"Wir waren ordentliche Schüler"

"Wir waren ordentliche Schüler"
Joel und Ethan Coen sind für viele die Kult-Filmemacher schlechthin. Mit frühen Werken wie "Barton Fink" (1991) oder "Fargo" (1996) haben sich die Gebrüder fest ins filmische Gedächtnis der internationalen Cineastengemeinde eingeschrieben. Für "No Country for Old Man" erhielten die Coens 2007 gleich drei Oscars. Trotz der Verlockungen des Erfolges haben sie ihre eigene Handschrift immer gegen die Ansprüche des Mainstream-Kinos verteidigt. In ihrem neuen Film "Serious Man" reisen sie nun zurück an den Ort ihrer Kindheit: eine jüdische Gemeinde Im Mittleren Westen der späten sechziger Jahre.
19.01.2010
Von Martin Schwickert

evangelisch.de: Inwieweit baut „Serious Man“ auf Ihren eigenen Kindheitserinnerungen auf?

Ethan Coen: "Serious Man" ist keine autobiografischen Geschichte. Nur das Setting des Films hat biografische Bezüge. Die Geschichte spielt mehr oder weniger dort, wo wir aufgewachsen sind: in einer kleinen jüdischen Gemeinde im Minnesota. Aber weder die Figuren noch die Story beruhen auf eigenen Erlebnissen.

evangelisch.de: Ist das dennoch Ihr persönlichster Film?

Ethan Coen: Ja, das kann schon stimmen. Auch wenn keine autobiografischen Erlebnisse erzählt werden, spiegelt der Film das Gefühl wieder, das wir zu der Zeit und dem Ort unserer Kindheit haben. Aber deshalb fühlen wir uns "Serious Man" nicht mehr verbunden als unseren anderen Filmen.

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evangelisch.de: Warum war es für Sie an der Zeit an den Ort Ihrer Kindheit zurückzukehren?

Joel Coen: Den ersten Drehbuchentwurf haben wir schon vor ein paar Jahren entwickelt. Damals hatten wir drei Skripts – "No Country for Old Men", "Burn after Reading" und dieses hier – mehr oder weniger direkt hintereinander geschrieben. Die Reihenfolge in denen wir die Filme dann realisiert haben, folgte eher praktische Notwendigkeiten. Wir haben ja mit "Fargo" auch schon einmal in dieser Gegend gedreht, aber da ging es nicht um die jüdische Community.

Ethan Coen: Im Großen und Ganzen hängt das mit dem Alter zusammen. Wir hätten diesen Film sicher nicht mit 25 machen können. Es wird erst interessant an den Ort seiner Kindheit zurück zu kehren, wenn man lange und weit genug von dort weg ist.

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Jugend in den wilden Sechzigern

evangelisch.de: Wie sah denn Ihre eigene Jugend in den wilden Sechzigern aus?

Joal Coen: Wir sind in einem sehr wachsamen Haushalt aufgewachsen und zur hebräischen Schule gegangen. Wir waren typische Kinder unserer Zeit, die auf eine religiöse Schule gehen mussten, auch wenn sie nicht gerade verrückt danach waren.

Ethan Coen: Es gab natürlich viele religiösen Vorschriften und Verpflichtungen. Aber beim Jüdisch-Sein geht es ja nicht nur um religiöse Fragen, sondern auch um eine ethnische Zugehörigkeit. Selbst wenn wir uns nicht so sehr für die religiösen Details interessiert haben, ist das Judentum ein großer Teil unserer eigene Identität. Aber wenn man in den Sechzigern aufgewachsen ist, sammelt man seine Impressionen von überall her. Wir haben in unserer Jugend jüdische Kantoreismusik genauso gehört wie "Jefferson Airplane".

evangelisch.de: Inwieweit hat die Tatsache, dass Sie in dieser Subkultur aufgewachsen sind, ihre Art als Filmemacher Geschichten zu erzählen beeinflusst?

Joel Coen: Das ist eine interessante Frage. Ich bin sicher, dass uns die jüdische Subkultur sehr beeinflusst hat, aber ich glaube auch, dass der Einfluss der Popkultur der sechziger Jahre sehr viel größer war. Vielleicht war es auch gerade die Spannung, der Kontrast zwischen der jüdischen Subkultur und der amerikanischen Popkultur jener Jahre, die uns als Künstler geprägt hat.

Ordentliche Schüler

evangelisch.de: Ist Ihre Bar Mitzwa ähnlich chaotisch abgelaufen wie im Film?

Joel Coen: Nein, wir waren nicht bekifft. Wir waren ordentliche Schüler.

evangelisch.de: Am Anfang gibt es einen märchenhaften Prolog, der in einem galizischen Schtetl Ende des 19.Jahrhunderts spielt. Ist die Geschichte als böses Omen für Ihre Figur Larry zu verstehen?

Ethan Coen: Alle denken, dass wir uns da unheimlich was bei gedacht haben. Aber das ist nicht der Fall.

Joel Coen: Irgendwie hatten wir das Gefühl, dass die Szene ein interessanter Botschafter für den Film sei, ohne dass wir wirklich erklären zu können warum.

evangelisch.de: Larry wird von einen Schicksalsschlag nach dem anderen heimgesucht. Warum quälen Sie Ihre Figuren so gern?

Ethan Coen: Es hat einfach Spaß gemacht, diesem Mittelklassetypen möglichst viel Ballast auf die Schultern zu laden. Unser Leitfaden war: Der Mann hat ein Problem, wie können wir es noch schlimmer machen? Wenn etwas Schlimmes passiert, bringt das eine Story immer mehr voran, als wenn etwas Gutes geschieht.

Promi-freie Zone

evangelisch.de: Sie haben schon mit George Clooney, Brad Pitt und vielen anderen Hollywoodstars gearbeitet. Warum haben Sie diesen Film zur promi-freien Zone erklärt?

Joel Coen: Wir wollten die Illusion herstellen, dass man in diesem Film eine Scheibe vom Leben in dieser Zeit an diesem Ort vor sich hat. Und ein bekannter Filmstar von heute hätte diese Illusion zerstört. Je weniger bekannt die Gesichter sind, desto besser war das für diese Geschichte. Außerdem gibt es nicht viele Filmstars, die darauf warten einen vierzigjährigen jüdischen Mann aus dem Mittleren Westen zu spielen.

evangelisch.de: Finanzielle Gründe spielten dabei keine Rolle?

Ethan Coen: Nein, wir haben ja auch schon oft mit Hollywood-Stars gearbeitet, die nicht ihr Star-Gehalt verlangt haben.

Kein Spaß an Promotion

evangelisch.de: Wie genau halten Sie sich an Ihr Skript? Wird am Set noch viel geändert oder improvisiert?

Ethan Coen: Wir verändern nur wenig am Skript. Es kommt aber auch auf den Schauspieler an. Manche Sätze hören oder fühlen sich aus dem Mund eines bestimmten Schauspielers nicht richtig an und müssen angepasst werden. Aber bei Michael Stuhlbarg war das nicht der Fall. Er ist einer der Schauspieler, der komplett mit dem Text verschmilzt.

evangelisch.de: Sie schreiben das Drehbuch, führen Regie und produzieren Ihre Filme selbst. Wo setzt da der Schmerz ein?

Joel Coen (lacht): Sagen wir es einmal so: Raus zu gehen und in Hotelzimmern wie diesem Promotion für unsere Filme zu machen - das ist nicht gerade der Teil des Prozesses, der uns am meisten Spaß macht.
 


Martin Schwickert ist freier Journalist und lebt in Berlin.