Erziehung der "Mutti Merkel": Drei Fragen an Ernst Elitz (3)

Erziehung der "Mutti Merkel": Drei Fragen an Ernst Elitz (3)
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, verschleiernde Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - wobei er übrigens das Neue Testament als ein Vorbild sieht: Beispielhaft in seiner klaren und pointierten Aussprache sei es, ein guter Lebensentwurf für Ehrlichkeit, Aufklärung und Menschenwürde. Ernst Elitz beantwortet drei Fragen für evangelisch.de.
29.12.2009
Die Fragen stellte Ulrich Pontes

evangelisch.de: Die neue Koalition in Berlin hat bislang wenig Begeisterung ausgelöst. Schwarz-Gelb hat nicht nur laut Umfragen keine Mehrheit mehr, nun hat auch noch Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, Dinge gesagt, die einem Oppositionsführer zur Ehre gereicht hätten: CDU, CSU und FDP hätten alle ihre "Steckenpferde gegeneinander in Stellung" gebracht und das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz enthalte teilweise "nicht vertretbare Regelungen". Haben Sie einen Rat für Angela Merkel, wie sie ihr Lieblingsbündnis wieder flott bekommen kann?

Ernst Elitz:Erst mal Art. 65 des Grundgesetzes lesen ("Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung") und sich daran halten. In der CDU nennt man die Kanzlerin halb spöttisch, halb respektvoll "Mutti". Die pädagogischen Geisterjahre der antiautoritären Erziehung, wo Mutti die Kinder sich ohne mahnenden Zeigefinger kloppen und krakeelen liess, hat Angela Merkel in der DDR nicht miterleben müssen. Die waren ein bundesdeutsches Unikat.Aber so sehr die Konservativen auch über dieses Erziehungsprogramm der 68er wettern, in der schwarz-gelben Regierung feiert der antiautoritäre Alltag eine späte Wiederkehr. Jedes Kindlein bekommt sein Förmchen: Guido die "Bettenprämie" für Hotels, der Wirtschaftsflügel sein Erben-Privileg, die traditionell Familienfreundlichen mehr Kindergeld. Und über eine Erhöhung der Sozial- und Krankenkassenbeiträge streiten die Kindlein sich lauthals auf der Strasse. Bleiben wir im Bild, dann hat der Bundestagspräsident die Rolle der Supernanny übernommen. Bislang aber hat Angela Merkel immer den Eindruck erweckt, dass sie sich von Männern ungern etwas sagen lässt. Also liegt es jetzt an ihr, sich Lammerts Supernanny-Ratschläge zu verbitten und ihrer Rasselbande streng die Richtung vorzugeben. Dazu gehört auch der Mut, die lautesten Krakeeler mal in die stille Ecke zu verbannen.

evangelisch.de: In China wurde der Bürgerrechtler Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt, weil er sich publizistisch für Demokratie und Freiheit eingesetzt hat. Seine Ideen sind damit wohl kaum tot zu bekommen, international setzt sich China heftiger Kritik aus – was treibt ein Land dazu, unter den Augen der globalisierten Öffentlichkeit derartig repressiv vorzugehen?

Elitz: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat mit Blick auf Afghanistan öffentlich bekundet, dass man nicht von jedem Land eine Demokratie nach westlichem Vorbild erwarten dürfe, also auch nicht von Saudi Arabien (da haben wir das längst akzeptiert) und wahrscheinlich auch nicht von China. Derart brutal gegen Demokraten vorzugehen wie die chinesischen Machthaber, aber ist auch ein demonstrativer Akt gegen den Rest der Welt, eine öffentliche Missachtung westlicher Werte. Es ist Aussenpolitik. Und so wie die Chinesen in Kopenhagen Obama mit untergeordneten Vizeministern abspeisen wollten und der sich selbst Zugang zum chinesischen Premier Wen Jiabao verschaffen musste, so exekutierten sie daheim am Bürgerrechtler Liu Xiaobo ein Exempel, das dem Westen deutlich machen sollte: Ihr habt uns überhaupt nichts zu sagen! Seid froh, dass wir mit unseren 1,3 Milliarden Einwohnern uns überhaupt Euren Namen merken. Das erinnert fatal an den Hochmut und die Respektlosigkeit, mit der in vergangenen Jahrhunderten Europa (und die USA) anderen Völkern gegenübertraten. Für die Zukunft lässt das nichts Gutes erwarten.

evangelisch.de: Bundespräsident Horst Köhler hat in seiner Weihnachtsansprache angemahnt, über uns selbst und unsere Art des Zusammenlebens nachzudenken. Angesichts von Gewalttaten wie dem Amoklauf von Winnenden und dem Münchener S-Bahn-Mord sei eine neue Kultur der Achtsamkeit erforderlich. Ein realistischer Impuls? Oder was könnte Ihrer Meinung nach unsere Gesellschaft, unser Miteinander in diesem Land im Neuen Jahr voranbringen?

Elitz:  Die "neue Achtsamkeit" ist inzwischen ein rhetorischen Versatzstück für jede Festtags- Rede. Aber auch der Bundespräsident meint ja wohl nicht im Ernst, dass mutige Passanten jetzt die eigene Gefahr missachtend in U-Bahnen und auf öffentlichem Strassenland gegen andrenalingetränkte Desperados antreten und sich dabei tot oder halbtot schlagen lassen. Die neue Achtsamkeit ist in erster Linie Aufgabe der Kommunen. Falschparker und Raucher abzukassieren trägt weniger zur Sicherheit in den Städten bei als der Einsatz von Polizei und Personal im Nahverkehr, dessen reine Präsenz abschreckend wirkt. Wer dazu nicht bereit ist, der sorgt dafür, dass Leute, denen ihr Leben lieb ist, auch künftig vorsichtshalber wegschauen. Ich bedanke mich auch für die wohlfeilen Ratschläge, mehr Videokameras zu installieren. Ich will keine gestochen scharfen Bilder von einem Überfall sehen, ich will nicht überfallen werden. Diesen Unterschied haben unsere Kommunalpolitiker in ihrer Bürgerferne leider noch nicht kapiert.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.