Kirche und Bildung gehören zusammen

Kirche und Bildung gehören zusammen
In einer neuen "Orientierungshilfe" betont die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die zentrale Rolle ihres Bildungsauftrags. Besonders für Gemeinden hält das Papier neue Herausforderungen bereit.
20.01.2010
Von Thomas Bastar

"Kirche und Bildung, das gehört aufs engste zusammen", schrieb die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann im Vorwort zum EKD-Bildungspapier. Sie erinnerte dabei an Martin Luther. Auf ihn gehe letztlich die Forderung "Bildung für alle" zurück. Sie hätte auch den Reformator Philipp Melanchthon nennen können, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 450. Mal jährt und der durch seine Schulgründungen, Lehrbücher und Kirchenordnungen das evangelische Schulwesen auf den Weg gebracht hat.

Heute ist die evangelische Kirche auf vielen Bildungsfeldern tätig: im Religionsunterricht staatlicher Schulen, in eigenen Schulen und Hochschulen, in Kindertagesstätten, in der Kinder- und Jugendarbeit, in der Erwachsenenbildung. Dass die EKD sich jetzt mit einem Bildungspapier an die Öffentlichkeit wendet, ist als Zeichen dafür zu verstehen, dass sie auch künftig in allen diesen Bereichen engagiert bleiben will.

Bildung hilft, neue Generationen an die Kirche heranzuführen

Das ist angesichts immer knapperer Finanzmittel nicht selbstverständlich. Die Autoren der Bildungsschrift - Experten aus Kirche, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, die der EKD-Kammer für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend angehören - machen sich dafür stark, bei der Auswahl dessen, was die Kirche weiterhin finanziert, einen Schwerpunkt auf Bildung zu setzen. Das entspricht dem evangelischen Bildungsverständnis seit Luther und Melanchthon. Und, noch wichtiger: Es verbessert die Chancen, neue Generationen an die Kirche heranzuführen.

Bildung meint dabei mehr als Schule und Berufsausbildung:

  • Vernetzung der verschiedenen Bildungsangebote ist ein wichtiges Stichwort – in der bildungspolitischen Debatte wie im EKD-Papier. Kitas arbeiten mit Grundschulen und Familienzentren zusammen, Förderschulen mit der Jugendhilfe. Besonders die neuen Ganztagsschulen brauchen die Verknüpfung von schulischen und außerschulischen Bildungsangeboten. Kirchengemeinden oder Kirchenkreise könnten zum Ausgangspunkt lokaler und regionaler Vernetzung werden, schlägt das EKD-Bildungspapier vor. In der Tat eine wichtige und größtenteils wohl neue Aufgabe für Kirchengemeinden.
     
    Dazu gehört auch, dass die Gemeinden ihren Blick weiten. Häufig sind evangelische Gemeinden "mittelschichtlastig". Da werden Nöte und Bedürfnisse benachteiligter Menschen vielleicht insofern wahrgenommen, als in sozialen Notlagen diakonisch geholfen wird. Bildungsdefizite lindern zu helfen, könnte zu einer neuen Aufgabe der Gemeinden werden.
     
  • Nach PISA, TIMSS, IGLU und wie die Schulleistungsstudien alle heißen, wissen wir, dass die soziale Herkunft in Deutschland ganz entscheidend über den Schulerfolg bestimmt. Die Förderung sozial Benachteiligter ist darum eine wichtige bildungspolitische Aufgabe für die Zukunft der Gesellschaft. Mit Förderschulen, Jugendhilfe und Beratungsangeboten sind Kirche und Diakonie hierbei seit langem engagiert. Die Autoren des neuen EKD-Papiers fragen darüber hinaus, "wie die Unterstützung von Menschen mit einem besonderen Förderungsbedarf als Dimension aller kirchlichen Bildungsangebote verstärkt realisiert werden kann, beginnend im Elementarbereich bis hin zur Konfirmanden- und Jugendarbeit". Auch hierin liegen neue Aufgaben für Kirchengemeinden.
     
  • Aber nicht nur auf die Bedürfnisse der sozial Schwachen weist das Bildungspapier hin - es spricht sich auch für den Aufbau einer "Verantwortungselite" aus. Gemeint ist damit: Eine Gesellschaft braucht neben Führungskräften in Wirtschaft und einer wissenschaftlich-technischen Elite auch Menschen, die "Verantwortung für andere sowie für das gesamte Gemeinwesen und im globalen Zusammenhang" übernehmen. Neben den evangelischen Schulen und dem evangelischen Studienwerk Villigst nennen die EKD-Autoren auch hierbei wiederum Angebote der Kirchengemeinden und -kreise, etwa die Ausbildung von Jugendgruppenleiterinnen und –leitern.
    Eine evangelisch geprägte Verantwortungselite ermögliche der Kirche zudem "eine Präsenz in gesellschaftlichen Bereichen und Positionen, in denen das christliche Verständnis von Mensch und Wirklichkeit besonders nachhaltig zum Tragen kommen kann." Das ist sehr evangelisch verschlüsselt formuliert - gemeint ist offenbar, dass unter den Entscheidern in Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft aktive evangelische Christen vertreten sein sollen.
     
  • Aus Migration und Globalisierung ergeben sich neue Herausforderungen: Die Zahl evangelischer Kinder und Jugendlicher sinkt. Konfessionslose und muslimische Kinder und Jugendliche nehmen verstärkt evangelische Bildungsangebote in Anspruch. Eine generelle Offenheit für Pluralität und ein geschärftes evangelisches Profil müssen dabei keine Gegensätze sein, betonen die Autoren des EKD-Papiers. Die ökumenische Orientierung und die Dialogbereitschaft mit andere Religionen und Weltanschauungen gehöre zentral zum evangelischen Profil. Einen klaren Merksatz schreiben sie allen evangelischen Bildungsverantwortlichen ins Stammbuch: "Je deutlicher das Profil hervorgehoben wird, desto größer sollte auch die Offenheit sein – und je größer die Offenheit sein soll, desto schärfer muss das Profil werden."
     
  • Die "Maße des Menschlichen" sind nicht nur der Titel der großen EKD-Bildungsdenkschrift von 2003, auf die das neue Papier immer wieder Bezug nimmt. Sie sind auch die zentrale evangelische Forderung an Bildungsangebote überhaupt. Hiermit wendet sich die Kirche gegen eine funktionelle Verkürzung: Bildung ist mehr als Fitmachen für den Beruf, zielt auf mehr als auf wirtschaftliche Verwertbarkeit. Sie würdigt dabei auch die oft von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragenen Angebote als "Bildung", etwa in der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit, der Elternberatung oder in bürgerschaftlichen Initiativen.

Die Bildungs- und Teilhabegerechtigkeit ist ein Thema, das die Evangelische Kirche mit dem neuen Papier auf die Agenda setzt. Auch die nächste EKD-Synode in diesem November und ebenso der nächste Bundeskongress der Evangelischen Schulen im September werden sich mit diesem Zukunftsthema beschäftigen.

Weitere Informationen zum Thema:

Orientierungshilfe "Kirche und Bildung" - online unter www.ekd.de/download/kirche_und_bildung.pdf
EKD-Denkschrift "Maße des Menschlichen": www.ekd.de/EKD-Texte/44595.html
Neue Melanchthon-Broschüre der EKD - erhältlich unter www.chrismonshop.de 


 

Thomas Bastar ist freier Journalist in Hamburg und schreibt vor allem über Kirche, Bildung und soziale Themen. Er leitet zudem die Redaktion der Halbjahres-Zeitschrift "klasse, die Evangelische Schule".