"Wilsberg: Oh du tödliche", Montag, 21. Dezember, 21.12 Uhr im ZDF
Bei einer Reihe, die seit elf Jahren mit großem Erfolg läuft, sollte man mit aktuellen Superlativen vorsichtig sein. Aber diese "Wilsberg"-Folge basiert auf einem derart gelungenen Drehbuch (Ecki Ziedrich) und ist so ausgezeichnet umgesetzt (Kamera und Regie: Hans-Günther Bücking), dass man allzu leicht ins Schwärmen gerät.
"Oh du tödliche", der Titel deutet es an, ist ein Weihnachtskrimi, und wer die erste Viertelstunde versäumt, hat das Beste schon verpasst: Der Prolog ist eine virtuose Parallelmontage, in der auf sechs Ebenen sämtliche Mitwirkende eingeführt werden. Dialoge, Wortwitz, Situationen und Inszenierung sind von einem fast verschwenderischen Einfallsreichtum. Fast bedauert man, dass der Film mit fortlaufender Handlung immer mehr zum Krimi wird, selbst wenn diverse "Running Gags" und Slapstick-Einlagen immer wieder für Heiterkeit sorgen.
Schrägste Figur der Geschichte ist Overbeck (Roland Jankowsky), Mitarbeiter von Kommissarin Sprenger (Rita Russek), und bislang stets schmählich vernachlässigt, weil allenfalls auf die Rolle des Opfes von Schadenfreude reduziert. Die Handlung trägt sich ausschließlich am Heiligen Abend zu. Overbeck hat die Stallwache übernommen und schießt aus lauter Langeweile mit einem Gummi und Büroklammern Christbaumkugeln kaputt. Aber da geht’s ihm noch gut; den weitaus größeren Rest des Films verbringt er eingesperrt in einem Tresorraum, wo ihn eine Weihnachtssendung im Radio schließlich zur Weisglut treibt.
Nicht minder großartig ist Oliver Korittkes Einlage als Blinder, wobei er in einer Einstellung gleich drei Ikonen kopiert (Robert De Niro in "Taxi Driver", Arnold Schwarzenegger in "Terminator" sowie Stevie Wonder). Wilsberg (Leonard Lansink) versucht derweil, einen Weihnachtsbaum zu kaufen, Alex (Ina Paule Klink) wird Zeugin eines Überfalls, Ecki (Korittke) verliebt sich in einen weiblichen Weihnachtsmann (Mandala Tayde), und irgendwie führt das Drehbuch schließlich auf großartige Weise sämtliche handelnden Personen zusammen; inklusive eines weiteren vermeintlichen Blinden (Torsten Michaelis), eines männlichen, aber lebensmüden Weihnachtsmanns (Bernhard Schütz), eines brutalen Gangsters (Aleksandar Jovanovic) sowie eines Zeugenpaars vom Finanzamt, das einen Mann in einem Kofferraum gesehen hat.
Die Geschichte ist viel zu facettenreich, um sie komplett wiederzugeben; dabei geht es im Grunde bloß darum, ein Glas Orangenmarmelade zu besorgen. Ziedrich und Bücking gelingt das Kunststück, gleichzeitig eine köstliche Weihnachtssatire und einen spannenden Krimi zu erzählen; wobei der Krimi ganz ohne Mord auskommt. Und wenn nicht alles täuscht, ist sogar Lansinks früherer "Wilsberg"-Partner Heinrich Schafmeister mit von der Partie, wenn auch bloß akustisch.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).