Dass Gauck diesen Weg einschlagen würde, hatte sich in seiner Biografie zunächst nicht abgezeichnet: Geboren und aufgewachsen in Rostock, studiert der Sohn eines Kapitäns Evangelische Theologie. Mehrere Jahre lang ist er als Pastor tätig, von 1982 bis 1990 leitet er die Kirchentagsarbeit in Mecklenburg. Einer oppositionellen Gruppe habe er nie angehört und sei auch nie "Fundamentaloppositioneller" gewesen. Aber auch mit dem Kommunismus habe er nie sympathisiert, sagt Gauck.
Als er elf Jahre alt ist, wird sein Vater vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und für vier Jahre in ein Arbeitslager nach Sibirien verschleppt. Das Erlebnis prägt seine Haltung zur DDR. Später ist es sein Beruf als Pastor, der ihn in Distanz zur staatlichen Doktrin leben lässt. Es ist ein schmaler Pfad, auf dem er sich bewegt. Rückblickend, meint Gauck, sei er allerdings mit Rücksicht auf sein Amt nicht so weit gegangen wie manch anderer Pastor.
"Politischer Missionar" oder "Bruder Unerbitterlich"?
Gauck ist ein brillanter Redner und Rhetoriker. Einer, der sich nicht scheut, vor großen Menschenmengen zu stehen, und der, was wohl noch wichtiger ist, mitreißen kann. Ein Talent, das ihn schnell zu einer Schlüsselfigur der friedlichen Revolution in seiner mecklenburgischen Heimat macht. In Rostock, das DDR-weit zu den Schlusslichtern der Revolution zählt, wird er im Herbst 1989 zu einem der Köpfe des kirchlichen und öffentlichen Protests.
In den Jahren 1989 und 1990 legt der Vater von vier Kindern eine rasante Politkarriere an den Tag: Er wird Sprecher des Neuen Forums und kandidiert im März 1990 für "Bündnis 90" bei der ersten und zugleich letzten freien DDR-Volkskammerwahl. Als Abgeordneter leitet er den Parlamentsausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Stasi-Ministeriums. Gegen Ende der DDR wird er zum "Sonderbeauftragten" für die Stasi-Unterlagen berufen und bleibt in diesem Amt auch nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990.
Bald schon steht sein Name sinnbildlich für die Einrichtung, für die er arbeitet. Als Leiter der Gauck-Behörde wird er von vielen geliebt, von seinen Gegnern gehasst. Gauck ist umstritten. Für die einen ist er der "Aufklärer" der Stasi-Vergangenheit. Andere kritisieren ihn als "politischen Missionar", nennen ihn "Bruder Unerbittlich".
Der Tag, an dem erstmals 50 Stasi-Opfer ihre Akten lesen
Neben der politischen Wende beginnt für ihn im Herbst 1989 auch eine persönliche Wendezeit: Er trennt sich von seiner Frau, zieht nach Berlin. "Der Aufbruch im politischen Bereich hat auch im Privatleben zu einem Abschied geführt", resümiert Gauck.
Heute ist er als Redner und Vortragsreisender in Deutschland unterwegs. Zahlreiche Auszeichnungen hat der Theologe für sein Engagement erhalten: Der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ist darunter, aber auch der Erich-Kästner-Preis. Seit 2003 ist Gauck Vorsitzender des Vereins "Gegen das Vergessen - für Demokratie", eine Vereinigung, die an die Verbrechen der NS-Zeit erinnern und Demokratiebewusstsein schärfen will.
Sich selbst hat Gauck einmal als "freischaffenden Politiklehrer" bezeichnet. Vor kurzem hat er eine Biografie veröffentlicht, in der er seine politischen Erfahrungen niedergeschrieben hat. Besonders eingeprägt hat sich ihm der Tag, an dem erstmals rund 50 Stasi-Opfer ihre Akten lesen konnten. "Das werde ich nie vergessen - Erleichterung, Ernüchterung, Enttäuschung, Entsetzen, Wut, gemischt mit Lachanfällen und ungläubigem Staunen", erinnert sich Gauck heute.