Die vernachlässigten Themen 2009

Die vernachlässigten Themen 2009
Da müssen wir Medien uns mal an die eigene Nase fassen: Nicht alle Themen kommen in der Berichterstattung gleich gut weg. Deswegen hat die Initiative Nachrichtenaufklärung die vernachlässigten Themen 2009 gekürt.

Die Initiative Nachrichtenaufklärung hat erneut auf Lücken in der journalistischen Berichterstattung hingewiesen. Auf die ersten drei Plätze vernachlässigter Themen in deutschen Medien wählten Medienwissenschaftler und Journalisten den Notstand für Pflegebedürftige in Krankenhäusern, die deutsche Rechtsgrundlage für zwangsweise Psychiatrie-Einweisungen und die Umsetzung ziviler Friedensstrategien weltweit. Zu den zehn Top-Themen 2009 zählten auch mangelnde Berichterstattung über Polizeigewalt in Deutschland und über fehlende Finanzaufsicht bei Kirchen, wie die an der Technischen Universität Dortmund und an der Jacobs University Bremen ansässige Initiative am Wochenende mitteilte.

Notstand für Pflegebedürftige

Kommen Pflegebedürftige ins Krankenhaus, müssten sie dort weitgehend auf pflegerische Hilfen verzichten, hieß es zum auf Platz eins gewählten Thema. Denn die Pflegeversicherung zahle dann keine Betreuung mehr und verweise auf eine ausreichende Versorgung im Krankenhaus. Tatsächlich hätten die Pflegekräfte dort aber kaum Zeit für ihre regulären Aufgaben - mit der Folge, dass etwa Mahlzeiten zu schnell abgeräumt oder auffällige Patienten mit Medikamenten ruhiggestellt würden, hieß es. Ein im vergangenen Jahr erlassenes Gesetz habe diese Missstände nicht behoben. Darüber sei kaum berichtet worden.

Die Jury-Mitglieder beklagten auch den Umgang der Bundesregierung mit der UN-Behindertenrechtskonvention - und die fehlende Berichterstattung darüber. Bei zwangsweisen Einweisungen in die Psychiatrie biege sich Deutschland die Konvention zurecht, kritisierten sie. Die UN-Konvention, die seit dem vergangenen Jahr auch für Deutschland gilt, schreibe vor, dass Zwangseinweisungen nur bei strafrechtlichen Verhalten erlaubt seien. Ein Freiheitsentzug aufgrund einer Behinderung sei demnach in keinem Fall gerechtfertigt, erläuterten sie. Deutschland aber habe dies durch das Einfügen des Wortes 'allein' ausgehebelt und ermögliche Zwangseinweisungen aufgrund von Experten-Prognosen. Nun heiße es im deutschen Recht: "Ein Freiheitsentzug 'allein' aufgrund einer Behinderung ist in keinem Fall gerechtfertigt."

Übergriffe der Polizei

Zu wenig sei auch über zivile Friedensstrategien berichtet worden. Die Kriegsberichterstattung lenke von erfolgreichen Beispielen ziviler Konfliktbearbeitung ab, hieß es. Ebenfalls zu kurz in deutschen Medien kommen nach Ansicht der Initiative Nachrichtenaufklärung Berichte über gewaltsame Übergriffe der Polizei in Deutschland. Medien berichteten nur über spektakuläre Einzelfälle, es mangele jedoch an Informationen über das "alltägliche Problem" und darüber, dass es hierzulande keine unabhängige Ermittlungsinstanz gebe.

Die Juroren vermissten zudem eine Debatte in den Medien, warum bestimmte kirchliche Einrichtungen nicht stärker von Finanzbehörden überprüft würden. Kirchliche Einrichtungen öffentlichen Rechts, etwa katholische Klöster ohne Betriebe, seien steuerbefreit und würden deshalb nicht kontrolliert. Ein weiteres Mangelthema sei die kontroverse Debatte über die Gebärdensprache für Gehörlose. Sie werde nur in den wenigsten Gehörlosenschulen unterrichtet. Dabei könnten nur 30 Prozent der gesprochenen Sprache korrekt von den Lippen abgelesen werden.

Mangelhafte Deklarierung von Jodzusätzen in Lebensmitteln sowie der Umgang mit Patenten auf menschliche Gene, mangelnde Kontrollen deutscher Rüstungsexporte und der Umgang mit Sondermüll beim Bauen und Sanieren vervollständigen die Liste der vernachlässigten Themen. Die Initiative Nachrichtenaufklärung wurde nach eigenen Angaben 1997 gegründet. Die Jury setzt sich aus Journalisten und Wissenschaftlern zusammen. Themenvorschläge können von Medienschaffenden, Wissenschaftlern, Institutionen und Bürgern eingereicht werden.

epd