Schwarzes Gold in Ecuador: David gegen Goliath

Schwarzes Gold in Ecuador: David gegen Goliath
Bis 2002 hat der Ölmulti Texaco Öl in Ecuador gefördert. Hinterlassen hat er eine zerstörte Umwelt, für die er sich nicht zuständig fühlt. Die Ureinwohner leisten Widerstand gegen den Ölkonzern.
13.01.2010
Von Friederike Rüll

Von Quito im bergigen Hochland Ecuadors fährt der Überlandbus fast eine ganze Nacht in den Nororiente, den nordöstlichen Tropenwald. Aus dem nebligen Blätterkoloss ragen einzelne Palmen weit in den Himmel, gebeugt vom Wind. Plötzlich: mitten im Dunkel ein Meer aus gelben Lichtern. Zinnen, Kuppeln, Türme tauchen auf. Aber dies ist kein Märchenschloss, sondern eine Anlage zur Veredelung von Erdöl. Von da an begleitet die Straße ein dickes Rohr, eine Pipeline für das schwarze Gold aus den Wäldern im Norden.

Auf den ersten Blick ist das Erdöl ein Segen für ein armes Land wie Ecuador. Immerhin macht es 60 Prozent seiner Auslandsexporte aus. Aber fraglich ist, ob diese Exporte den Ecuadorianern wirklich zu einem besseren Leben verhelfen. Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Besuch in Lago Agrio an der kolumbianischen Grenze hilfreich. Die Stadt wurde in den 1970er Jahren mitten in den Regenwald gebaut, eine schmutzige Stadt für die Ölarbeiter, die Petroleros. Sie wohnen in schäbigen, fensterlosen Hotels entlang der beiden Hauptstraßen, auf denen mehr Tankwagen fahren als Autos. Touristen verirren sich selten hierher. Die Stadt ist eine der ärmsten des Landes, außer der Ölindustrie gibt es hier nichts zu sehen.

Außerhalb der schwarzen Stadt erstreckt sich ein von Schneisen zerschnittener Wald. Der Umweltaktivist Daniel Moncayo schlägt mit einer Machete einen Pfad frei zu einem Bach. Auf dem Wasser glitzern in allen Regenbogenfarben Ölschlieren. "Das ist seit 1964 so", sagt Moncayo. "Seit sie mit der ersten Bohranlage dort drüben anfingen, in Lago Agrio Öl zu fördern, sind unsere Flüsse verseucht."

Zerstörte Umwelt: Ölkonzern fühlt sich nicht zuständig

Die Bevölkerung muss damit leben. Zwischen Indianerdörfern, in denen Scharen von Kindern im Fluss planschen, als wäre nichts geschehen, hat der Ölmulti Texaco, der heute Chevron heißt, bis 2002 Öl gefördert. Hinterlassen hat er zwischen 600 und 1.000 offene Öl-Bassins, manche so groß wie ein halbes Fußballfeld. In der Regenzeit kommt Wasser hinein, dann versickert das überlaufende Ölgemisch im Boden. Zwar wachsen hier noch Farne, aber kein Vogel ist zu hören. Es riecht nach Tankstelle. Moncayo zieht sich Gummihandschuhe an und berührt den Boden. Seine Hände glänzen ölschwarz.

Der Münchner Umweltreferent Joachim Lorenz steht kopfschüttelnd am Rand der Grube. Die offenen Ölbecken mitten im Wald machen ihn sprachlos. Er ist mit einer Delegation des internationalen Klima- Bündnisses hergekommen, um zu sehen, wie der Rohstoff gewonnen wird, der den Durst Europas nach Diesel stillen soll. Ein einziger Tropfen Erdöl, sagt Lorenz, macht etwa tausend Liter Grundwasser ungenießbar.

Klimabündnis-Koordinator Dietmar Mirkes spricht von den Bassins als größtem Umweltdesaster, das je ein Konzern auf dem Kontinent angerichtet hat. Damit meint er noch gar nicht die fast wöchentlich entstehenden Lecks in Förderanlagen und Pipelines, bei denen bis heute 63 Millionen Liter Öl ausliefen, oder die 60 Milliarden Liter giftiges Formationswasser, ein Nebenprodukt der Ölförderung, in Ecuadors Flüssen.

Bei Texaco fühlt man sich für ökologische Altlasten nicht zuständig: In den Verträgen von 1964 war keine Rede von ihrer Entsorgung. Seit Jahren klagt deshalb die ecuadorianische Umweltschutzorganisation Frente de la Defensa de la Amazonía mit 30.000 Betroffenen darum, dass Chevron die Milliardenkosten für die Reinigung der Bassins übernimmt. Die sind nach einer Studie wahrscheinlich dafür verantwortlich, dass in den Ölgebieten dreimal mehr Menschen an Krebs sterben als in Quito.

Die Armut ist geblieben

Das Öl hat den Ecuadorianern Krankheiten gebracht, doch der erhoffte Geldsegen durch seine Förderung ist ausgeblieben: Ausgerechnet jene östlichen Regionen, die mit dem Erdöl 36 Prozent der Staatseinnahmen erwirtschaften, sind die ärmsten des Landes. Nach Angaben des staatlichen Statistikamtes SIISE leben in den ölreichen Regenwaldprovinzen 77,6 Prozent der Einwohner in Armut; im ecuadorianischen Durchschnitt sind es immerhin noch 61,3 Prozent.

Dass der Oriente so arm ist, liegt zum Teil daran, dass vom Profit aus dem Erdölgeschäft 80 Prozent direkt auf die Konten der ausländischen Förderkonzerne und nur zwei Prozent zurück in die Region fließen. Zudem arbeitet nur ein halbes Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung dort im Erdölsektor, obwohl dieser jährlich um knapp ein Viertel wächst.

Er wächst Richtung Süden. Mit einer kleinen, altersschwachen Cessna fliegen wir über ein endloses grünes Meer unberührten Waldes dorthin, wo es in 20 Jahren vielleicht so aussehen wird wie heute in Lago Agrio. Für den Staat ist dieses Gebiet - "Sektor 23" - künftiges Erdölgebiet. Zwar gehören die Bewohner nach der Statistik des SIISE zu den ärmsten des Landes, doch für sie ist ihr "Sektor 23" reich - jedoch nicht wegen seiner unterirdischen Ressourcen, sondern wegen des intakten Waldes: "Für uns ist Reichtum das Leben in den Wäldern, die Bäume, das Wasser, die Berge", sagt Holger Sisneros, Präsident der 2.000 Bürger der Gemeinde Sarayacu.

Besuchern zeigt er gerne sein Dorf. Viele Wege führen direkt durch das Wohnzimmer eines der offenen, Palmblätter gedeckten Häuser. Die Bewohner finden es in Ordnung, sie kennen keine Privatsphäre. Sie laden gerne zu einem Chicha ein, dem traditionellen, selbst gebrauten Yucca-Bier, und erzählen, wie es kam, dass ihr Sarayacu zum berühmtesten Dorf der Quichua-Indianer im Amazonasbecken wurde.

Land für die Indianer

Alles begann 1992, als sich hier eines Morgens eine Handvoll junger Leute traf und zu Fuß aufbrach in die Berge, die Hauptstadt, um Besitzrechte über ihre Gebiete einzufordern, die nach der europäischen Eroberung Staatseigentum geworden waren, obwohl die Ureinwohner sie seit Jahrtausenden nutzten. Andere Indianer schlossen sich ihnen unterwegs an. Als sie den Wald verließen, waren sie schon 2.000 und als sie nach einem Monat Quito erreichten, 10.000. Der Präsident verhandelte mit ihnen und willigte schließlich ein, sie als legitime Besitzer ihres Bodens anzuerkennen.

Trotzdem gab die Regierung vier Jahre später der argentinischen Ölfirma "General Fuel Company" (GFC), einer Texaco-Tochter, die Konzession, in "Sektor 23" Öl zu fördern - weil die Landrechte nur für das Land oberhalb, aber nicht für die Bodenschätze unterhalb der Erde gelten. Der Konzern bot einzelnen Dorfbewohnern Geld dafür, auf ihren Grundstücken arbeiten zu dürfen, 1.000, 2.000 Dollar. Für sie, die vom Wald und vom Fischfang leben und fast nie Bargeld sehen, war das eine große Verlockung. Doch in der Logik der Quichua war es Korruption: ihre Gemeinschaft ist nach der Demokratie der Ayllus organisiert, wichtige Entscheidungen trifft der Gemeinderat - vor allem, wenn sie den Wald betreffen.

Die Gegner der Ölförderung fuhren mit ihren Kanus dorthin, wo es diese schon gab. Sie dokumentierten die Armut, wenn die Waldgärten der Familien vergiftet sind und die Dynamitbohrungen die Fische getötet und das Wild verjagt haben. Die Hautallergien, die das kontaminierte Wasser bei den Kindern auslöst. Die Straßen, die Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Dengue-Mücken mitbringen. Das erzählten sie zu Hause. Bei der nächsten Versammlung stimmten alle gegen die Petroindustrie in ihrem Wald.

Widerstand gegen die Ölmultis

Ende November 2002 landete ein Hubschrauber am Ufer vor dem Zentrum von Sarayaku und setzte zwei Männer ab, die die gelben Uniformen der GFC trugen. Die Indianer verstellten den Arbeitern den Weg. Den Arbeitern folgten Soldaten. Die Dorfbewohner richteten Widerstandscamps ein, wo sie ausharrten, tage- nächtelang, in der Regenzeit. Nach zwei Monaten zogen die Soldaten ab, aber GFC versprach, wiederzukommen, früher oder später.

Der Widerstand der Sarayacer gegen den Ölkonzern hat alles, was eine David-gegen-Goliath-Geschichte ausmacht. Deshalb wurden über Sarayacu und seinen Kampf für den Wald Filme gedreht, und internationale Organisationen luden Dorfbewohner ein zu Vortragsreisen nach Europa. Touristen kamen nach Sarayacu und brachten Geld mit. Heute ist es das einzige Regenwalddorf hier, das ein Internetcafé hat - betrieben von Solarstrom. Eine Straße hat es nicht, und das soll nach dem Willen der Bewohner auch so bleiben.

Das Öl, das zwei Kilometer unter ihren Hütten liegt, wird auch nicht für ecuadorianische Autos und am wenigsten für sie selbst gefördert werden. Das würde in die Hafenstadt Esmeralda gepumpt und dann in die Länder des Nordens verschifft, um dort Autos zu bewegen, Häuser zu heizen und Plastik zu erzeugen. Wenn es nicht vorher aus einer undichten Pipeline spritzt oder aus einem der Bassins in den Waldboden sickert.

dpa