Lebenslänglich für Drahtzieher des Ehrenmordes

Lebenslänglich für Drahtzieher des Ehrenmordes
Sie war eine schöne junge Frau, 20 Jahre alt, und sie hatte heimlich abgetrieben. Das war zuviel für den Vater von Gülsüm S.: Weil seine Tochter seiner Meinung nach die "Familienehre" beschädigt hatte, ließ er sie umbringen - von ihrem eigenen Bruder. Das Landgericht Kleve verurteilte nicht nur die beiden Täter, sondern auch den Vater als Drahtzieher des Mordes - das erste Mal in einem solchen Fall.
29.12.2009
Von Dorothea Hülsmeier

Fotos von Gülsüm zeigen eine wunderschöne junge Frau mit einem offenen und strahlenden Lächeln. Richter Christian Henkel fällt es schwer zu beschreiben, welch grausame Bluttat der Bruder der 20-jährigen Kurdin an seiner eigenen Schwester verübte. Mit "Schlägen von unsagbarer Wucht" zerstörten er und ein Helfer das schöne Gesicht, zerschlugen es mit Ästen - für die Ehre der Familie, wie die Täter sie verstanden.

"Weder mit großer Wut noch Verzweiflung noch Blutrausch" könne diese Tat erklärt werden, sagt der Richter mit leiser Stimme. Es ist ganz still im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Kleve. "Es wurde nicht brutal wahllos geschlagen, sondern gezielt." Gülsüms Bruder, der dunkle Hämatome auf seinem geschorenen Kopf hat, blickt starr auf den Tisch, er hebt seine Augen nicht, nur die Füße scharren unruhig.

Vater wollte ihr mit Prügel den Westen austreiben

Gülsüm starb, weil sie in den Augen ihres Vaters die Familienehre verletzt hatte. Sie lebte wie viele Frauen in Deutschland, aber nicht wie Frauen in konservativ-muslimischen kurdischen Familien. Sie hatte einen albanischen Freund und wollte nicht mit einem entfernten Verwandten zwangsverheiratet werden.

Zum Verhängnis wurde Gülsüm, dass sie schwanger wurde und abtreiben ließ. Davon erfuhr ihr streng nach dem Koran lebender Vater. Er hatte seiner Tochter schon zuvor mit Prügeln den freien Lebensstil austreiben wollen. Dann wurden Vater und Sohn nach Auffassung des Gerichts "gleichsam Vollstrecker eines von ihnen selbst gefällten Todesurteils". Denn die Verletzung der Familienehre sollte nicht nach außen gelangen.

Im beschaulichen Städtchen Rees am Niederrhein wurde Gülsüm Opfer eines sogenannten Ehrenmordes. Ihr grausamer Tod erinnert an andere junge Frauen aus Migrantenfamilien, etwa die Afghanin Morsal, die 2008 in Hamburg getötet wurde, oder die Türkin Hatun, 2005 in Berlin erschossen.

"Sie haben die Tat gewollt und geplant"

Das Gericht in Kleve sah es als erwiesen an, dass Gülsüms Drillingsbruder und sein aserbaidschanischer Helfer die junge Frau in ein Waldstück lockten und sie töteten. "Das ist eine grauenhafte Tat mit einem grauenhaften Ergebnis", sagt Richter Henkel. Doch die schwerste Strafe bekommt in diesem Indizienprozess Gülsüms 50-jähriger Vater. Der weißhaarige Mann nimmt sein Urteil - lebenslange Haft - scheinbar ungerührt auf der Anklagebank entgegen.

Der Vater war nicht direkt an dem Mord beteiligt, aber nach Ansicht des Gerichts war er der Drahtzieher. Das zeige die Fülle an Telefonaten, die der Vater am Tatabend mit seinem Sohn führte, sowie auch die "fadenscheinigen Vorwände". Auffallend sei, dass sein Sohn sich anfangs nicht über die Beziehung der Schwester zu einem Albaner entrüstet habe.

Später habe der Bruder seiner Schwester mit "Macho-Sprüchen" gedroht, "wohl um seine eigene Position in der Familie zu festigen", sagt Henkel. Woher aber, wenn nicht vom Vater, soll der Sohn den patriarchalischen Begriff der Ehre vermittelt bekommen haben, fragt der Richter: "Es ist die Tat von Vater und Sohn, sie beide haben die Tat gewollt und geplant."

Mittäterschaft ist häufig nur schwer zu beweisen

Für Hans Reinhardt, den Verteidiger des Sohnes, hat das Urteil gegen den Vater eine wegweisende Bedeutung. Denn erstmals sei in einem "Ehrenmord"-Prozess damit ein Familienoberhaupt als "geistiger Urheber" verurteilt worden. Die Verteidigung des Vaters hatte einen Freispruch gefordert.

Zumeist werden nach Ansicht von Experten junge Brüder mit Morden an Frauen beauftragt, die sich nicht den patriarchalischen Vorstellungen unterordnen. Denn sie müssen nicht mit so langen Strafen rechnen - Gülsüms 20 Jahre alter Bruder wurde zu neuneinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Den Vätern sei die Mittäterschaft dagegen oft nicht zu beweisen, sagt Reinhardt. Im Prozess in Kleve war das Gericht bei der Familie "auf eine Mauer des Schweigens gestoßen".

Überraschend ist für Henkel, dass für die Tat ein Fremder als Helfer hinzugezogen wurde. Das Motiv, warum sich der Bekannte "skrupellos und völlig ungerührt" an dem Mord beteiligt habe, sei unklar. Vielleicht seien es die "läppischen 100 Euro" Lohn gewesen, die dem von der Abschiebung bedrohtendritte Angeklagten als Lohn versprochen waren. Der Mann rastet aus, als sein Urteil - siebeneinhalb Jahre Haft - gesprochen wird, schleudert Flüche auf türkisch und russisch gegen den Gülsüms Bruder, der ihm gegenüber sitzt.

NRW-Minister hofft auf abschreckende Wirkung

Am Ende des Prozesses um Gülsüms grausamen Tod steht für Richter Henkel die Frage, wie in einer westlichen Gesellschaft "Ehrenmorde" verhindert werden können. "Man muss sich fragen lassen, wie eine Gesellschaft und Justiz Schutz bieten sollen, wenn man sich dieser Gesellschaft nicht öffnet", sagt der Richter. "Was bleibt, ist die Berufung auf irgendeine Ehre."

Der nordrhein-westfälische Integrations- und Frauenminister Armin Laschet (CDU) hat das Urteil gelobt. Es signalisiere ganz deutlich, dass es keinen kulturellen Rabatt für Taten wie den Mord an der jungen Gülsüm gebe. "Solche menschenverachtenden Taten dürfen nicht ungesühnt bleiben oder milde davon kommen", sagte der Minister in Düsseldorf. Laschet erwartet von dem Urteil ein abschreckende Wirkung. Es werde helfen, "Frauen, die Opfer von Gewalt sind, besser zu schützen".

dpa