Natürlich kommt die Kirche im Fernsehen vor. Und selbstverständlich hat das immer ganz konkrete Folgen. "Ich nenne das den Lady Di"-Effekt, beschreibt Pfarrer Karsten Dierks den Wunsch vieler Bräute, die Trauung in seiner Berliner Kirche nach angloamerikanischem Muster zu vollziehen. "Der Vater führt die Tochter zum Altar – so kennen sie es halt aus dem Fernsehen." Die Bräute seien "ganz heiß drauf". Da helfe auch der diskrete Hinweis wenig, dass dies doch eine patriarchale Geste sei, die in der Kirche von heute nichts mehr zu suchen hat.
Das Fernsehen prägt unsere Vorstellung vom Leben – bis ins Sterben hinein. Bei Beisetzungen holen die Angehörigen nun schon mal ein Video mit einem letzten Gruß des Verstorbenen heraus und bitten um das Abspielen seines Lieblingssongs. Gemeindepfarrer und Seelsorger kommen in dieser televisionären Vorstellungswelt freilich kaum noch vor. Grund genug für den Medienbeauftragten der EKD, Marcus Bräuer, gemeinsam mit dem Berufsverband der Drehbuchautoren unter dem Titel "Zwischen Abgrund, Abendmahl und Absolution – Die Kirche im fiktionalen Programm" einen Gedankenaustausch über kirchliche Berufsbilder und fiktionale Fernsehwirklichkeiten zu organisieren.
Dass der Vollzug tradierter Rituale im Kirchenalltag infrage gestellt wird, weil den Gelegenheits-Kirchgängern die pompösen Fernsehinszenierungen präsenter sind als die "eigentlichen" Gottesdienstabläufe, war der eine Befund des Berliner Werkstattgespräches. Er stand im Gegensatz zur zweiten Erkenntnis des Nachmittags: Wenn es existentiell wird, erfährt das Ritual nämlich eine ungeahnte Renaissance: Ein gemeinsames "Vater unser" am Sterbebett, eine Kerze für das verlorene Frühchen, ein offenes Gespräch, das auch vor Gericht ein Beichtgeheimnis bleiben darf: In Ausnahmesituationen kann die Kirche Angebote machen, die von vielen Menschen dankbar aufgegriffen werden. "Mein erster Gang am Notfallort führt mich zu den Toten, und das nimmt mir niemand übel – auch in Winnenden nicht", beschreibt der Stuttgarter Notfallseelsorger Sebastian Berghaus das spirtuelle Angebot, das die Notfallhelfer der Kirchen in Ausnahmesituationen machen können.
Anders als die Schwarzwaldklinik
Nach einem Gespräch über Leben und Tod frage sie oft: "Soll ich noch den Segen sprechen?", erklärt die Klinikseelsorgerin Regine Lünstroth den Drehbuchautoren ihren Berufsalltag. Anders als in de Schwarzwalkklinik hat im Krankenhaus "das Pflegepersonal nie Zeit. Und die Patienten haben zu viel Zeit", so Lünstroth. Zeit, um das eigene Leben Revue passieren zu lassen und um über Gott und die Welt nachzudenken.
Die Autoren im Publikum hörten überwiegend gespannt zu – vor allem, wenn die Eingeladenen sehr eindrücklich ihre "typischen Herausforderungen des Berufsalltags" schilderten. "Was treibt Sie an, diesen Beruf auszuüben?", fragten die Dramaturgieprofis später den Notfallseelsorger. "Haben Sie Supervision?", die Klinikpfarrerin. "Greifen Sie aktiv ein, wenn sie in ihrer Gemeinde ein vernachlässigtes Kind vermuten?", die Gemeindepfarrerin. "Gehen Sie auch zu den Tätern?", den Polizeiseelsorger. Man spürte im Raum, wie die "echten" Geschichten auf ihre fiktionale Verwertbarkeit hin abgeklopft wurden – was ja durchaus im Sinne der Veranstalter war.
Das wahre Leben im TV
Beim abschließenden Podiumsgespräch mit Vertretern des Fernsehens sprach der bekannte Drehbuchautor Felix Huby dann stellvertretend aus, was viele im Plenum beim Bericht von Polizeioberkommissar Schwindowsky wohl schon insgeheim gedacht hatten. "Das, was er erlebt hat, könnte man eins zu eins zu einer Episode der ARD-Vorabendserie "Großstadtrevier" verarbeiten. Inklusive Polizeipfarrer." Der Berliner Beamte hatte bei einer rasanten Verfolgungsjagd 30 Minuten lang um sein Leben fürchten müssen. Bei der anschließenden Festnahme des Täters floss Blut auf beiden Seiten. Später hatte der Festgenommene zudem behauptet, HIV-positiv zu sein. Schwindowsky hätte sich anstecken können. Von einem Moment auf den anderen zerbrach seine Zukunft in tausend Teile. Der Polizeiseelsorger nahm sich seiner an und brachte in Erfahrung, dass die Aids-Infizierung ausgedacht und also "nur" eine letzte Rache des Festgenommenen an seinem Verfolger gewesen war.
Über Hubys Verwertungsinteresse hinaus hielten sich die Fernsehprofis aber eher bedeckt, was die Aussichten auf mehr Kirche in den fiktionalen Programmen angeht. Die Schuldfrage wurde am Tisch herumgereicht wie der Kelch beim Abendmahl. Jeder nahm sich ein Schlückchen, verwies dann aber auf seinen Banknachbar: Bei den TV-Redaktionen blieb schließlich alles hängen. Dr. Claudia Nothelle von der Programmdirektion des RBB stellte sich dem Vorwurf de Verhinderung von Pfarrgeschichten mit dem Hinweis, die Skepsis der Siebziger gegenüber der Kirche sei einer Gleichgültigkeit gewichen. Allzumal in einem Ost-West-Sendegebiet, in dem die Hälfte der Zuschauer nicht getauft ist, muss "jede Redaktion aufmerksam beobachten, wie sich die Wahrnehmung von Kirche verändert."
Ihre Frage, ob die betende Familie am Abendbrotstisch in der Vorabendserie überhaupt dechiffriert und dann entweder als Bild für Spießigkeit oder schon als eines für die "Bionade"-Advantgarde erkannt würde, hing noch eine Weile im Raum. Manch einer dachte vielleicht daran, dass die "Super Nanny" mit ihren Familien in Not auch immer Rituale einübt. Zum Beispiel das gemeinsame Abendbrot. Ohne Gebet. Noch.
Klaudia Wick ist freie Journalistin und Fernsehkritikerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin.