Bundestag: Aus dem Alltag eines Abgeordneten

Bundestag: Aus dem Alltag eines Abgeordneten
Bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 schaffte der Grünen-Politiker Wolfgang Strengmann-Kuhn knapp den Wiedereinzug in den Bundestag. Evangelisch.de begleitete den "Wackelkandidaten" am Wahlabend. Fünf Monate später treffen wir ihn wieder.
02.03.2010
Von Henrik Schmitz

Wolfgang Strengmann-Kuhn wirkt entspannt. Es ist keine parlamentarische Sitzungswoche und deshalb ist er am Dienstagnachmittag in seinem Wahlkreisbüro in Frankfurt-Sachsenhausen und bespricht sich dort mit seinen Mitarbeitern. Den Abend wird er wieder in Sitzungen der Frankfurter Grünen verbringen, am nächsten Tag steht eine Podiumsdiskussion zum Thema Rente auf dem Programm. Aber wenn er in Frankfurt ist, hat Wolfgang Strengmann-Kuhn immerhin auch etwas mehr Zeit für seine Frau und seine beiden Kinder. 

Dass Wolfgang-Strengmann Kuhn entspannt wirkt, hat aber vielleicht nicht nur damit zutun, dass er in Frankfurt das soziale Umfeld hat, aus dem er einen Großteil seiner Energie schöpft, sondern auch daran, dass er in der laufenden Legislaturperiode schon einige Erfolge verbuchen konnte und die ganz große Katastrophe bislang ausgeblieben ist. Noch am 27. September hatte er eine Regierung aus CDU/CSU und FDP als solche angesehen, heute, der Wahlkampf ist vorbei, drückt er es nicht mehr ganz so drastisch aus. Er spricht nun eher von einer "schlechten Regierung". Nur wenn es um Guido Westerwelle und seine Äußerungen über Hartz-IV-Empfänger geht, ist Strengmann-Kuhn nicht mehr ganz so entspannt, wird er sehr ernst und warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft, die der Außenminister und FDP-Vorsitzende befördere.

Gutachten zu Hartz-IV-Sätzen

Sozialpolitik ist das große Thema von Strengmann-Kuhn. Als Volkswirtschaftler hat er an der Universität Frankfurt unter anderem zum Thema Armut geforscht, sogar das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu den Hartz-IV-Sätzen aus einem Gutachten von Strengmann-Kuhn zitiert. "Darin hatte ich erklärt, dass die in der Armutsmessung übliche Berechnung, dass Kinder weniger Geld brauchen als Erwachsene, nicht auf Erhebungen in der Praxis beruht. Man hat sich ohne jeglichen empirischen Bezug einfach dem angeschlossen hat, was international üblich ist", sagt der Politiker. 

Das Fatale an Westerwelles Äußerungen sei, dass er "Neid und Hass" in der Gesellschaft nähre. Er verwende die von Populisten übliche Strategie, falsche Vorurteile mit Argumenten zu vermengen, die zum Teil nicht ganz falsch seien. "Arbeitseinkommen müssen höher sein, als die Grundsicherung. Und hier gibt es wirklich ein Problem ", sagt der Grünen-Politiker. Zu suggerieren, Hartz-IV-Empänger machten sich "einen lauen Lenz", sei aber nicht nur falsch, sondern auch spalterisch. Die meisten suchten händeringend nach Arbeit, über eine Million Hartz-IV-Bezieher arbeiten bereits, zum Teil sogar Vollzeit, oder absolvierten Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit.

Werben für ein Grundeinkommen

Allein schon deshalb säßen sie nicht zu hause vor dem Fernseher, sagt Strengmann-Kuhn. Um einen Lohnabstand zwischen den Arbeitenden und denen, die eine Grundsicherung bekommen, zu erreichen, plädiert er für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ein Mindestlohn sei wichtig, reiche aber nicht aus, weil dieser nicht dafür sorge, dass auch Teilzeitbeschäftigte und Selbstständige mehr hätten als ein Hartz-IV-Empfänger. "Westerwelles Ansatz, Hartz IV zu kürzen, ist falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat ja gerade festgestellt, dass es ein Grundrecht auf die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums gibt.“ Eine Kürzung darunter würde deshalb gegen die Verfassung verstoßen. 

Zu den Erfolgen von Strengmann-Kuhn gehört ein neues Amt. Er ist rentenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion geworden. Und auch mit den Ausschüssen, in denen er die Grünen vertritt, ist er sehr zufrieden. Er hat einen Platz im Arbeits- und Sozialausschuss und im Petitionsausschuss erhalten. Und obwohl der Petitionsausschuss eher als "Anfängerausschuss" gilt, der wenig Renommee verspricht, begeistert ihn gerade die Arbeit dort. "Der Petitionsausschuss ist der Ausschuss, in dem es einen direkten Draht vom Volk zur Regierung gibt. Dort bekommt man als Politiker wirklich mit, wo es hakt und wo die Probleme der Bürger liegen."

Der Frühaufsteherausschuss 

Kleiner Nachteil: Der Petitionsausschuss ist auch der "Frühaufsteherausschuss". Teilweise finden Sitzungen schon um 7.00 Uhr morgens statt und machen die ohnehin schon etwas anstrengenderen parlamentarischen Sitzungswochen noch etwas stressiger. Montags um 6 Uhr früh startet Strengmann-Kuhn dann in der Regel Richtung Berlin. Ab 10 Uhr steht dann in der Regel Aktenstudium auf dem Programm. Dienstags ist Fraktionstag. Vormittags tagen die fünf Arbeitsgruppen, die die Anträge in den verschiedenen Themenfeldern (Arbeit und Soziales, Umwelt) vorbereiten.

Am Nachmittag trifft sich die komplette Grünen-Fraktion um aktuelle Themen zu beraten. Mittwochs geht es in die Ausschüsse und donnerstags finden die Plenarsitzungen statt. Darüber hinaus gibt es in der Regel wichtige Treffen am Abend und Strengmann-Kuhn geht auch immer wieder gerne zu wissenschaftlichen Veranstaltungen, um auch diesbzüglich auf dem Laufenden zu bleiben. Zwei Mal stand Strengmann-Kuhn in dieser Legislaturperiode schon am Rednerpult. "Und auch meine erste freie Rede habe ich inzwischen gehalten", sagt er stolz. Freitags, nach weiteren Plenardebatten, geht es dann nachmittags wieder nach Frankfurt.

Rentenpolitisches Gesamtkonzept 

Strengmann-Kuhn hat sich noch einiges vorgenommen. Für die Grünen-Fraktion wird er noch in diesem Jahr ein rentenpolitisches Gesamtkonzept vorlegen. Die Bürgerversicherung, bei der nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen müssen, haben die Grünen dabei schon in ihrem Programm festgelegt, ebenso eine garantierte Mindestrente, die die Grünen Garantierente nennen. Was die Finanzierung dieses Konzeptes angeht, gibt es allerdings noch offene Fragen, die Strengmann-Kuhn klären möchte. "Dazu tausche ich mich auch oft mit Wissenschaftlern aus", sagt er. Das sei in mehrfacher Weise hilfreich. "Ich habe festgestellt, dass der Berliner Politikbetrieb ein abgeschlossener Kosmos ist. Man trifft immer dieselben Leute, dieselben Journalisten. Ich merke regelrecht, wie die immer selben Argumente zirkulieren und immer wieder auftauchen. Ein neuer Input, der Austausch mit Menschen, die nicht zum Kosmos Berlin gehören, hilft mir sehr und bringt neue Ideen in die Debatte ein." 

Als negativ empfindet Strengmann-Kuhn allerdings das Ungleichgewicht zwischen Parlament und Regierung. "Gegen den Apparat der Ministerien kommt man mit den personellen Kapazitäten der Abgeordneten kaum an, obwohl alle Abgeordneten sehr viel arbeiten und beinahe schon zu viel machen." In den USA sei dies anders, sagt der Politiker. So habe etwa der Haushaltsausschuss des Senates in etwa so viel Personal wie auch das Finanzministerium.

Generationenwechsel bei den Grünen einläuten 

Auch innerparteilich gibt es "noch einiges aufzuarbeiten", findet Strengmann-Kuhn. Das Wahlergebnis von 10,7 Prozent sei zwar als "historisch gut" von der Parteispitze gefeiert worden, doch die Grünen seien unter ihrem Potenzial von 13 oder 14 Prozent geblieben. "Ich denke, dass hat auch damit zu tun, dass wir unser sozialpolitisches Profil nicht geschärft haben." Auch ein Generationenwechsel in der Führung von Partei und Fraktion fehlt Strengmann-Kuhn. 

Schaut er auf die anderen Oppositionsparteien, ist er mit seinen Grünen aber zufrieden. "Die SPD liegt am Boden und die Linkspartei macht gerade eine Grundsatzdebatte durch. Die müssen sich entscheiden, ob sie sich für Koalitionen öffnen wollen oder Fundamentalopposition betreiben möchten. Das kenne ich aber auch noch von meiner Partei", sagt Strengmann-Kuhn. Dass er zu den Mitgründern des Instituts Solidarische Moderne gehört, zu deren Gründern auch Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer gehören, zeigt aber, dass er sich eine Zusammenarbeit mit SPD und Linken durchaus vorstellen kann. "Am Anfang war ich gerade wegen dieser beiden Personen skeptisch, aber inzwischen habe ich festgestellt, dass sich dort sehr interessante und kompetente Menschen aus Politik, Wissenschaft und Kultur versammelt haben."

Umdrehungen im Hamsterrad 

In den kommenden Wochen wird Strengmann-Kuhn noch ein paar Umdrehungen im Hamsterrad, wie er den Politikalltag nennt, machen müssen. Neben dem eigenen Rentenkonzept will er sich noch um die Riesterrente ("viel zu kompliziert und chaotisch") und die Rente mit 67 ("da steht eine Zwischenbilanz an") kümmern. Und auch Wahlkampf steht bald wieder auf dem Programm. "In Hessen sind im kommenden Jahr Kommunalwahlen", sagt Strengmann-Kuhn. Er wird also wohl auch wieder viel auf der Straße unterwegs sein und um Stimmen werben. Immerhin: Für ihn persönlich kann dabei nichts schiefgehen. Bundestagswahlen sind erst 2013 wieder. "Außer natürlich CDU/CSU und FDP streiten so weiter wie bisher und die Koalition zerbricht. Das wäre aber gut für unser Land."

Internet: Homepage von Wolfgang Strengmann-Kuhn


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.