Moskaus "Che": Ilja Jaschin kämpft um Freiheit

Moskaus "Che": Ilja Jaschin kämpft um Freiheit
In Russland ist sein Name vielen politisch Interessierten vertraut: Ilja Jaschin kämpft gegen Putin und das politische Establishment - auf der Straße, in den Medien, mit Herz und großer Power.
24.02.2010
Von Ulf Mauder

Der junge Moskauer Oppositionelle Ilja Jaschin versteht es, wie der Revolutionär Che Guevara seine Faust kämpferisch zu ballen. Wenn der 26 Jahre alte Politiker in Moskau, Kaliningrad oder anderswo in Russland Straßenproteste organisiert und in glühenden Reden Missstände und undurchsichtige Milliardengeschäfte der Regierung anprangert, reißt er die Unzufriedenen mit wie sein argentinisches Vorbild. Der hagere Regierungsgegner redet sich dabei so überzeugend in Rage, dass sogar sein größtes Lebensziel für einen Moment möglich scheint: Der Abgang von Regierungschef Wladimir Putin.

Widerstand gegen die "Lügen der autoritären Regierung"

Freilich weiß auch Jaschin, der seinen Doktor in Politikwissenschaft macht, dass Putin in weiten Teilen der Bevölkerung weiter populär ist. "Aber die Stimmung im Land wandelt sich. Die Leute machen ihrem Ärger zunehmend Luft auf der Straße." Die Menschen in Russland hätten es satt, mit anzusehen, dass die Oligarchen immer weiter in der Krise unterstützt würden, während sie selbst immer weniger hätten. Vor 12.000 Menschen rief Jaschin unlängst mit geballter Faust in Kaliningrad, dem früheren Königsberg, zum Widerstand gegen die "Lügen der autoritären Regierung" auf.

Von einer solchen Menschenmenge können Jaschin und seine Mitstreiter in der russischen Hauptstadt nur träumen. Er beklagt, dass auch Kremlchef Dmitri Medwedew nichts dafür tue, dass das in der Verfassung garantierte Recht auf Versammlungsfreiheit eingehalten wird. "Medwedew tut alles dafür, dass die Leute zu Hause sitzen", schimpft Jaschin beim Gespräch in seiner Lieblingskneipe "Apschu", einem Treffpunkt Moskauer Intellektueller. Das Mitglied der Demokratiebewegung "Solidarnost" kritisiert, dass Andersdenkende weiter festgenommen, verprügelt und sogar getötet würden.

Seine Finanziers: Pro-europäische Geschäftsleute

"Wenn Sie als Opposition nicht mit dem Kreml zusammenarbeiten, haben Sie keine Chance, keine Finanzierung, keinen Zugang zum Fernsehen, es gibt keine freien Wahlen - deshalb gehen wir auf die Straße", sagt Jaschin. Rund 150 Kundgebungen hat der junge Mann, der aus einer Intellektuellen-Familie stammt, in den vergangenen Jahren organisiert. 40 Mal nahm ihn die Polizei fest. Als er sich 2009 bei seiner Festnahme eine stark blutende Kopfwunde zuzog, ließ ihn sogar das Moskauer Lokalfernsehen zu Wort kommen.

Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Wladimir Lukin, setzte sich für den jungen Revolutionär ein. Jaschin leitete über Jahre die Jugendorganisation der liberalen Partei Jabloko, bis er sich im Streit um deren Nähe zum Kreml mit der Führung überwarf und gehen musste. Einmal inszenierte er eine Selbstverbrennung - weil er Spezialkleidung anhatte, zog er sich nur leichte Verletzungen zu. Sich selbst beschreibt der Russe, der pro-europäische Geschäftsleute als seine Unterstützer nennt, als "normalen Menschen", der gern Bowling spiele und mit seiner Freundin ins Kino gehe.

"Notfalls bin ich bereit, für meine Ideale zu sterben"

"Ich arbeite nicht wie Che im Untergrund und töte keine Menschen", sagt er mit herzhaftem Lachen. In Russland ist Jaschins Name vielen politisch Interessierten schon so vertraut wie die älteren Kremlkritiker Boris Nemzow, dem früheren Vize-Regierungschef, und Garri Kasparow, dem Ex-Schachweltmeister. Die beiden sehen in dem jungen Politiker die politische Zukunft Russlands. Jaschin, der an diesem Donnerstag bei ersten "Cottbuser Gesprächen" seinem deutschen Publikum über Menschenrechtsverletzungen in Russland berichtet, moderiert regelmäßig eine Sendung bei dem Radiosender Echo Moskwy.

Der Mann mit den kurzen schwarzen Haaren informiert in einem Internet-Tagebuch über Bürgerrechte und soziale Marktwirtschaft. Und er schreibt für die regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta", für die unter anderem auch die 2006 ermordete Putin-Gegnerin Anna Politkowskaja gearbeitet hatte. Um sein Leben habe er keine Angst, sagt er ernst. "Mir ist die Zukunft meines Landes nicht egal - notfalls bin ich bereit, für meine Ideale zu sterben."

dpa