DGB: Soziale Kluft darf nicht größer werden

DGB: Soziale Kluft darf nicht größer werden
Nach dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine Neuausrichtung der Sozialpolitik. Es habe in den vergangenen Jahren "massive Fehlentwicklungen gegeben", sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer dem Bonner "General-Anzeiger" (Mittwoch).

"Ich sehe in unserer Gesellschaft eine bedenkliche Entwicklung in oben und unten, in Menschen mit sozialer Teilhabe und solche, die für sich und ihre Kinder keine Chancen sehen", so Sommer. "Die soziale Balance in unserem Land ist in Gefahr und die Bundesregierung wäre gut beraten, die Kluft in unserem Land nicht größer werden zu lassen."

Sommer verlangte, die Hartz-IV-Regelsätze zu erhöhen und einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Ähnlich äußerte sich der designierte Vorsitzende der Linken, Klaus Ernst. Wenn die Menschenwürde Maßstab für die Höhe der Hartz-IV-Leistungen sei, dann müsse dasselbe auch für die Löhne von Arbeitnehmern gelten.

"Eilige Reparaturen helfen nicht weiter"

Die Bundesregierung muss die Regelsätze für alle gut 6,5 Millionen Hartz-IV-Bezieher neu berechnen und möglicherweise höhere Sozialausgaben einplanen. Die bisherige Berechnungsmethode verstößt gegen das Grundgesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden. Besonders für Kinder in Hartz-IV-Familien könnte es mehr Geld geben. Das Gericht beanstandete allerdings die Höhe der Regelsätze nicht. Für die Neuregelung setzte es dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht den Karlsruher Richterspruch kritisch: "Das Urteil zeigt eine problematische Tendenz hin zu einer übertriebenen Einzelfallbetrachtung statt zu einer vernünftigen Pauschalierung", sagte er der "Bild"-Zeitung (Mittwoch).

Die FDP nutzte das Urteil, um ihre alte Forderung zu erneuern, alle staatlichen Leistungen in einem Bürgergeld zusammenzufassen. Das Karlsruher Hartz-IV-Urteil sei ein guter Anlass, "um über die Reform des Sozialtransfersystems als Ganzes zu sprechen", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Andreas Pinkwart der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch). "Eilige Reparaturen helfen uns nicht weiter." Durch ein Bürgergeld würden "die vielen verschiedenen Sozialleistungen, die wir heute haben, viel unbürokratischer, transparenter und leistungsgerechter".

Experte: Reform soll zu niedrigeren Regelsätzen führen

Auch die Deutsche Kinderhilfe forderte, das bisherige Fördersystem auf den Prüfstand zu stellen. "Die undifferenzierte Bar-Alimentation ist generell infrage zu stellen", sagte ihr Vorsitzender Georg Ehrmann der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch). "Zu einer gezielten Förderung von Kindern gehören kostenfreie Angebote für Musikschulen und Sportvereine und eine hochwertige Schulspeisung."

In der Union wird der Ruf nach einer Kürzung des Hartz-IV-Regelsatzes von 359 Euro laut. "Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, dass die Hartz IV-Sätze zu niedrig sind", sagt Peter Weiß, der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe in der Unions-Bundestagsfraktion, der "Frankfurter Rundschau" (Mittwoch). "Eine Reform sollte aus meiner Sicht zu niedrigeren Regelsätzen führen." Mit dem Urteil verlange Karlsruhe, den konkreten Einzelfallbedarf etwa für Kühlschränke oder Wintermäntel wieder stärker zu berücksichtigen. Unterm Strich dürften die Ausgaben für den Staat in etwa gleichbleiben, sagte Weiß.

Es geht nicht nur um Geldleistungen

FDP-Generalsekretär Martin Lindner warnte davor, die Hartz-IV-Regelsätze zu erhöhen. "Es ist völlig richtig, dass der Staat bei den Kindern ansetzt, aber bitte nicht in Form von Barzuwendungen für die Eltern", sagte er im Fernsehsender n-tv. "Ich möchte nicht, dass wir über ein neues System Anreize schaffen, dass man übers Kinderkriegen Geld verdienen kann. Sonst gehen wir als Gesellschaft vor die Hunde."

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wies im ZDF darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gesagt habe, es gehe nicht nur um Geldleistungen. Man könne auch Dienst- und Sachleistungen wie Materialien für die Schule verbessern. "Der Schulranzen, das Material für die Schule oder auch die Klassenfahrt, das muss ganz eindeutig geklärt sein, dass das beim Kind auch ankommt, und das Kind das dann auch zur Verfügung hat." Das gelte zum Beispiel auch für Nachhilfestunden.

dpa