Anne Will und die Moral der Wohlhabenden

Anne Will und die Moral der Wohlhabenden
Anne Will diskutierte über "Reiche ohne Moral". In ihrer Runde setzte sie auf Reiche mit Aggressionen und zwei Linkspopulisten, die sich unterhaltsam stritten.
08.02.2010
Von Henrik Schmitz

Darf der Staat 2,5 Millionen Euro ausgeben, um an die Bankdaten möglicher Steuerhinterzieher zu kommen? Wer bei dieser Frage bislang unentschieden war, dürfte nach der aktuellen Ausgabe von „Anne Will“ vielleicht klarer sehen. Die Bedenkenträger, vertreten durch den Exchef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans Olaf Henkel, den Vermögensverwalter Christian von Bechtolsheim und den Managementberater Reinhard Sprenger, waren jedenfalls argumentativ derart schwach auf der Brust, dass Populisten vom Schlage eines Heiner Geißler und einer Sarah Wagenknecht leichtes Spiel hatten.

Es war eine launige und unterhaltsame Debatte, die sich vielleicht etwas zu sehr an der Oberfläche bewegte. An einer Stelle hätte die Debatte spannend werden können. Vermögensverwalter Bechtolsheim verglich den geplanten Datenkauf mit dem Fall des Polizisten Daschner, der dem Kindesentführer Magnus Gäfgen Folter angedroht hatte und dafür bestraft wurde. „Nicht vergleichbar, es geht nicht um Folter“, riefen Geißler und Wagenknecht und kamen damit durch. Leider. Denn vergleichbar sind die Fälle in gewisser Weise schon.

Darf der Staat kriminell handeln?

Darf der Staat kriminelle Handlungen unterstützen bzw. selbst kriminell handeln, um ein anderes Unrecht zu verhindern? Wer an den Rechtsstaat glaubt, müsste hier eigentlich mit „Nein“ antworten. Nicht zu Unrecht verwies Hans-Olaf Henkel darauf, dass sich gerade Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als „Hüterin der Verfassung“ zu dem Fall Daten-CD lauter hätte äußern sollen als bislang.

Dass die Debatte nicht in die Tiefe ging, hat vielleicht auch mit der Auswahl der Gäste zutun. Wer Hans-Olaf Henkel und Heiner Geißler hört hat inzwischen das Gefühl, eine Platte mit Sprung aufgelegt zu haben, die seit gefühlten zehn Jahren dieselbe Rille mit Argumenten abspult – und zwar beinahe egal zu welchem Anlass. Geißler, der zu seinen besten CDU-Generalsekretärszeiten noch Plakate mit „Freiheit statt Sozialismus“ erdacht hat, schlüpfte in seine neue Lieblingsrolle als Linkspopulist und ätze gegen Bankenboni und Bonzen, die von den besten Straßen, Golfplätzen und Opernhäusern profitieren würden, aber nicht bereit seien, auch nur einen Euro dafür zu bezahlen.

Wagenknecht kommt nicht links vorbei

Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken (!!!), konnte da höchstens noch links blinken, links überholen konnte sie Geißler nicht. Der spannte den ganz großen Bogen und erwähnte als alter Attac-Haudegen sogar noch, dass die Schweizer Banken mit den hinterzogenen Steuermillionen Spekulationsgeschäfte auf Grundnahrungsmittel betreiben würden und somit für den Hunger in der Welt mitverantwortlich seien.

Da blieb sogar Hans-Olaf Henkel sprachlos, aus dessen Argumentationsrille ansonsten stets der Verweis darauf schallte, 27 Prozent der Lohnsteuerzahler brächten vier Fünftel des gesamten Lohnsteueraufkommens auf. Was das mit dem Ankauf der Daten-CD zutun haben soll, erschloss sich dem Zuschauer allerdings nicht. Es hat auch nichts damit zu tun. Was Henkel vermutlich ärgert ist, dass wohlhabende Deutsche – so wie er es empfindet – in Deutschland am „Pranger“ stehen und „Leistungsträger“ nun auch noch denunziert würden. Dass Henkel nicht einmal davor zurückschreckte, Wagenknecht vorzuwerfen, sie habe „zuviel von Oskar Lafontaine gelernt“, und damit auf eine angebliche Affäre der beiden anspielte, ließ eher tief blicken. Wer persönlich werden muss, liegt eben oft daneben.

Henkel aggressiv

Henkels Aggressivität zeigt aber auch, wie sehr sich wohlhabende Menschen in Deutschland tatsächlich zu Unrecht einem Generalverdacht ausgesetzt sehen. Ein Verdacht, der falsch sei, erklärte Bechtolsheim und verwies auf das große Engagement Wohlhabender etwa durch Stiftungen. Managementberater Sprenger sprach gar von „Politkriminellen“ und verstieg sich zu der These, die Menschen würden nur deshalb keine Steuern zahlen wollen, weil sie den Politikern nicht vertrauten, dass diese mit dem Geld gut umgehen. Als  Beispiel nannte er die Rettung des Autobauers Opel mit Steuermillionen. Was Sprenger dabei übersah ist, dass es immer Menschen geben wird, die der einen oder anderen Politik nicht vertrauen, ganz einfach schon, weil sie aus einem anderen politischen Lager kommen als die jeweils amtierende Regierung.

Und Anne Will? Die führte in gewohnt charmanter Art und großer Gelassenheit durch die Runde, hakte durchaus nach wo es nötig war und unterbrach – vor allem Geißler und Wagenknecht – wenn die sich mal wieder in Rage geredet hatten. Sogar eine Gemeinsamkeit konnte Will bei Henkel und Geißler heraus kitzeln. Beide sprachen sich dafür aus, die Steueramnestie abzuschaffen, die Steuersündern bei Selbstanzeige Straffreiheit garantiert.

Nur schade, dass niemand Heiner Geißler dazwischenfuhr, als dieser an einer Stelle wirklich danebenlag. Einen Orden habe der Mensch verdient, der die Daten-CD angeboten habe, sagte er. Das ist falsch. Einen Orden hätte derjenige verdient, der Daten, ohne dafür Geld zu fordern, an den Staat weiterleiten würde. Dann würde sich übrigens auch eine Diskussion über „Hehlerei“ erübrigen.