Tadschikistan: Ein Leben ohne Gas und Strom

Tadschikistan: Ein Leben ohne Gas und Strom
Tadschikistan, ein Land unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Westens. Am Sonntag finden dort Parlamentswahlen statt. Das Ergebnis ist vorhersehbar: Der autoritäre Präsident und seine Partei haben das Land fest im Griff; vorhergehende Wahlen wurden von Wahlbeobachtern stets als undemokratisch gegeißelt. Dennoch sind die Wahlen ein Anlass, die Tadschiken und ihr Land einmal in den Fokus zu rücken. Ins Blickfeld geraten dabei wirtschaftliche Not und eine katastrophale Infrastruktur, aber auch ein Nachbarschaftskonflikt nicht ohne politische Brisanz für den Westen.
26.02.2010
Von Marcus Bensmann

Sulfia friert. Die Wohnung in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe ist kalt. Die Heizungs- und Gasrohre in dem sowjetischen Plattengebäude sind schon seit Jahren leer. Die 43-jährige Tadschikin hat sich darauf eingestellt - sie versucht, mindestens ein Zimmer für die drei Kinder in der Wohnung mit elektrischen Heizkörpern zu erwärmen. Der Ehemann und Vater ist den Großteil des Jahres weg. Er arbeitet auf einer Baustelle in Russland. Ab und an ruft er an und sendet der Familie Geld. Hin und wieder kehrt er für die Wintermonate in den kalten Plattenbau nach Duschanbe zurück.

Scheidung zumindest nicht mehr per SMS

In der ehemaligen Sowjetrepublik in Zentralasien gibt es 19 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kaum bezahlte Arbeit. Die Ehemänner und Söhne ziehen in Scharen auf die Baustellen und Märkte nach Russland und Kasachstan. Die russische Sprache hat aus dem Deutschen das Wort "Gastarbeiter" für die Arbeitsemigranten aus den Sowjetrepubliken übernommen. Man schätzt, dass über eine halbe Million Tadschiken im Ausland den Lebensunterhalt für ihre Familien verdienen.

Ohne deren monatlichen Geldüberweisungen würde die tadschikische Wirtschaft vollends zusammenbrechen. In vielen Dörfern des gebirgigen Landes trifft der Reisende zuweilen nur Frauen, alte Männer und Kinder an. Viele Männer unterhalten in Russland eine Zweitfamilie. In Tadschikistan werden Ehen oft nicht mehr im Standesamt registriert, sondern allein vor dem Mullah nach islamischen Ritus besiegelt. Das geht schneller und die Scheidung ist unkomplizierter. Nach dreimaligen Ausrufen von "Talaq, Talaq, Talaq" ist der Bund geschieden. Im Herbst 2009 beschloss das tadschikische Parlament, dass Ehen auf diese Art zumindest nicht mehr per SMS übers Handy getrennt werden dürfen.

Sulfias Ehemann hält die Treue. Ohne seine Überweisungen könnte die Familie in Duschanbe kaum überleben; er hat trotz der Krise in Russland noch Arbeit. Das bescheidene Gehalt von kaum 30 Euro, das Sulfia monatlich als Lehrerin erhält, reicht nur für wenige Tage. Dank der Überweisungen aus Russland kommt die Familie über die Runden.

Nur noch Kerzen spenden Licht

Doch die kalten Wintermonate sind schlimm. Nicht nur, weil die Betonbauten aus der Sowjetzeit kaum die spärliche Wärme halten. Nicht nur, weil der Gasherd schon lange nicht mehr arbeitet - stattdessen dient ein Steinquader, an dessen Oberseite ein glühender Elektrodraht verläuft, als Kochstelle. Sondern weil es jetzt auch noch an dem letzten verbliebenen Energieträger mangelt: Seit drei Jahren wird selbst im Zentrum der tadschikischen Hauptstadt winters stundenlang der Strom abgestellt. Dann spenden nur noch Kerzen Licht. Sonst ist alles dunkel und kalt. Das Wasser zum Waschen kann Sulfia kaum noch erwärmen.

Tadschikistan steht vor dem Energieinfarkt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlidderte der zentralasiatische Staat in einen blutigen Bürgerkrieg zwischen der von Moskau unterstützten Regierung und der Opposition, die von der islamischen "Partei der Wiedergeburt" dominiert wurde. 1997 kam es zu einem Friedensvertrag, und die islamische Partei dufte legal nach Tadschikistan zurückkehren. Wirtschaftlich kam das Land trotz Friedens nie mehr richtig auf die Füße.

Die Fabriken aus der Sowjetunion verfallen. Zudem verfügt Tadschikistan kaum über energiehaltige Bodenschätze. Nur eines hat das Land am Pamirgebirge im Überfluss: Wasser. Aus den Gletschern des mit Siebentausendern bewehrten Gebirges entspringt der Amu Darja, neben dem Syr Darja der zweite große Strom Zentralasiens. Die beiden Flüsse bewässern die Steppe, bis sie auf dem Weg zum schwindenden Aralsee versickern. Größter Nutznießer des Wassers aus Tadschikistan ist der Unteranrainer Usbekistan. Das bevölkerungsreiche Land (28 Millionen Einwohner, während in Tadschikistan nur gut sieben Millionen Menschen leben) gehört zu den größten Baumwollexporteuren der Welt. Die flauschige Feldfrucht dürstet nach dem tadschikischen Wasser.

Gashahn zu, Stromnetz verfällt, Land als Beute der Herrschenden

Zu Sowjetzeiten war es ein Geben und Nehmen: In Tadschikistan wurde der Nurekstaudamm gebaut. Er fing das Schmelzwasser im Frühjahr auf, um die Felder in der usbekischen Nachbarrepublik zu bewässern. Im Gegenzug erhielt Tadschikistan von dort Gas und Öl. Getreu der Devise Lenins "Kommunismus ist Sozialismus plus Elektrifizierung" legten zudem die Sowjets bis in die entlegensten Gebirgsweiler am Pamir Stromnetze.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist dieses System zerbrochen. Usbekistan nutzt nach wie vor das Wasser aus den tadschikischen Bergen, verlangt aber für Gas- und Öllieferungen Weltmarktpreise, die Tadschikistan nicht zahlen kann. Die Folge: Usbekistan dreht regelmäßig den Gashahn ab. Seitdem Usbekistan 2009 auch noch aus dem aus der Sowjetzeit stammenden gemeinsamen Energienetz austrat, bezieht Tadschikistan auch kaum noch Strom aus anderen Staaten. Die Folgen sind katastrophal und treffen inzwischen, wie beschrieben, selbst die tadschikische Hauptstadt. Die Dörfer und Provinzen sind schon lange von den Segnungen der Moderne abgeschnitten. Nun droht dem Land gar der Verlust der fläschendeckenden Stromversorungung und die Rückkehr ins Mittelalter.

Ein Problem nicht nur für die einfachen Menschen im Land: Auch die autokratische Regierung unter Präsident Emomali Rachmon fürchtet, dass die Energienot ihre Herrschaft gefährdet. Tadschikistan ist wie alle zentralasiatischen Staaten keine Demokratie. Die Herrschaftseliten betrachten das Land als Beute, in den Parlamenten regiert allein die Partei der Macht und bei Wahlen wird entsprechend nachgeholfen, damit das Ergebnis den Vorstellungen der Machthaber entspricht. Auch die tadschikische Parlamentswahl an diesem Sonntag wird keine Ausnahme machen. Als einzigen Tribut an den Friedensvertrag von 1997 wird die oppositionelle islamische Partei einen oder zwei Sitze im Parlament erringen.

Usbekistan will Wasserkraftwerk verhindern

Um der Energiekrise zu entkommen, will der tadschikische Präsident einen zweiten Staudamm. Noch in der Sowjetzeit wurde 100 Kilometer östlich von Duschanbe in Rogun ein Wasserkraftwerk geplant, mit einer Kapazität von über 13 Milliarden Kilowattstunden - in etwa der gleichen Menge Strom, die Berlin pro Jahr verbraucht. Das Ende des Sowjetreichs und der tadschikische Bürgerkrieg stoppten die Bauarbeiten. Die Fertigstellung würde über zwei Milliarden US-Dollar kosten, eine viel zu große Summe für das bitterarme Tadschikistan.

2004 versprach Russland, Rogun fertigzubauen. Die Tadschiken machten die Rechnung ohne den mächtigen usbekischen Nachbar. Usbekistan will unter allen Umständen verhindern, dass Tadschikistan ein zweites großes Stauwerk baut und damit den gesamten Schmelzwasserabfluss aus dem Pamirgebirge kontrollieren könnte. Der usbekischen Regierung gelang es, Russland von dem Investitionsversprechen abzubringen und mit ihrem Veto auch andere internationale Investoren abzuschrecken. Deshalb will der tadschikische Präsident den Damm nun in einem nationalen Kraftakt bauen. Eine Volksaktie wurde herausgegeben, mit der die Tadschiken ihren eigenen Damm finanzieren sollen.

Konflikt im Nato-Aufmarschgebiet

Auch die Familie von Sulfia hat eine Aktie gekauft. Die Tadschikin hofft, dass der Damm auch wieder Arbeit nach Tadschikistan bringt und dann ihr Mann für immer zurückkommen kann. Aber Sulfia misstraut der Regierung. Sie fürchtet Korruption und Vetterwirtschaft, die die Erträge der Volksaktie aufsaugen könnten.

Aber auch die Usbeken schauen nicht tatenlos zu, sondern erhöhen den Druck. Im Februar forderten sie einen sofortigen Baustopp des Damms. Damit spitzt sich der Streit ums Wasser zwischen den Nachbarstaaten zu - ein Konflikt, der Sulfia und ihre Familie im kalten Plattenbau von Duschanbe betrifft, aber auch weltpolitisch einige Brisanz birgt. Denn Tadschikistan und Usbekistan grenzen an Afghanistan, durch beide Länder verlaufen die Versorgungslinien der Nato für ihren Einsatz in Afghanistan. Der sich zuspitzende Wasserkonflikt spielt sich direkt auf dem Aufmarschgebiet des Westens in Zentralasien ab.

Für Sulfia spielt das allerdings keine Rolle. Sie sehnt sich nach einer warmen und hellen Wohnung - und zumindest mit einem darf sie rechnen: Bald kommt der Frühling und die Kälte ist für einen Sommer überstanden.


Marcus Bensmann ist freier Journalist und kennt die Staaten Zentralasiens aus jahrelanger Arbeit in der Region. Er gehört zum Netzwerk weltreporter.net und berichtet für zahlreiche namhafte Medien.