Am digitalen Pranger

Bastografie/photocase
Wer einmal im Internet bloßgestellt wurde, bekommt den Ruf nicht mehr los.
Am digitalen Pranger
Mit dem Outing eines mutmaßlichen Stalkers auf Facebook hat die Sportlerin Ariane Friedrich eine heftige Diskussion ausgelöst. War ihre Reaktion ethisch vertretbar? Die Tübinger Medienwissenschaftlerin Hanne Detel meint Nein.
27.04.2012
Barbara Schneider

Nachdem Hochspringerin Ariane Friedrich auf ihrer Facebook-Seite einen mutmaßlichen Stalker geoutet hat, haben zahlreiche Menschen den Like-Button unter dem Eintrag gedrückt. Sie auch?

Hanne Detel: Nein, denn ich sehe die Reaktion von Ariane Friedrich kritisch. Es ist zwar klar, der Mann hat etwas Verwerfliches getan, in meinen Augen stimmt aber die Verhältnismäßigkeit der Reaktion nicht.

Inwiefern?

Detel: Anlass und Effekt stehen in diesem Fall in keinem Verhältnis zueinander. Wären Name, Adresse und E-Mail-Text an einer Pinnwand aufgehängt worden, hätten nur ein paar Leute von dem Vorfall erfahren. Im digitalen Zeitalter ist das anders. Informationen lassen sich leicht kopieren und verbreiten, in andere Kontexte verschieben.

Die digitale Reputation ist dahin

Inzwischen hat Ariane Friedrich zwar ihre Facebook-Seite geschlossen, die Nachricht ist aber nach wie vor auf vielen anderen Seiten zugänglich, potenziell von aller Welt einsehbar. Hinzu kommt: Die digitale Reputation des Mannes ist dauerhaft geschädigt. Und noch ein Problem sehe ich: Es gibt etliche Männer mit dem gleichen Namen. Sucht man bei Google – wie das heute häufig beispielsweise vor dem ersten Date oder einem Bewerbungsgespräch passiert – taucht dieser Name immer im Zusammenhang mit dem Fall auf.

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Ist die Reaktion von Frau Friedrich denn nicht verständlich?

Detel: Ich denke, so würden viele Frauen, die belästigt werden, reagieren. Im digitalen Zeitalter muss man aber abwägen, was man veröffentlicht und was nicht. Fallstudien haben ergeben, dass viele Leute nicht ahnen, welche Konsequenzen solche Veröffentlichungen im Internet haben können.

Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie verhält es sich mit diesem Prinzip im Internet?

Das ist auf jeden Fall abzulehnen. Denn es besteht die Gefahr des Kontrollverlusts. Auch Ariane Friedrichs Veröffentlichung ist ja außer Kontrolle geraten. Sie hat damit gerechnet, eine schnelle Lösung für ihr Problem zu finden. Welche negativen Konsequenzen das Outing jedoch nach sich zog – auch für sie selbst –, war ihr vorher offenbar nicht klar.

Verdreht die aktuelle Diskussion nicht die Frage, wer ist Opfer, wer Täter?

Detel: Im aktuellen Fall kam es zu einer Skandalisierung des Outings. Sozusagen, zu einem Skandal im Skandal. Auf der einen Seite zielt die Empörung auf das, was der Mann gemacht hat. Auf der anderen Seite rückt jedoch die Frage in den Mittelpunkt: Ist es richtig, ihn zur Strafe an den digitalen Pranger zu stellen?

Wenn Sie einen Codex für Veröffentlichungen im Internet aufstellen würden, wie sähe der aus?

Detel: Heute hat jeder Mensch mit einem Internetzugang die Möglichkeit, im Internet zu publizieren. Jeder sollte daher lernen, empathisch abzuwägen, die Glaubwürdigkeit von Informationen einzuschätzen, Fakten zu überprüfen – also so zu handeln wie gute Journalisten auch. Das sollte eigentlich auch bei einer medienpädagogischen Erziehung an den Schulen vermittelt werden. Denn was wir in der Digital-Ära brauchen, ist eine Sensibilität dafür, was mit digitalen Daten passieren kann.