Denn erstens mussten die Coens im Interview mit einem jüdischen Onlinemagazin schmunzelnd zugeben, dass sie selbst nicht mehr genau wüssten, wo sie den angeblichen Spruch des einflussreichen Talmudlehrers eigentlich herhaben. Und zweitens scheint das Schicksal ihres "Helden" Larry Gopnik der lebende Beweis dafür zu sein, dass es kaum etwas Fataleres gibt, als der genannten Maxime zu folgen.
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Das Jahr ist 1967, der Ort eine kleinbürgerliche Vorortsiedlung im Niemandsland des amerikanischen Mittelwestens. Larry Gopnik, respektiertes Mitglied der jüdischen Gemeinde, arbeitet als Physikprofessor am örtlichen College. Er ist in jeder Hinsicht ein "seriöser", ein "ernsthafter" Mann. Doch sein biederes Leben gleicht in jeder Hinsicht einem Katastrophengebiet.
Zickige Tochter
Seine Frau will sich für einen anderen Mann von ihm scheiden lassen und sein pubertierender Sohn Danny interessiert sich allein für die Rockband Jefferson Airplane, fürs Kiffen und für den störungsfreien Empfang seiner Lieblings-Fernsehserie; seine zickige Teenage-Tochter denkt nur ans Haarewaschen und die Finanzierung ihrer Nasen-OP und verschwindet allabendlich in einer ominösen Diskothek namens "The Hole". Zur gleichen Zeit wird Larrys Beförderung am College durch anonyme Verleumdungsbriefe gefährdet. All das (und noch viel mehr) nimmt Larry Gopnik mit geradezu aberwitziger Reaktionslosigkeit hin.
"A Serious Man" ist eine Reflexion über die vermeintlichen Widersprüche und die gegenseitige Durchdringung von religiösem "Glauben" und rationalem "Wissen". Diese Themenkomplexe verdichten sich zu einer tragikomischen Hiobs-Geschichte, bei der man gleichsam nie genau weiß, wo die Coen-Brüder die Grenze ziehen zwischen feixender Ironie und existenzialistischer Sinnsuche.
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Der biblische Hiob, das ist in "A Serious Man" natürlich Larry Gopnik, der durch furchtbare Schicksalsschläge in seinem Glauben erschüttert wird. Einerseits nimmt er die demütigenden Geschehnisse mit einer Unterwürfigkeit hin, als ließe das Schicksal sich ohnehin nicht abwenden; andererseits bleibt er unerschütterlich optimistisch und begibt sich auf eine sehr zielgerichtete Suche nach Antworten auf die Frage, wie es einen Gott geben kann, wenn ausgerechnet einem guten Menschen wie ihm solcherlei Unbill widerfährt.
Hommage an jüdisches Lebens in Amerika
Er besucht drei Rabbiner, die ihm gleichwohl nicht weiterhelfen können: der Erste ist ein emphatischer Grünschnabel, der kaum mit den religiösen Terminologien vertraut ist und in seinem winzigen Büro vom "göttlichen Wunder des Parkplatzes" erzählt; der Zweite ein selbstgefälliger Schwafler in einem luxuriösen Büro, dem die religiösen Symbole vor allem Zierde seiner Macht sind; der Dritte schließlich, ein Greis in einem riesigen, schummrigen Büro voller Kuriosa, will Larry gar nicht erst empfangen. Die vermeintlich trivialen Weisheiten der drei Rabbiner, im ersten Moment komödiantische Kabinettstücke, lassen sich als genuin philosophische Blicke auf die Welt betrachten - und dass Gott möglicherweise durch die Verse einer Rockband wie The Jefferson Airplane zu den Menschen spricht, ist so oder so ein sympathischer Gedanke.
"No Jews were harmed in the making of this motion picture" heißt es ganz am Ende des Abspanns von "A Serious Man", ein Gag, der mögliche Vorwürfe eines "jüdischen Antisemitismus" höhnisch ad absurdum führt. Aber nicht nur das: anders als bei dem pathetischen Rashi-Zitat zu Beginn darf man den abschließenden Spruch wörtlich nehmen: Durch diesen Film wurde niemand verletzt. "A Serious Man" ist eine liebevolle Hommage an die Erfahrung jüdischen Lebens in Amerika - Coen-Style.
USA 2009. Regie & Buch: Joel & Ethan Coen. Mit: Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed, Sari Lennick, Aaron Wolff, Adam Arkin, Jessica McManus. 105 Min. FSK: ab 12 Jahre.