Als der Staat vor wenigen Wochen damit konfrontiert war, ob er eine CD mit den Daten möglicher Steuersünder aufkaufen soll, stand er vor einem moralischen Dilemma. Einerseits hat der Staat kaum eine Möglichkeit, Steuersünder zu überführen. Der Kauf der CD ist sozusagen Notwehr. Andererseits ist die Daten-CD illegal zustande gekommen. Wer mal eben Kundendaten seines Arbeitgebers vom Rechner zieht, um damit Kasse zu machen, hat eine hohe kriminelle Energie. Sich auf einen Deal mit einem solchen Menschen einzulassen, ist fragwürdig.
Der "Scheckbuchjournalismus"
Das Dilemma der Bundesregierung im Fall der Daten-CD deckt sich mit einem Dilemma, in dem auch die Medien, vor allem investigative Medien, oft stecken. Zwar redet kaum jemand offen über den "Scheckbuchjournalismus". Es gibt ihn aber.
"Richtig ist, dass für die Veröffentlichung einiger Skandale in Deutschland Geld geflossen ist", sagt Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Der investigative Journalist, der Mülltonnen nach verwertbarem Material durchsucht, Menschen observiert und sich in irgendwelchen Garagen mit Informanten trifft, die Spitznamen wie "Deep Throat" tragen, ist eher die Ausnahme. Ihn gibt es, wie der Fall "Bunte" zeigt, vielleicht höchstens in Form spezieller "Rechercheagenturen" wie der CMK. Diese übernehmen - falls die "Stern"-Enthüllungen über fragwürdige Observationen von Politikern wie Franz Müntefering oder Oskar Lafontaine zutreffen - die "publizistische Drecksarbeit, für die es keine öffentliche Relevanz gibt", wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen ausdrückte.
Bezahlte der "Stern" seinen Informanten?
Selten ist es jedenfalls so, dass einem Journalisten eine Sache "spanisch vorkommt", er sich dann ans Telefon klemmt, Menschen befragt, Akten durchwühlt und am Ende eine große Story präsentiert. Die wirklich großen Enthüllungen in den Medien gehen auf Tippgeber zurück. Und auch diese haben so ihre Motive.
Geld ist eines davon - und denkbar scheint, dass auch im Fall "Bunter"/"Stern" Geld geflossen ist. Der Kolumnist Kai-Hinrich Renner jedenfalls behauptet in seiner Kolumne, er habe den ehemaligen CMK-Mitarbeiter Thomas Walther per E-Mail um die Beantwortung einiger Fragen gebeten. Walther soll daraufhin geantwortet haben: "Hallo, Herr Renner, bitte schicken Sie mir doch Ihre Fragen [..] zu. Ich schaue dann, was ich davon beantworten kann. Ganz ohne Aufwandsentschädigung wird das aber nicht gehen." Dies wiederum bringt Renner zu der Frage, "ob Walther für seine Informationen vom 'Stern' bezahlt wurde." Ein Vorwurf, zu dem der "Stern" evangelisch.de lediglich mitteilte: "Der 'Stern' möchte sich dazu nicht äußern." Und auch zu der Frage, ob das Magazin es prinzipiell für statthaft hält, für exklusive Informationen Geld zu bezahlen, gab es keine Antwort.
Der Wert investigativer Geschichten
Investigative und exklusive Geschichten sind viel wert. Sie mehren nicht nur den Ruhm des Journalisten, der die Geschichte aufschreibt, sondern auch das Ansehen des entsprechenden Mediums und vor allem: Auflage und Quote. Letzteres ist wiederum die Basis für Einnahmen durch Abonnenten und Werbung. Es gibt also einen Markt für exklusive Informationen und die verschiedenen Medien sind durchaus bereit, Geld für gute Geschichten auszugeben. Sie liefern sich zum Teil sogar einen Bieterwettbewerb.
Dass die großen Enthüllungen vor allem in den großen Medien erscheinen, hat nicht nur damit zutun, dass dort die besten Journalisten arbeiten, sondern auch mit deren Arbeitsbedingungen. Dazu gehört – wenn auch nur zum kleinen Teil -, dass für gute Infos auch mal etwas Geld über den Tisch geschoben werden kann. Wer Material in die Finger bekommt, mit dem sich ein schneller Euro machen lässt, kann schon mal in Versuchung geraten. Da Journalisten ihre Quellen mit Verweis auf den Informantenschutz selbst dann nicht preisgeben müssen, wenn das Material illegal zustande gekommen ist, ist ein kleiner Geheimnisverrat an Journalisten sogar einigermaßen gefahrlos – auch wenn die zunehmende Neugier des Staates etwa durch Bespitzelungen und Vorratsdatenspeicherung es Journalisten und Informanten schwerer macht.
Wie so etwas im Prinzip abläuft, ist unter anderem im sogenannten Schäfer-Bericht über die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst nachzulesen, auch wenn der Bericht mit Vorsicht zu genießen ist. So heißt es etwa in dem Dokument, das streckenweise Zitate von BND-Spitzeln wiedergibt, der "Spiegel" habe 60.000 Mark an einen Informanten zum Thema Plutoniumschmuggel gezahlt, was das Magazin beziehungsweise dessen ehemaliger Chefredakteur Stefan Aust hingegen bestreitet. Aber abgesehen vom Wahrheitsgehalt der im Bericht aufgeführten Einzelbeispiele liefert das Dokument doch zumindest einen Einblick darüber, wie das System funktioniert. Journalisten dealen mit heißer Ware.
Zwielichtige Gestalten
Und natürlich sind es auch zwielichtige Gestalten, mit denen sich Journalisten einlassen. Informanten verfolgen oft eigene Ziele und handeln manchmal illegal und oft unmoralisch. Sie sind zum Beispiel scharf auf den Job des Vorgesetzten und leiten dessen falsche Dienstreisekostenabrechnungen deshalb an "interessierte Stellen" weiter. Rache ist ein weiteres Motiv. Es soll schon gehörnte Ehepartner gegeben haben, die Papiere in Umlauf brachten, die den oder die Ex in Schwierigkeiten gebracht haben. Besonders gute Quellen sind Juristen. Es gibt Staatsanwälte, die über das schleppende Fortkommen ihrer Ermittlungen frustriert sind, und Journalisten deshalb unter Umgehung des Dienstgeheimnisses Hinweise zu brisanten Fällen geben. Es können auch Anwälte sein, die sich in einem Prozess einen Vorteil erhoffen, wenn sie Informationen an die Medien geben und damit Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen.
Investigativer Journalismus ist ein Metier, in dem kein Handschuh weiß bleibt. Es ist die Aufgabe der Medien, Skandale aufzudecken. Dies gelingt oft aber nur, indem mit Material hantiert wird, das illegal zustande gekommen ist oder indem Menschen bezahlt werden, die eher niedere Motive haben und denen Werte wie Gerechtigkeit und Demokratie nicht ganz so wichtig sind wie der eigene Geldbeutel. Der Journalist muss mit diesem Dilemma leben und kann sich höchstens darauf berufen, im Sinne einer höheren Sache zu handeln. Er zahlt jemandem Geld, der unrecht handelt, deckt aber einen Skandal auf und stärkt damit die Demokratie und die Gesellschaft. Im Idealfall jedenfalls.
Harte Arbeit
Wohlgemerkt, investigativer Journalismus ist nicht automatisch moralisch fragwürdig oder eine Frage des Geldes, sondern zunächst einmal das Ergebnis harter Arbeit. Es gibt auch legale Quellen. Es gibt Journalisten, die jahrelang gute Kontakte und Vertrauen aufgebaut haben und so an ihre Geschichten kommen, ohne Geld zu zahlen. Es gibt auch Informanten, deren "niederes Motiv" im schlimmsten Fall die eigene Eitelkeit ist, eine Geschichte in ein wichtiges Medium gebracht zu haben. Und immer gibt es auch Menschen, die einfach Skrupel haben, Dinge zu decken, die ihren moralischen Werten widersprechen und sich deshalb an die Presse wenden.
Die Gefahren des Scheckbuchjournalismus bestehen unabhängig davon und sind nicht nur moralischer Natur. "Im schlimmsten Fall geht die gründliche Recherche verloren und werden die angekauften Informationen 'hochgedreht', um so die Ausgaben zu rechtfertigen", sagt DJV-Sprecher Zörner. Und natürlich ist es denkbar, dass es auch Menschen gibt, die "exklusive Informationen" fälschen, einfach um an Geld zu kommen. Gerade der "Stern" hat mit gefälschtem Exklusivmaterial schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher beschäftigt das Blatt bis heute. Quellen müssen daher sorgfältig geprüft werden. Und zwielichtige Quellen erst recht.
Hinweis: Bei dem Text handelt es sich um eine aktualisierte Version eines älteren Artikels (erschienen am 8. Februar), der um Aspekte des aktuellen Falls "Bunte"/"Stern" ergänzt worden ist.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.