Hartz-IV-Debatte: Der Charme der Gutscheine

Hartz-IV-Debatte: Der Charme der Gutscheine
Nach dem Karlsruher Grundsatzurteil zu Hartz IV wird über Gutscheinregelungen nachgedacht. Bei guter Umsetzung könnte dies Kindern tatsächlich helfen. Nicht alle Ideen sind jedoch geeignet, wie das Beispiel der Gutscheinvergabe an Asylbewerber gezeigt hat.
12.02.2010
Von Georg Klein

So eindeutig ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dann doch nicht. Zwar müssen die Regelsätze für Hartz IV neu berechnet werden, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es zu Erhöhungen kommt. Es kann auch, so wie es zurzeit diskutiert wird, zu neuen, zu nicht an Bargeld gebundenen Regelungen führen.

Gescheiterte Gutscheinsysteme

Konkret werfen die Verfassungsrichter der bisherigen Kalkulation der Hartz-IV-Sätze Intransparenz und vor allem Realitätsferne vor. Durchaus zu Recht, wenn man bedenkt, dass in den statistischen Warenkörben für Hartz-IV-Bezieher - auch für Kinder - Posten wie Maßbekleidung, Segelflugkurse und Tabak mit einkalkuliert sind. Andererseits werden wichtige Punkte wie Bildung und kulturelle Teilhabe kaum berücksichtigt.

CDU-Politikerinnen wie Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen oder die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ingrid Fischbach überlegen, ob Gutscheinregelungen besser helfen, die Bildung von Kindern zu gewährleisten, als Bargeld. Andere, wie der FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms, erhoffen sich sogar Einsparungsmöglichkeiten. Das führt durchaus zu Ängsten bei Betroffenen und Sozialverbänden. Einsparungen und Gutscheine, gab es solche Versuche nicht schon mit Asylsuchenden?

Weniger Gutscheine

"Gottseidank ist das in den vergangenen Jahren sehr zurückgegangen", sagt Verena Mittermaier. Es gäbe nur noch wenige Gemeinden, die auf Gutscheinsysteme setzten. Mittermaier ist Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche", die sich um von Abschiebung bedrohte Flüchtlingsfamilien kümmert. Vor allem bei der Ernährung habe sich das Prinzip Gutschein nicht bewährt, weil es zu einer Festlegung auf bestimmte Lebensmittel und einzelne Geschäfte gekommen sei, sagt sie. "Es wurde keine Rücksicht auf Ernährungsgewohnheiten und kulturelle Eigenheiten genommen. Oft waren die ausgewählten Läden auch noch teurer und hatten, weil es keine Ausweichmöglichkeit gab, eine Art Monopolstellung. Das rechnete sich auch für die Gemeinden nicht mehr."

Vor allem die Kritik aus der Gesellschaft und öffentlichkeitswirksame Aktionen wie das "Antirassistische Einkaufen" hätten das System letztlich zu Fall gebracht. Einkäufer und Asylsuchende trafen sich bei der Aktion in den Supermärkten und tauschten Geld gegen die Gutscheine. Einige, auch kirchliche Initiativen hätten das als Protestform richtig organisiert, sagt Mittermaier. Denn neben einigen praktischen Problemen birgt ein Gutscheinsystem auch eine andere Gefahr: eine Stigmatisierung derer, die damit einkaufen müssen. Wer kein Bargeld hat und Leistungen über Gutscheine bezieht ist für jedermann leicht als Hilfsempfänger erkennbar.

Flötenunterricht und Sportvereine

Um Gutscheine für Ernährung oder Kleidung solle es aber auch gar nicht gehen, sagt dazu die stellvertretende CDU/CSU Fraktionsvorsitzende Ingrid Fischbach. Sie stelle auch nicht alle Eltern unter Generalverdacht, nach dem Motto Hartz-IV-Empfänger würden zusätzliches Geld ohnehin nur für Flachbildschirme und Alkohol ausgeben. In ihrem Urteil hätten die Verfassungsrichter deutlich gemacht, dass in der Grundsicherung für Kinder auch die Teilhabe an Kultur, Bildung und Sport gewährleistet sein müsse. Das bedeute für sie, dass dies auch bei den Kindern ankommen muss, sagt Fischbach, die auch kirchenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist. "Ich bin sozusagen noch in der Findung, wie man den Kindern helfen kann, ohne die Eltern in eine Ecke zu stellen."

Ingrid Fischbach, die selbst Lehrerin war, betont, dass auch die Hartz-IV-Empfänger in ihrem Wahlkreis nichts gegen Gutscheine für Flötenunterricht oder Sportvereine einzuwenden hätten. Die Idee mit den Gutscheinen für Bildung und kulturelle Teilhabe sei zwar noch nicht Fraktionsmeinung, habe aber schon viele Befürworter.

Ob es also Gutscheinsysteme geben wird, ist noch nicht ausgemacht. Diskutiert werden sie in Deutschland nicht zum ersten mal. Auch unabhängig von der Politik gab es schon Überlegungen zu einem Grundrecht auf Kultur. In Deutschland beschränkte sich das allerdings weitgehend auf ein kurzes Rauschen im Blätterwald, als der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) Thomas Straubhaar 2008 vorschlug, statt Subventionen Kulturgutscheine zu verteilen. In Brasilien scheint man schon weiter zu sein. Nach dem Willen der Regierung sollen Arbeitnehmer mit einem Einkommen unter 900 Euro in Zukunft 20 Euro monatlich in Wertmarken  ausschließlich für kulturelle Zwecke erhalten. Der Arbeitgeber kann diesen Betrag dann von der Steuer absetzen.

Entscheidung im Warenkorb

Die brisante Frage in Deutschland wird sein, wie konkret der Bedarf für Hartz-IV-Empänger künftig berechnet wird. Unsinniges wie Alkohol, Tabak oder Segelflugkurse könnten - zu Recht - herausfallen. Aber was kommt hinein? Nur Bildung? Bei dem offensichtlich vorhandenen Einsparwillen der FDP bei den Hartz-IV-Beziehern, könnten die Sätze am Ende sogar geringer ausfallen als jetzt. Fischbach glaubt das allerdings nicht. Sie rechnet mit einem möglichen Anstieg der Kinderregelsätze und vermutet, dass die Erwachsenensätze in etwa gleich bleiben. Ob es Gutscheine geben wird: unklar. Schließlich kommen aus der CSU bereits erste Zweifel an Sachleistungen im Bildungsbereich.


 

Georg Klein lebt und arbeitet als freier Autor in Offenbach a.M.