Kirchenaktionen: Heiligabend durchgehend geöffnet

Kirchenaktionen: Heiligabend durchgehend geöffnet
So gegen drei Uhr morgens kommt bei der "Offenen Nacht" meist der tote Punkt. "Dann musst du dich entscheiden – entweder auf die Matratze oder Durchhalten bis zum Frühstück", sagt Carlos W.. Der 48-Jährige ist Stammgast bei der "Nacht von Acht bis Acht", mit der der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) in Bremen diesmal im 25. Jahr an Heiligabend durchgehend öffnet.
16.12.2009
Von Dieter Sell

Wie in der Hansestadt gibt es in vielen deutschen Städten besondere Aktionen, mit denen die Kirchen Menschen aus der weihnachtlichen Einsamkeit holen wollen.

"Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge", heißt es im biblischen Weihnachtsevangelium nach Lukas. Ganz im Gegensatz dazu gibt es im Bremer "Konsul-Hackfeld-Haus" des CVJM am 24. Dezember jede Menge Platz. Schon vor 20 Uhr kommen die ersten Besucher in die festlich geschmückten Räume. "Bis zum Frühstück am nächsten Morgen sind es regelmäßig zwischen 300 und 350 Gäste", sagt Initiator Frank Baumann.

Viele Bremen stiften für Heiligabend-Treff

Die meisten sind Menschen, die auf der Straße leben, die keinen Job, kein richtiges Zuhause, keine Familie haben. Carlos W. gehörte bis vor kurzem auch dazu, nachdem er als selbstständiger EDV-Administrator pleitegegangen war und eine Arbeit bei Daimler am Band verloren hatte. Jetzt hat er gerade einen Ein-Euro-Job und freut sich auf die lange Nacht: "Essen, Klönen, Filme, Turniere am Billardtisch, am Kicker und an der Dartscheibe – das hier ist ein prima Anlaufpunkt für Menschen, die nicht wissen, wohin sie sollen."

Viele Bremer stiften für den Heiligabend-Treff Kaffee, Lebensmittel, backen Kuchen oder helfen mit. Unter den etwa 30 Ehrenamtlichen ist seit langer Zeit Sigrid Bauermeister. "Ich will die Leute als Menschen willkommen heißen, egal, wie lange sie schon auf der Straße sind", sagt die 73-Jährige. "Denn jeder kann mal fallen."

Ganz ähnlich verläuft die "Lange Nacht" der Weissfrauen-Diakoniekirche am Heiligabend in Frankfurt am Main. Nur, dass es hier in dem Haus mitten im Bahnhofsviertel keinen Tannenbaum gibt. "Der steht für Familienglück, Bürgerlichkeit, die Behaglichkeit einer Stube, Innerlichkeit. Daraus sind viele Menschen herausgefallen, oder sie können damit nichts anfangen", sagt Kurator Gerald Hintze. Seit sechs Jahren laden er und viele Ehrenamtliche dazu ein, einen Weihnachtsgottesdienst zu feiern, danach in der Kirche zu essen, Musik zu hören, zu beten und zu schlafen – bis zum Frühstück am Weihnachtsmorgen um 8.30 Uhr.

Tradition im Stuttgarter Hauptbahnhof

Neben einsamen und armen Leute kommen Gutsituierte. Das Publikum ist so bunt wie beim Heiligabend-Gottesdienst im Stuttgarter Hauptbahnhof, der schon zur Tradition geworden ist. "Anfangs, vor 60 Jahren, haben wir neben den zerbombten Gleisen Kriegsheimkehrer mit Posaunen begrüßt, heute sind es Durchreisende und Nachtschwärmer", berichtet Stadtmissions-Pfarrer Markus Arnold. Vor dem Bahnhof hat er im "Stall" der Stuttgarter Diakonie zu tun, einem Heiligabend-Treff, den regelmäßig mehr als 1.000 Gäste besuchen.

Ob "Stall" in Stuttgart, "Heiligabend-Rastplatz" der Citykirche St. Jakobi im niedersächsischen Hildesheim oder "Weihnachtsstuben" in Hannover: Fast alle Angebote für Arme und Einsame konzentrieren sich auf die städtischen Ballungsräume. Im ländlichen Raum ist das schwieriger. "Niemand dort möchte zu einem kläglichen Rest gehören, für den die anderen an Weihnachten eine Feier organisieren", sagt Propst Stephan Wichert-von Holten, der im niedersächsischen Lüchow in der Nähe von Gorleben arbeitet.

Dabei gebe es auch in den Dörfern immer mehr einsame alte Menschen, räumt der evangelische Theologe ein. "Aber sie haben keine Erfahrung damit, Weihnachten außerhalb der Familie zu verbringen oder sich etwas vorsetzen zu lassen." Wichert-von Holten möchte Gemeinden deshalb ermuntern, gemeinsame Feste zu organisieren, ganz nach dem Motto: "Alle machen mit – dann sind auch alle dabei."

Weitere Informationen:
www.cvjm-bremen.de
www.diakonischeswerk-frankfurt.de/diakoniekirche

Übersicht über Weihnachtsgottesdienste: www.weihnachtsgottesdienste.de

epd