Albert Schweitzer: Die späte Rehabilitation eines großen Ethikers

Albert Schweitzer: Die späte Rehabilitation eines großen Ethikers
Ein Idyll ist das nie gewesen. Wohl eher ein Dschungelcamp, das sich von der bekannten TV-Soap dadurch unterscheidet, dass hier ernsthafte humanitäre Herausforderungen zu bewältigen waren. Albert Schweitzers Urwaldkrankenhaus in Lambarene, 1913 gegründet, im heutigen Gabun gelegen, versuchte aus nahezu unhaltbaren Umständen das Beste für die Patienten zu machen.

Zu Schweitzers Zeit meiden viele Einheimische die modernen Krankenhäuser in Libreville, sie fühlen sich in Schweitzers Missionskrankenhaus, das wie ein afrikanisches Dorf geführt wird, wohler. Ganze Familien tauchen samt Hausstand und Tieren auf und kümmern sich um die kranken Angehörigen. Verwandte machen sich beim Bau der Unterkünfte und in der Landwirtschaft nützlich.

Medikamente bezahlen sie mit Bananen, Hühnern, Eiern – manchmal auch mit etwas Geld. Malaria, Schlafkrankheit, Tuberkulose, Lepra, vom Sandfloh hervorgerufene Geschwüre, allerlei Lungenkrankheiten – es gibt viele Krankheiten. Fehlt es an Personal, greift der Doktor selbst zu, rodet, baut, repariert, pflanzt. Er predigt unter freiem Himmel, spielt abends auf seinem Klavier mit Orgelpedalen gegen die Buschtrommeln an. Nächtelang schreibt er, bis die Hand krampft.

Entschlossener Gegner der Atomrüstung

Ein brillanter evangelischer Theologe und Musiker im Busch, ergriffen von einer Mission: Menschen an Körper und Seele zu heilen. Ein Mann mit Ecken und Kanten. Er kann aufbrausend und geduldig sein, halsstarrig und feinfühlig. Sein Pioniergeist berührt die Seelen der Europäer und Amerikaner, sie spenden reichlich. Was macht ihn so besonders? Urwaldkrankenhäuser gab es in dieser Zeit viele.

Doch Schweitzer ist durch seine fundierten theologischen und medizinischen Kenntnisse in beiden Bereichen zu Hause, in der Ethik und in den Naturwissenschaften. Seine häufigen Reisen in Europa erlauben ihm, für seine Klinik zu werben. Und er predigt und lebt den durch die Weltkriege traumatisierten Menschen eine kompromisslose Ehrfurcht vor dem Leben vor – gegenüber Menschen wie Tieren. Den Menschen als Teil des Lebens zu achten, ihn gerade nicht als Krone der Schöpfung zu sehen, ist sein Programm. Eines seiner liebsten Haustiere, oft fotografiert: ein Pelikan.

Es irritierte die bürgerliche Welt, als dieser Mann, bekannt für seine fundamentalen, aber politisch oft wenig konkreten Botschaften, zum entschlossenen Gegner der Atomrüstung wurde. Albert Einstein hatte ihn für die Antiatombewegung gewonnen. Beide kannten sich bereits aus Studienzeiten. Hätte Einstein, amerikanischer Staatsbürger, die atomare Aufrüstung kritisiert, wäre er vermutlich des Landes verwiesen worden. Schweitzer, dem Europäer, konnte dies nicht passieren. Das Komitee für unamerikanische Umtriebe fühlte sich zu dieser Zeit sehr stark, belauerte auch die Spendensammler Schweitzers.

In Amerika wird Schweitzer zur Persona non grata

In der McCarthy-Ära (1945–1957) gab es unangenehmste politische Schnüffeleien gegen vermeintliche Kommunisten und ernsthafte Regierungskritiker, vermutlich auch gegen Schweitzer. Vor dem Komitee mussten etliche kluge Denker und profilierte Künstler erscheinen und ihre politische Gesinnung offenbaren, darunter der Physiker Robert Oppenheimer, erst "Vater" der Atombombe, später ihr Kritiker, daneben so souveräne Köpfe wie Thomas Mann oder Bert Brecht.

Im Jahr 1953 nahm Schweitzer den Friedensnobelpreis in Empfang. Sein "Appell an die Menschheit" 1957, von 140 Sendern weltweit übertragen, und die Radiorede "Frieden oder Atomkrieg" von 1958 trugen dazu bei, dass die Atommächte einen Vertrag gegen Atombombentests schlossen. Was Schweitzer zunächst nicht wusste: Durch seine Appelle war er in Amerika zur Persona non grata geworden. Dienststellen und Sendern in den USA waren Kontakte zu ihm verboten, die geplante Ehrendoktorwürde in Princeton unterblieb. Erst unter Präsident John F. Kennedy endete diese Ausgrenzung. Schweitzer bedrängte ihn in der Kubakrise 1962, auf einen Waffengang zu verzichten. Der Präsident antwortete sofort, der Briefwechsel ging weiter. Der große Ethiker war rehabilitiert.


Dieser Artikel ist ein Vorabdruck aus der aktuellen Ausgabe des Magazins chrismon.

Der Kinofilm "Albert Schweitzer – ein Leben für Afrika" läuft am 24. Dezember an. Passend dazu ist schon im November eine neue Schweitzer-Biografie erschienen: "Albert Schweitzer – Genie der Menschlichkeit", von Friedrich Schorlemmer (Aufbau-Verlag).