"Es ist eben nicht nur Spiel, es ist das Leben"

"Es ist eben nicht nur Spiel, es ist das Leben"
Der Tod von Robert Enke bewegt Deutschland und natürlich auch die Mitglieder der evangelisch.de-Community. Neben der Trauer um einen hervorragenden Torwart gibt es viele Fragen, die die Menschen beschäftigen: Wie steht es um den Umgang mit Depressionen in unserer Gesellschaft? Welchen Einfluss haben Leistungsdruck und Versagensängste?
12.11.2009
Von Sarika Dietermann

Die User der evangelisch.de-Community gehen einigen Fragen offen nach. Im Folgenden dokumentieren wir einige Beiträge.
 

Karl_Judge schreibt in seinem Blog von harten Urteilen der Fans und der Presse nach Niederlagen:

Mich bewegt der Tod von Robert Enke noch immer und auch wenn ich weiß, dass es an der Vergangenheit nichts ändert, möchte ich in der Trauer nicht stehenbleiben. 6 Jahre lang hat er unbemerkt gelitten unter der ständigen Angst, nicht gut genug zu sein. Natürlich kenne ich den Hauptgrund für seinen Selbstmord nicht, niemand tut das, aber viele kleine Begebenheiten, die wohl zu seinen Depressionen beigetragen haben, kommen nun ans Tageslicht. Das Beschmeißen mit Feuerzeugen und Flaschen aus der "eigenen" Fankurve in Istanbul. Die heftigen Worte von Teamkollegen, alleine Schuld an dem ein oder anderen Gegentor, an Niederlagen zu tragen, die doch das ganze Team eingefahren hat. Die unerbitterliche Presse - auch die Fans, die vielleicht leichtfertig dahinsagen, dass ein Spieler nichts taugt und ein anderer doch viel besser sei. Und hier will ich meinen Beitrag leisten, die zu schützen, die noch immer unter dem Geschäft Fußball leiden. Die aber - zum Glück - noch nicht so weit sind, wie Robert Enke. Die noch nicht so weit getrieben wurden. Von der eigenen Depression, aber auch von anderen Menschen.

Natürlich gehört Leistungsdruck zum Profisport. Natürlich suchen sich die Menschen diesen Beruf ja auch freiwillig aus. Natürlich werden sie für ihre Strapazen auch anständig entlohnt. Aber doch soll all das mir als Fan nicht das Recht geben, leichtfertig über Menschen zu urteilen. Ich habe mir schon oft das Recht genommen, zu sagen: Spieler xy ist ein Vollpfosten. Auch ich habe im Stadion gesungen, "wer auch immer: Hurensöhne."

Manche mögen sagen: "Emotionen, Agressivität..., das gehört doch zum Spiel." Ich werde den Vorsatz wohl auch ein ums andere Mal verfehlen, aber ab sofort will ich stumm bleiben bei diesen Gesängen und Gedanken. Will ich sagen, dass es für mich nicht dazugehört, Menschen zu beleidigen. Sie selbst machen sich doch schon am meisten Druck, dazu brauchen die Spieler solche Erniedrigungen nicht. Schon gar nicht von Menschen, die kein Stück besser sind.

Es ist eben nicht nur Spiel, es ist das Leben.

Von seinen eigenen Erfahrungen als Gesprächspartner am Sorgentelefon berichtet Enstin:

Ich bin traurig, daß der Nationaltorwart Enke seinem jungen Leben ein Ende gemacht hat. Ich weiß die näheren Umstände nicht, aber jeder Suizid ist einer zuviel. Ich glaube, ehe jemand Hand an sich legt, ruft er, manchmal unhörbar, um Hilfe. Jedenfalls gibt es Hinweise auf eine große Not und niemand ist da, der sie aufnehmen will oder kann.

Ich machte vor längerer Zeit regelmäßig Dienst an einem Sorgentelefon. Weit nach Mitternacht rief eine Frau an und eröffnete mir: Sie wolle nicht mehr leben. Sie habe wohl alles im Überfluß, aber ihr Mann benutze sie nur als Vorzeigestück. Der sei auf Reisen und komme bald zurück. Sie habe eine Überdosis Tabletten auf dem Nachttisch liegen und die wolle sie nun einnehmen. Sien wollte nur noch einmal kurz mit jemand reden, mit mir. Ich habe mich geweigert ihr zuzureden. Es entwickelte sich ein Gespräch, das über drei Stunden dauerte. Am Ende sagte sie mir, es sei nun zu spät für den Selbstmord, ihr Mann könne jeden Moment eintreffen. Nach einigen Tagen rief sie noch einmal an und bat, man solle mir ausrichten, es sei alles gut.

Ich war nach diesem Gespräch total fertig, ich werde es nicht vergessen. Auch ist mir klar, es ist natürlich nicht alles gut.

Nonconform bedauert in seinem Blog, dass Depressionen immer noch ein Tabuthema sind und fragt nach der Verantwortung der Gesellschaft:

Der Tod von Robert Enke macht mich sehr nachdenklich, denn in unserem Land sind Themen wie Krankheiten, beispielsweise Depression und Alkoholismus, Co-Abhängigkeit noch immer mit einem riesen Tabustempel versehen.

Menschen, die in ihrer Verzweiflung zu solchen Mitteln greifen, wie Suizid, Alkohol oder aber das *sich aufgeben* für andere, können Menschen immer mehr in Gefahr bringen.

Wo bleibt da in dieser Gesellschaft die Bereitschaft, wieder hinzusehen, was der Andere macht? Wo bleibt der Einzelne, der immer mehr in seiner Hilflosigkeit versinkt, keinen Ausweg mehr weiß, keine Hilfe findet, weil er als Penner auf der Bank, als die naive Person, die immer für alle anderen da ist, nur nicht für sich selbst oder aber eben als geisteskranker Mensch, der sich etwas einbildet, betitelt wird? Wie soll ein Mensch sich dort noch trauen, sich an andere zu wenden, um sich alles von der Seele zu reden????

Ich wünsche mir, dass sich dies bald ändert, die Menschen aufwachen!

Außerdem haben wir ein Gedenkbuch angelegt, in dem Sie Ihre Gedanken und Ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen können.