Imperial waren bis Montagabend geschlossen, da sie eine Notreserve an Benzin für den Sanitätsdienst zurückhalten müssen. Währenddessen ist Chiles Hauptsverkehrsachse, die Panamericana, die das Land vom Süden bis in den Norden durchläuft, weiterhin unpassierbar. Manche Regionen sind infolgedessen von der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Treibstoff abgeschnitten.

Viele Regionen noch von Außenwelt abgeschnitten

Aus dem Epizentrum rund um Concepción, etwa 250 Kilometer nördlich von Nueva Imperial, berichtet das Gustav-Adolf-Werk (GAW), dass mehrere ihrer Partnergemeinden in der Region schwer getroffen wurden. In vielen Regionen herrscht über die konkrete Situation weiterhin Unklarheit, weil sie bis heute von jeder Kommunikation mit der Außenwelt abgeschnitten seien. Derzeit versuchen die Pastoren, ihre Gemeindemitglieder aufzusuchen, was besonders in der Region um Concepción sehr schwierig ist. "Wir sind mit unseren Gedanken und Gebeten bei den Menschen in Chile. Das GAW will seinen Schwestern und Brüdern in Chile zur Seite stehen. Viel wird wieder aufgebaut werden müssen. Dafür brauchen wir dringend Unterstützung", sagte GAW-Generalsekretär Enno Haaks.

Rund um das Epizentrum sorgen mittlerweile 8.000 Soldaten für Ruhe und Ordnung. Eine Schätzung, die Schäden beliefen sich auf ein Zehntel des Bruttoinlandsproduktes, wies Finanzministers Andrés Velasco derweil zurück. "Viele Menschen haben ihr Hab und Gut verloren", sagte der Politiker. Für die Bedürftigsten würden aber Mittel zur Verfügung gestellt. Mittlerweile sind auch die ersten internationalen Hilfslieferungen angelaufen. Die Noch-Präsidentin Michelle Bachelet bat um Rettungsexperten, Statiker, Behelfsbrücken, Kommunikationseinrichtungen, Wasserentsalzungsanlagen und um Unterstützung für Krankenhäuser. Derweil kündigt der designierte Präsident Sebastián Piñera bereits seinen Plan zum Wideraufbau an. Titel: "Richten wir Chile wieder auf". Auch der Missionshelfer Helmut Kühn in Nueva Imperial ist hoffnungsvoll. "Wir sind weit von den Ausmaßen in Haiti entfernt. Die Regierung ist sehr gut organisiert. Chile packt das!"

mit Material von epd