Hölle auf Haiti: Dramatische Lage für Bebenopfer

Hölle auf Haiti: Dramatische Lage für Bebenopfer
Während Retter aus aller Welt sich nach Haiti aufmachen, kommt die Hilfe in den von Leichen übersäten Straßen der vom Beben zerstörten Hauptstadt nur sehr langsam an. Korrespondenten internationaler Fernsehsender berichteten in der Nacht zum Freitag von dramatischen Szenen und einer zunehmend verzweifelten Bevölkerung in Port-au-Prince.

Wegen ausbleibender Hilfe aufgebrachte Haitianer hätten Straßensperren aus Leichen errichtet. Noch immer graben die Menschen zumeist mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden. Bereits die dritte Nacht in Folge verbrachten die meisten Einwohner von Port-au-Prince im Freien; aus Angst vor Nachbeben oder weil ihre Häuser zerstört sind.

US-Flugzeugträger zu Rettungsarbeiten erwartet

Ein Reporter des "Time"-Magazins berichtete laut BBC von mindestens zwei Straßensperren, die verzweifelte Menschen in Port-au-Prince aus den Leichen der Erdbebenopfer errichtet hätten. Sie fühlten sich alleingelassen und wollten so gegen die ausbleibende Hilfe protestieren, hieß es. Nach Berichten von CNN-Korrespondenten wurden massenhaft Tote von den Straßen gesammelt und mit Radladern in große Lastwagen gekippt. Eine Identifizierung der Opfer sei kaum mehr möglich. Dafür fehle es an Zeit und Personal.

Im Laufe des Tages soll in den Gewässern vor Haiti der US-Flugzeugträger "Carl Vinson" mit 19 Hubschraubern und tausenden Soldaten eintreffen. Von ihm erhoffen sich die Hilfsorganisationen eine Beschleunigung der Rettungsarbeiten. Die USA wollten außerdem sechs weitere Schiffe auf den Weg schicken, darunter drei Amphibienschiffe ebenfalls mit Helikoptern und 2.200 Marineinfanteristen sowie ein Lazarettschiff. Insgesamt werden sich nach Angaben des US-Südkommandos in Miami (Florida) am Wochenende mehr als 6.000 Angehörige der US-Streitkräfte zur Unterstützung der Hilfsmaßnahmen in Haiti oder in Küstennähe aufhalten.

Chaos, Tod und Verwüstung

Der beschädigte Flughafen der Hauptstadt erwies sich am Donnerstag als größtes Hindernis für ein rasches Anlaufen der Rettungsarbeiten. "Dank der sofortigen Hilfe so vieler Staaten haben wir sehr viel Personal und Hilfsgüter. Aber wir müssen sie ja auch ins Land bringen. Die Flughäfen sind der Flaschenhals", klagte UN- Nothilfekoordinator John Holmes in New York.

Den Helfern, die Port-au-Prince erreichten, bot sich ein Bild von Chaos, Tod und Verwüstung. Zwischen Leichenbergen und Ruinen irrten tausende verletzt, hungernd und traumatisiert durch die Trümmerstadt. Erste Plünderungen wurden gemeldet. Luftbilder zeigten Landschaften wie nach einem Flächenbombardement. Trümmer in den Straßen machen ein Vorankommen für die Rettungskräfte vielerorts unmöglich. Haitis Regierung befürchtet zwischen 50.000 und 100.000 Tote. Etwa drei der neun Millionen Einwohner Haitis sind nach Angaben des Roten Kreuzes in Not.

Schwere Schäden auch im Süden von Haiti

Schwere Schäden richtete das Beben auch im Süden des Karibikstaates an. Die Deutsche Welthungerhilfe will sich deshalb auch auf den Süden Haitis konzentrieren. Dort sei eine Reihe von Städten und Ortschaften schwer beschädigt worden, sagte am Donnerstagabend (Ortszeit) der Repräsentant der Organisation in Haiti, Michael Kühn, der Deutschen Presse-Agentur dpa. Großen Bedarf an Hilfe gebe es beispielsweise auch in Jacmal, Petit Goave und Leogane. Dort sei die internationale Staatengemeinschaft aber noch nicht "besonders engagiert".

Die Lage sei auch deshalb schwierig, weil durch die Katastrophe auch die Vereinten Nationen in dem Land und die haitianische Regierung selbst in Mitleidenschaft gezogen worden seien. "Aber die UNO beginnt, sich wieder zu organisieren und die Arbeit zu verteilen, medizinische Hilfe zu organisieren und die Wasserversorgung in die Hände zu nehmen", sagte Kühn, der seit vielen Jahren in Haiti lebt und arbeitet. 

Gigantische Welle der Hilfsbereitschaft

Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist bisher aber ebenso unklar wie das Schicksal vieler der knapp 100 Deutschen in dem Inselstaat. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, eine Gruppe von sechs Bundesbürgern sei zurück nach Deutschland geflogen. Andere seien über den Landweg in die benachbarte Dominikanische Republik ausgereist.

Die weltweite Betroffenheit löste eine gigantische Welle der Hilfsbereitschaft aus. US-Präsident Barack Obama sagte 100 Millionen US-Dollar (rund 69 Millionen Euro) zu. Haiti habe derzeit oberste Priorität für seine Regierung, sagte Obama. Auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds machten Zusagen in Höhe von je 100 Millionen Dollar.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy machte sich unterdessen für eine internationale Wiederaufbau-Konferenz für Haiti stark. Über diesen Vorschlag wolle er mit Obama sprechen, sagte er in Paris. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft plant für Montag ein Sondertreffen der europäischen Entwicklungshilfeminister zu Haiti. 

dpa