Am Mittwoch hat in Berlin der "Kundus–Untersuchungsausschuss" seine Arbeit aufgenommen. Der soll klären, wie das war in der Nacht vom 3. auf den 4. September letzten Jahres. Da war im Nordosten Afghanistans auf Veranlassung des deutschen Militärs ein Luftangriff auf zwei Tanklaster geflogen worden. Dabei waren über 140 Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivilisten. Pfarrer Helwig Wegner-Nord von der Evangelischen Kirche fragt sich, worin die Stärke eines Oberst der Bundeswehr liegt.
"Hätte ich geahnt, dass Kinder vor Ort sind, hätte ich den Angriff nicht befohlen." Georg Klein, der 48-jährige Oberst, der die Bombardierung veranlasst hatte, wollte natürlich keine Kinder töten. Er wollte überhaupt keine Zivilisten töten, sagte er am Mittwoch. Und doch: Im Untersuchungsausschuss nennt er sein Vorgehen "angemessen". Und dann fügt er noch einen überraschenden Satz hinzu: "Ich habe Gott um Beistand und Vergebung gebeten."
Oberst Klein gehört zu den ersten, die von dem Ausschuss angehört wurden. Nachdem er über Monate zu den Vorgängen geschwiegen hat, stand er diese Woche nun in Berlin den Ausschussmitgliedern mehrere Stunden lang Rede und Antwort. Was ist das für ein Mann? Einerseits befiehlt er einen nächtlichen Luftangriff, um Lastwagen und Taliban zu "vernichten", wie er das ganz zutreffend nennt.
Andererseits bezeichnet eine Zeitung Georg Klein als "Anti-Rambo", das heißt. als einen eher besonnenen, ausgeglichenen und erfahrenen Mann. Irgendwie passt dazu, was am Mittwoch auch bekannt wird: Nachdem er den Befehl zur Bombardierung gegeben hatte, es war inzwischen kurz vor zwei in der Nacht, geht er hinüber in die Kapelle des deutschen Feldlagers, um zu beten.
Ratlosigkeit eingestanden
Um zu beten? Mein erster Gedanke: Das ist zynisch! Erst töten – dann beten. Wie kann einer beten, wenn er gerade den Befehl zu einem solchen tödlichen Angriff ausgesprochen hat? Was kann einer beten, wenn sechs Kilometer entfernt die bombardierten Tanks explodieren und wenn alles Leben drum herum verbrennt? Wie kann dann einer hingehen und beten und Gott um Vergebung bitten?
Aber dann, je länger ich drüber nachdenke, sage ich mir: Wann sonst soll jemand beten, wenn nicht in einer solchen Stunde? Dem Oberst scheint ja schon in diesem Moment bewusst gewesen zu sein, dass sein Befehl verheerende Folgen hat. Dass er Schuld auf sich lädt. Auch wenn er das Ausmaß noch nicht kennt und auch noch nicht weiß, dass sogar acht- und zehnjährige Kinder unter den Opfern sind – er ahnt, dass er falsch gehandelt hat – selbst wenn er glaubte, nicht anders handeln zu können. Und mit dieser Ahnung geht er in die Kapelle, tritt vor Gott und bittet um Hilfe und um Vergebung.
Wer betet, macht sich nicht stark vor Gott. Im Gegenteil. Er gesteht ein, dass er ratlos ist und verzweifelt und allein nicht weiter kommt. In zwei Wochen trifft sich der Kundus-Untersuchungsausschuss wieder. Weitere Zeugen werden gehört, Offiziere, Geheimdienstleute, Politiker. Ob noch einmal davon die Rede ist, wie sehr wir auf Vergebung angewiesen sind?
Über den Autor: Nach einigen Jahren Gemeindepfarramt absolvierte Helwig Wegner-Nord eine Ausbildung zum Fernsehjournalisten. Seit 1984 Leiter der Evangelischen Medienzentrale Ton- und Bildstelle, ab 1989 Fernseh- und Hörfunkbeauftragter der EKHN, seit 1999 als Geschäftsführer der Gemeinnützigen MEDIENHAUS GmbH. Die medialen Formen der Verkündigung haben ihn schon seit den 80er Jahren gereizt. Eine Vielzahl von Sendungen für die verschiedenen Wellen des HR und den damaligen SWF in Mainz sind entstanden. Dann hat Wegner-Nord zusätzlich drei Jahre lang auch als Autor und Sprecher des "Wort zum Sonntag" in der ARD vor der Kamera gearbeitet.