Die Last des Gedenkens: 65 Jahre Befreiung von Auschwitz

Die Last des Gedenkens: 65 Jahre Befreiung von Auschwitz
"Alle hatten wir Tränen in den Augen": Am Mittwoch jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers, das zum Inbegriff des Holocaust wurde, zum 65. Mal. Danuta Balcerczak, 82, ist eine der wenigen, die damals dabei war und die Gedenkfeier jetzt noch erlebt.
26.01.2010
Von Jens Mattern

Danuta Balcerczak reist wieder nach Auschwitz. Sie wird wieder das gestreifte Häftlingshalstuch einpacken, ihre kleine Wohnung im Westen Warschaus verlassen und den langen Weg auf sich nehmen. Danuta Balcerczak war dabei, als das Konzentrationslager vor 65 Jahren durch die Rote Armee befreit wurde. Am 27. Januar will die Überlebende der NS-Vernichtungspolitik - inzwischen 82 Jahre alt - an der Gedenkfeier zur Befreiung des Lagers in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau teilnehmen.

Vor 65 Jahren bekam die junge Polin von der Befreiung des Lagers nicht viel mit. Sie lag mit Typhus in der Krankenbaracke und wog kaum 20 Kilo. Als die sowjetischen Soldaten ins Lager kamen, fanden sie 7.000 Kranke vor. Sie waren schon zu schwach für die "Todesmärsche", auf denen die SS die Häftlinge kurz vor der Befreiung nach Westen trieb. Nach der Befreiung des Lagers starben viele der Geretteten vor Entkräftung.

Niemand wollte ihr glauben

Ihre Eltern hatte Danuta Balcerczak schon zuvor in Lagern in Deutschland verloren. Die Familie war ein halbes Jahr zuvor im ostpolnischen Grodno verhaftet worden, der Vater war Mitglied der polnischen Untergrundbewegung. Lange Zeit schwieg Danuta Balcerczak über das Erlebte, da ihr anfangs niemand glauben wollte. Sie wurde Krankenschwester in der Chirurgie, um anderen zu helfen. Kinder wollte sie keine, denn sie befürchtete, diese könnten später einmal das gleiche durchmachen wie sie selbst.

Zum 20. Jahrestag der Befreiung wagte es Balcerczak den Ort zum erstenmal wieder zu betreten, zusammen mit vielen ehemaligen Häftlingen. "Alle hatten wir Tränen in den Augen", sagt sie. Und auch diesmal wird die Angst ihr Begleiter sein, wenn sie das ehemalige größte Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis betritt. "Aber ich will den vielen Toten, die dort liegen, die Ehre erweisen und für sie beten", sagt sie. Die Nationalsozialisten haben dort Schätzungen zufolge bis zu eineinhalb Millionen Menschen ermordet.

Nur etwa 150 ehemalige KZ-Häftlinge werden in diesem Jahr nach Auschwitz zurückkehren und Kerzen am Lagerdenkmal aufstellen. Vor fünf Jahren waren noch Tausende Überlebende zum 60. Jahrestag der Befreiung des Lagers gekommen. Doch nur noch wenige Auschwitz-Häftlinge leben heute noch.

"Wichtiges Fundament unserer Nachkriegszivilisation"

Im kollektiven Gedächtnis Polens ist Auschwitz-Birkenau deutlich präsent. Im vergangenen Jahr kamen 1,3 Millionen Besucher in die KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Vor allem junge Menschen informierten sich über das Lager, in dessen Gaskammern vor allem Juden aus den von Deutschland besetzten europäischen Ländern den Tod fanden.

"Dieser Ort der Erinnerung ist zu einem sichtbaren und wichtigen Fundament unserer Nachkriegszivilisation geworden", sagt Piotr Cywinski, der Museumsdirektor des ehemaligen Konzentrationslagers.

Doch das Gedenken verschlingt immer mehr Geld, viele Gebäude des Lagers sind verfallen und nicht mehr begehbar. Die Restaurierung wird etwa 120 Millionen Euro kosten, davon will die Bundesregierung 60 Millionen Euro übernehmen. Doch wenn die Gelder nicht bald fließen, sei die Substanz vieler Gebäude nicht mehr zu retten, befürchtet Museumsdirektor Cywinski. Auch in die Sicherheit des fast 200 Hektar großen Geländes muss investiert werden. Der Diebstahl der zynischen Torinschrift "Arbeit macht frei" im Dezember erregte weltweit Aufsehen.

epd