Journalisten sind kein Spiegel der Gesellschaft

Journalisten sind kein Spiegel der Gesellschaft
Studien zeigen: Journalisten kommen überwiegend aus der Mittelschicht und sind somit kein Spiegel der Gesellschaft. Darunter könnten Qualität und Vielfalt leiden.
20.01.2010
Von Maike Freund

Sie ist Akademikerin, auch ihre Eltern haben einen Uni-Abschluss, ebenso wie fast alle ihre Freunde: Judith Voss ist eine typische Nachwuchsjournalistin – wenn man Studien berücksichtigt. Peter Ziegler untersuchte 2008 die soziale Herkunft und die Arbeitsbedingungen von Schülern an Journalistenschulen. Das Ergebnis: Der Nachwuchs kommt überwiegend aus der Mittelschicht und rekrutiert dort seine Freunde. Die Eltern von jungen Journalisten sind häufig Lehrer, Schüler aus der Arbeiterschicht fehlen gänzlich. Zieglers Fazit: Journalistenschulen bilden mediale Eliten aus. Die mögliche Konsequenz: Die homogene Schicht der Journalisten könnte sich auf die Themenauswahl in den Redaktionen auswirken. Und damit nicht mehr die Wirklichkeit abbilden.

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"Das ist Quatsch", sagt die 28-jährige Voss, die selbst seit einem Jahr die Henri-Nannen-Schule in Hamburg, eine der Top-Adressen der Journalistenschulen in Deutschland, besucht. Ihre Beobachtungen sind, dass gerade Reportagen aus Rand-Milieus gerne geschrieben und veröffentlicht werden. Trotzdem: Die meisten Leute, mit denen sie sich nach der Arbeit oder am Wochenende trifft, sind ebenfalls Journalisten – das gilt nicht nur für Hamburg. Auch ihr Freundeskreis in Bonn, wo sie Nordamerika-Wissenschaften, Politik und Germanistik studiert hat, ist eher akademisch. Da liegt die Vermutung nahe, dass soziale Realitäten selektiv wahrgenommen werden.

Objektive Darstellung?

Die Frage nach der objektiven Darstellung stellten sich auch Siegfried Weischenberg, Journalistik-Professor an der Universität Hamburg, und seine Kollegen Maja Malik und Armin Scholl. In einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2007 kam heraus: Mehr als zwei Drittel der Journalisten (Stichprobe unter 1.536 Befragten) haben ein abgeschlossenes Studium, nur drei Prozent machten kein Abitur. Zum Vergleich: In Deutschland hatten 2008 laut Statistischem Bundesamt 24 Prozent der Bevölkerung ein Abitur, 39 Prozent einen Hauptschulabschluss. Der höchste Bildungsabschluss von zwölf Prozent der Deutschen war ein Studium, 28 Prozent der Bevölkerung hatte keinen Berufsabschluss.

"Journalisten unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer formalen Bildung vom Durchschnitt der Bevölkerung. Sie rekrutieren sich auch sehr deutlich vor allem aus einem Bereich der Gesellschaft: der Mittelschicht. Rund zwei Drittel der Väter von Journalisten (66,7 Prozent) sind oder waren Angestellte oder Beamte; Kinder von Arbeitern stellen eine kleine Minderheit (8,6 Prozent)", heißt es in der Studie. "Journalisten sind in ihrer sozialen Zusammensetzung also nicht der Spiegel der Bevölkerung – so wenig wie Ärzte, Anwälte oder Wissenschaftler."

Zu wenig Frauen?

Auch Melina Ulbrich fällt laut Studien in die Kategorie typischer Nachwuchsjournalisten. Sie arbeitet als Journalistin und macht gerade ihr Journalistik-Diplom an der TU Dortmund. Ein Volontariat hat die 30-Jährige schon vor dem Studium beim "Remscheider General-Anzeiger" absolviert. Beide Elternteile sind Lehrer, ihr Vater arbeitete später hauptamtlich als Politiker. Der Großteil ihrer Freunde kommt aus Mittel- oder Oberschicht, darunter sind viele aus der Medienbranche. Wie Voss glaubt sie aber nicht, dass sich daraus eine eingeschränkte Sicht auf relevanten Themen ergibt. Ob die richtigen Protagonisten in den Artikeln zu Wort kommen? "Gerade im Volo wurden ich dazu angehalten, viele Aspekte – und damit auch unterschiedliche Blickwinkel – aufzuzeigen." Dennoch denkt sie, dass nicht in allen Bereichen ausgewogen berichtet wird: "Auch wenn's altmodisch klingt, aber Frauen werden zum Beispiel in der Berichterstattung oft völlig übergangen."

Es ist jedoch nicht nur der Bildungsstand, der Journalisten homogen erscheinen lässt. Ziegler untersuchte in seiner Studie auch die Auswirkungen von Netzwerken. Ulrich Brenner, Leiter der Journalistenschule München: "Es gibt kaum eine Redaktion in Deutschland, noch nicht einmal eine Pressestelle, in der nicht Absolventen der Journalistenschule drin sind." Man würde "hineingeboren" in dieses Netzwerk, eine gute Möglichkeit für den Nachwuchs, dort später einmal "anzudocken". Netzwerke sind also Teil des Journalistenschulen-Systems.

Die Bedeutung der Netzwerke

Ziegler fragte in seiner Studie 58 Absolventen auch nach der Wichtigkeit von Netzwerken für ihren beruflichen Werdegang – somit ist die Studie nicht repräsentativ. Trotzdem gibt sie einen Überblick über die Einstellungen junger Journalisten: 46 Prozent stuften Netzwerke als sehr wichtig oder wichtig ein, um Fuß fassen zu können – noch wichtiger als Glück oder Fortbildung.

Als Schülerin der Henri-Nannen-Schule ist Judith Voss Teil eines dieser Netzwerke aus Journalisten, die mit dem Verlag "Gruner + Jahr" und der Wochenzeitung "Die Zeit" verbandelt sind. Und da kann es schon mal vorkommen, dass die ein oder andere Berühmtheit in den Seminaren oder Schulungen während der Ausbildung vorbei schaut. Letztens war es zum Beispiel Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der "Zeit". Auch durch die verschiedenen Praktika, die Teil der Ausbildung sind, lernt sie viele Kollegen kennen. Zukünftige potentielle Arbeitgeber, auf jeden Fall aber Kontakte, die nie schaden. 


Maike Freund ist freie Journalistin und lebt in Dortmund. Sie studiert Journalistik an der TU Dortmund.