evangelisch.de: Frau Speidel, in Ihrem neuen Film sind Sie an der Seite Ihres Lebensgefährten Bruno Maccallini zu sehen, der in Deutschland als Reklamefigur für Kaffee bekannt wurde. Wie oft müssen Sie sich den Satz "Isch ’abe gar kein Auto" anhören?
Jutta Speidel: Ich weniger, aber Bruno permanent. Wenn er durch eine Fußgängerzone läuft, rufen innerhalb von einer Stunde mindestens zehn Leute: "Isch ’abe gar kein Auto!“ Da könnte man natürlich sagen, dass das nervt, und sich darüber ärgern, dass er darauf reduziert wird. Aber wir nehmen das positiv, schließlich reagieren die Leute ja sehr nett, und es ist doch toll, dass sie Bruno nach zehn Jahren immer noch so in ihrem Herzen haben.
evangelisch.de: Herr Maccallini spielt in dem Film Michele, den heimlichen jüngeren Liebhaber der von Ihnen gespielten Mittfünfzigerin Sonja...
Speidel: Das war ja so süß: Als ich die Leute von der Produktion nach dem Lesen des Drehbuchs gefragt habe, wer die Rolle des Michele spielen soll, haben die so rumgedruckst. Als ich dann meinte, dass ich ja nicht aufdringlich sein wolle, aber dass das doch nach Bruno schreit, waren sie ganz glücklich und haben ihm die Rolle gegeben.
evangelisch.de: Es geht in der Komödie um den Mut, sein Leben komplett zu ändern und Neues zu wagen. Ist es ein Zufall, dass sich dieses Thema wie ein roter Faden durch viele Ihrer aktuellen Filme zieht?
Speidel: Mut ist grundsätzlich mein Lebensthema. Solche Rollen wie die Sonja werden mir ja nicht umsonst angeboten. Vielleicht bin ich eine Schauspielerin, die Männer und Frauen ermutigt, bei der die Menschen sich sagen: Die traut sich was, da kann ich mir ein Vorbild nehmen. Bruno und ich haben ja auch gerade ein Buch darüber geschrieben, wie wir über die Alpen geradelt sind. Das war auch eine mutige Sache, denn wir sind ja nicht so die Fahrradcracks. Alte Schemas aufbrechen – darum geht es mir. Die Sonja in "Alle meine Lieben“ lässt am Ende alles hinter sich und sagt: Auf zu neuen Ufern.
evangelisch.de: Hätten Sie nicht mal Lust auf andere Rollen?
Speidel: Natürlich würde ich gerne auch mal was anderes spielen, eine Figur der Zeitgeschichte, aus dem Politischen oder aus der Kunstszene, auch aus früheren Jahrhunderten. Ich würde gerne zeigen, dass es immer wieder Frauen gab, die sich mit großem Einsatz gegen alle Widerstände durchgesetzt haben.
evangelisch.de: Sie selber haben offenbar keine Probleme, ihr eigenes Ding zu machen und andere dabei auch mal vor den Kopf zu stoßen wie vor einiger Zeit mit Ihrem überraschenden Ausstieg aus der ARD-Erfolgsserie "Um Himmels Willen"...
Speidel: Damals bin ich nicht zuletzt beim Sender und der Produktion auf großes Unverständnis gestoßen. Aber wenn ich merke, dass ich mich im Kreis drehe, muss ich mich verändern. Als wir mit der Serie angefangen haben, waren wir gar nicht konservativ, aber dann haben wir uns nur noch wiederholt, und da wollte ich nicht mehr dabei sein. Ich möchte weiterkommen, neue Ziele haben, neue Ideen verwirklichen. Wenn das nicht geht, weil Lebensumstände das verhindern, muss ich die Umstände eben ändern.
evangelisch.de: Haben Sie von Serien ein für allemal genug?
Speidel: Ja, ich werde so eine Langzeitserie nicht mehr machen, weil es auch wahnsinnig viel Kraft kostet und du sehr viel andere Rollenangebote absagen musst. Und wenn ich mir die deutschen Serien anschaue, die langweilen mich alle enorm. Sie haben alle mehr oder weniger ein Strickmuster, das ist doch überholt – da sind amerikanische Serien wie "Dr. House“ ganz anders gemacht. Ich will aber nicht undankbar sein, denn die Serien waren für mich in meinem Leben sehr wertvoll. Immerhin habe ich meine beiden Töchter großziehen können, während ich "Alle meine Töchter“ und "Forsthaus Falkenau“ gedreht habe, weil ich abends nach Hause gehen und für meine Kinder da sein konnte.
evangelisch.de: Sie können dieses Jahr ein bemerkenswertes Jubiläum feiern: Vor genau 40 Jahren standen Sie zum ersten Mal vor der Kamera – für die 1969 gedrehte Komödie "Pepe, der Paukerschreck"...
Speidel: Wahnsinn, gell? Aber eigentlich zählt das ja gar nicht, damals war ich Statist und hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Weil ich meine Laufbahn aber mit den Paukerfilmen angefangen habe und in der Unterhaltungsschiene war, ist es mir nicht gelungen, bei den Regisseuren zu landen, die damals die wirklich wichtigen, sehr anspruchsvollen Kinofilme gemacht haben – Fassbinder, Wenders, Herzog, Kluge oder Schlöndorff. Das habe ich immer sehr bedauert.
evangelisch.de: Dafür wurden Sie schon in den 70er Jahren zum TV-Star. Ist das Fernsehen seit damals schlechter geworden?
Speidel: Es gab zwar schon immer die zwei Schienen Qualität und Unterhaltung, aber früher gab es eine Fernsehspiel-Kultur, die Großes hervorgebracht hat und die ich heute vermisse. Wenn ich mir heute Fernsehfilme anschaue, sind die oft konservativ hoch drei, da tut sich nicht sehr viel.
evangelisch.de: Viele Filme sind so schlicht, dass der Zuschauer auch mal zehn Minuten wegdösen kann, ohne den Durchblick zu verlieren...
Speidel: Die Sender biedern sich oft arg dem Publikumsgeschmack an. Hin und wieder hat man heute das Glück, dass man einen anspruchsvollen Film dreht, und dann gibt es Unterhaltungsfilme, bei denen weißt du: Du wirst die Welt nicht damit verändern.
evangelisch.de: Und wozu gehört "Alle meine Lieben“?
Speidel: Absolut in die Unterhaltungsschiene. Das ist eine Komödie, wo die Menschen sich entspannen und amüsieren können, und am Ende vielleicht das Resümee ziehen: Ach, es rentiert sich doch, wenn man mutig ist.