Kolumbianische Friedensdörfer wehren sich gegen Vertreibung

Kolumbianische Friedensdörfer wehren sich gegen Vertreibung
Die Schilder am Eingang des Dorfes sprechen für sich: "Waffen verboten". Der kleine Weiler La Unión in den Bergen der nordkolumbianischen Provinz Antioquia widersetzt sich dem Krieg.
04.12.2009
Von Jürgen Vogt

Im Kampf zwischen Regierung, Paramilitärs und Guerilla gehört Waffengewalt zum Alltag. Um dieser Gewalt, die nicht selten den Tod bedeutet, zu entkommen, sind nach UN-Schätzungen drei Millionen Kolumbianer auf der Flucht im eigenen Land. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der Vertriebenen sogar auf bis zu vier Millionen, das wären zehn Prozent der Bevölkerung. Sie stranden in den Elendsvierteln großer Städte und werden zu Opfern weiterer Gewalt von kriminellen Banden und Polizei.

Rückgang der Vertreibungen nicht in Sicht

Auch die Bewohner von La Unión mussten Mitte der 90er Jahre fliehen. Wie die Menschen der gesamten Region Urabá wurde ihnen unterstellt, die Guerilla zu unterstützen. Das machte sie zu Freiwild für Regierungstruppen und Paramilitärs. Im März 1997 taten sich mehrere Weiler zusammen und gründeten die "Friedensgemeinschaft San José de Apartadó". Ein Jahr später kehrten sie zurück. Auch von zwei weiteren Vertreibungen ließen sie sich nicht entmutigen.

Heute leben 48 Familien in La Unión, etwa 180 Menschen. Nur ein Pfad führt aus der Ebene in den hoch gelegenen Ort. Die 24 Kinder gehen in die staatliche Schule. Ansonsten ist der Staat in der Gegend nur in Form bewaffneter Soldaten präsent. Die aber werden im Gebiet der Friedensgemeinschaft zum Gehen aufgefordert.

Auch die Guerilla und die paramilitärischen Todesschwadronen agieren in der Region, ebenso wie organisierte kriminelle Banden. Obwohl es in Kolumbien 50 Friedensgemeinschaften gibt, ist ein Rückgang der Vertreibungen nicht in Sicht. Die Menschenrechtsorganisation CODHES schätzt, dass 2008 rund 380.000 Menschen vertrieben wurden. Nach 2002 mit 412.000 Vertreibungen ist das vergangene Jahr das schlimmste in der Geschichte des über 40 Jahre andauernden Bürgerkrieges. Selbst die Regierung von Präsident Álvaro Uribe gab inzwischen zu, dass 308.000 Anträge für die Anerkennung als Vertriebene für 2008 vorliegen.

"Neutralität ist unsere größte Waffe"

CODHES zufolge liegt der Hauptgrund dafür in der verstärkten Offensive der Streitkräfte vor allem im Süden des Landes. Zudem hat sich eine neue Generation von paramilitärischen Gruppen gebildet, die in mindesten 16 Provinzen des Landes operieren. Die Entwaffnung etlicher Einheiten durch die Regierung zeigt nicht die gewünschte Wirkung.

In San José de Apartadó versuchen sie sich dagegenzustellen. Die Grundregel der Friedensgemeinschaft ist absolute Neutralität und die Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit egal mit welcher Seite. "Die Neutralität ist unsere größte Waffe," sagt José Valdano (Name geändert). Andere Waffen werden nicht toleriert. San José gilt als Modell für kolumbianische Friedensdörfer. 2007 wurde die Gemeinschaft mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

Todesschwadronen richten Massaker an

Im Land selbst haben sie wenig Unterstützung. Internationale Aufmerksamkeit ist deshalb umso wichtiger. Seit 1998 wird die Gemeinschaft von Peace Brigades International (pbi) begleitet. Die Organisation ist seit 15 Jahren in Kolumbien präsent, derzeit mit rund 40 europäischen sowie nord- und südamerikanischen Freiwilligen. Sie begleiten gefährdete Menschen und Gemeinschaften und schützen sie durch ihre Anwesenheit. "Ohne die Begleitung der internationalen Beobachter wären wir in noch viel größerer Gefahr", ist José Valdano überzeugt.

Über 100 Menschen wurden in San José in den vergangenen Jahren von bewaffneten Gruppen ermordet, die meisten davon von Paramilitärs und Streitkräften. Wie am 8. Juli 2000, als Todesschwadronen in La Unión eindrangen und die Bewohner antreten ließen. Sie wählten sechs Personen aus und erschossen sie vor aller Augen. 2005 gab es ein weiteres Massaker in einem Nachbarort, bei dem acht Menschen, darunter drei Kinder, brutal ermordet wurden. "Das Leben im Konfliktgebiet ist schwierig, weil dich alle Seiten töten wollen", sagt Marta Riva (Name geändert). "Aber wenn wir hier nicht für unser Land kämpfen, warum sollen wir woanders kämpfen, wo wir nichts haben?"

epd