Eine Tasse Tee als Eisbrecher: Unterwegs mit dem Kältebus

Eine Tasse Tee als Eisbrecher: Unterwegs mit dem Kältebus
Peter Nordmann fährt den Kältebus der Stadt Frankfurt. Er versorgt Obdachlose mit Tee, warmen Decken und guten Worten und rettet so Menschen vor dem Erfrieren.
12.11.2009
Von Henrik Schmitz

Im Frankfurter Ostpark ist es dunkel. Die Wege sind vom Regen der letzten Tage aufgeweicht und nur wenige Straßenlaternen beleuchten den Weg zum Notquartier für Obdachlose, das die Stadt Frankfurt hier, direkt hinter einigen Bahngleisen, errichtet hat. Bis zu 140 Männer und Frauen kommen in weißen und blauen Wohncontainern unter. Auch ihre Tiere, meistens Hunde, dürfen sie mitbringen. Nur an wenige Regeln müssten sich die Obdachlosen halten, etwa was den Konsum von Drogen angeht.

Peter Nordmann steht an einem der Wohncontainer und schaut auf seine Uhr. Dann schwingt er sich in einen weiß lackierten Transporter. "Wir sind spät dran. Die Obdachlosen warten auf uns", sagt er, drückt aufs Gas und stellt das Radio ein. "Time After Time" dröhnt aus den Lautsprechern.

Nordmann fährt in dieser Nacht den Kältebus des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten. Gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Mosch ist er von 21 bis 5 Uhr in Frankfurt unterwegs, hält Ausschau nach Obdachlosen, bringt sie in Notunterkünfte und versorgt sie mit dem Nötigsten. Unzählige Menschen sind durch den Frankfurter Kältebus, den es seit 18 Jahren gibt, vor dem Erfrieren gerettet worden. "Wir kennen etwa 60 bis 70 Menschen, die trotz der Kälte in Frankfurt noch auf der Straße schlafen", sagt Nordmann. "Schätzungen gehen aber sogar von bis zu 300 aus."

"Ein Gruß vom Kältebus"

Über holprige Parkwege, begleitet nun vom "We are Sailing"-Gesang Rod Stewarts, geht es Richtung Frankfurter Innenstadt. Im Kofferraum des Transporters scheppern Teekannen, die Nordmann und Mosch zuvor für die Obdachlosen eingepackt haben. Auch warme Kleidung, Decken und Schlafsäcke haben sie immer dabei. Dazu einige Schokoladenriegel, auf denen ein gelber Zettel klebt. "Ein Gruß vom Kältebus. Wir sind für Sie da", steht darauf. Und die Aufforderung: "Rufen Sie uns an." Im Kältebus liegt stets ein Handy griffbereit. "Oft informieren uns auch Bürger, wenn sie irgendwo jemanden in der Kälte liegen sehen. Dann fahren wir natürlich sofort dorthin", sagt Nordmann.

Peter Nordmann ist ein "waschechter Frankfurter". Er kennt jeden Winkel der Stadt. Er weiß, wo Caterina Valente einst wohnte und wo das Revier "der Nitribitt", der 1957 ermordeten Luxusprostituierten, war. Vor allem aber weiß er, in welche Winkel sich die Obdachlosen nachts zurückziehen, um zu schlafen. "Mit der Zeit entwickelt man ein Auge dafür", sagt er. "Ich sehe Obdachlose, die ein normaler Bürger gar nicht sieht. Ein leerer Einkaufswagen, ein Stück Pappe auf dem Fußweg sind für mich deutliche Hinweise", sagt er. Seit mehreren Jahren fährt Nordmann nun schon Kältebus, und trotz der ungewöhnlichen Arbeitszeit freut er sich sogar jedes Jahr auf die Kältebussaison, die von Oktober bis März reicht. "Wenn ich Kältebus fahre, habe ich den direkten Kontakt zu den Menschen, ohne den Verwaltungskram. Das ist Sozialarbeit pur", sagt Nordmann. "Welcome to the Hotel California", schallt es aus dem Radio.

Der Transporter fährt durch die Frankfurter Innenstadt. Es ist 21 Uhr, und draußen sind es etwa drei Grad. Am Hauptbahnhof macht der Transporter Station. "Wir stehen immer zu bestimmen Zeiten an festen Plätzen", erklärt Nordmann. "Die Obdachlosen wissen das und können sich dann bei uns einen Tee holen, sich mit Schlafzeug eindecken oder in eine Unterkunft gebracht werden, wenn sie es wollen." Der Tee diene dabei nicht allein dazu, die Obdachlosen zu wärmen, er sei vor allem auch ein Weg, um Kontakt aufzubauen und Vertrauen zu gewinnen. "Über den Tee kommen wir ins Gespräch und haben so die Chance, an die Leute ranzukommen und ihnen zu helfen."

Fahrt zur Notunterkunft

Heute ist wenig los am Bahnhof. Nur drei Obdachlose, zwei Frauen und ein Mann, kommen an den Bus. Andreas Mosch schenkt Ihnen einen Tee ein, den die drei gern annehmen. Als Peter Nordmann den Transporter gerade gestartet hat, winkt noch ein Mann mit dunklen Haaren vom Straßenrand. Nordmann kurbelt das Fenster runter und fragt den Mann, ob er ihn in die Unterkunft in den Ostpark bringen soll. Da der Mann kaum deutsch spricht, fällt die Verständigung schwer, doch schließlich steigt er in den Transporter. Über sein Handy verständigt Nordmann die Notunterkunft: "Ich bringe euch jemanden." Phil Collins singt "Jesus He Knows Me".

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Nach dem Abstecher zur Notunterkunft geht es zur U-Bahn-Station Hauptwache, mitten in der Innenstadt. Hier, in der beheizten sogenannten B-Ebene der Station, schlafen in den kälteren Monaten des Jahres die meisten Obdachlosen in Frankfurt. Auch Joachim (Name geändert). Bis vor kurzem hatte er seinen Platz eigentlich vor einer Apotheke in der Nähe der U-Bahn-Station, aber die Stadtverwaltung habe dies nun verboten, sagt er und fährt sich mit der Hand durch den rötlich-grauen Bart. Warum er auf der Straße gelandet ist? "Eigene Blödheit", sagt Joachim nur. Wie die meisten Obdachlosen an diesem Abend redet er nicht gern über seine eigene Vergangenheit.

Peter Nordmann dreht eine kleine Runde durch die U-Bahn-Station. Es ist jetzt 22.30 Uhr, und hier und dort haben sich bereits einige Obdachlose zum Schlafen gelegt. Nordmann geht auf einen Mann zu, der nur mit einer schwarzen Jeans und einer schwarzen Lederjacke bekleidet in einer Ecke liegt. "Haben Sie keine Decke?", fragt er den Mann. "Ich brauche keine", erwidert der. Aber Nordmann verspricht trotzdem, eine Decke mitzubringen, wenn er um zwei Uhr nochmals in die B-Ebene kommt.

Zwei Flaschen Likör

Auf dem Platz über der U-Bahn-Station geht es inzwischen hoch her. Ein Obdachloser hält zwei Flaschen Likör und sitzt auf dem Boden. Um ihn herum rennt ein Mann im Anzug und roter Krawatte und versucht, einen kräftigen Schluck aus einer Flasche Cocktailsoße zu nehmen, was ihm allerdings nicht gelingt. "Den da kenn ich", sagt Nordmann und deutet auf den Mann, der am Boden sitzt. "Er ist taubstumm und hat auch schon in der Notunterkunft im Ostpark gelebt. Leider ist er dort handgreiflich geworden und kann dort nicht mehr übernachten." Der Mann im Anzug ist hingegen offensichtlich nicht obdachlos und hat wohl nur bei dem Fest, das am Abend an der Hauptwache stattgefunden hat, ein wenig zu tief ins Glas geschaut.

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Um den Taubstummen macht sich Nordmann daher mehr Sorgen. "Der erfriert uns, wenn wir ihn hier auf der Straße lassen in dem Zustand. Ins Quartier können wir ihn aber auch nicht bringen." Nordmann beschließt, einen Krankenwagen zu rufen, um den Obdachlosen zur Ausnüchterung in ein Krankenhaus zu bringen. Nach etwa 15 Minuten übernehmen zwei Sanitäter den "Fall", und Nordmann und Mosch können weiterfahren. "Seems It Never Rains in Southern California."

Die Fahrt geht weiter durch die Innenstadt, vorbei an den Bankentürmen Frankfurts. Mit einer Taschenlampe leuchtet Nordmann hier und da den Straßenrand ab, stets auf der Suche nach Obdachlosen, die versorgt werden müssen. Für viele von ihnen hat er inzwischen Spitznamen. "Dort liegt normalerweise der Michelin-Mann", sagt Nordmann und deutet auf einen Hauseingang. Aber der Michelin-Mann ist heute nicht da.

Herr R. duscht

Ganz anders Herr R. Ihn kennt Nordmann seit über zwölf Jahren. Seinen Platz hat Herr R. in einem kleinen Park. "Ich habe eine kleine Plane und meinen Schlafsack. Das reicht mir", sagt er und nimmt einen großen Schluck von dem Tee, den Andreas Mosch ihm gereicht hat. Dann nimmt er hinten im Transporter Platz, um in den Ostpark zu fahren. Übernachten möchte er dort nicht, nur duschen, was er wohl nur gelegentlich tut. Ein modrig süßer Geruch zieht durch den Transporter, auch als Herr R. längst nicht mehr im Wagen sitzt. "Früher hat er nur einmal im Jahr geduscht, inzwischen habe ich ihn so weit, dass er alle 14 Tage duscht", sagt Peter Nordmann. "Und ich kriege ihn auch noch so weit, dass er es einmal die Woche macht!" Derweil singt Herbert Grönemeyer: "Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet."

Die Tour geht weiter. Vorbei am Frankfurter Straßenstrich geht es auf die Autobahn in den Stadtteil Höchst. Längst ist es nach Mitternacht, aber Peter Nordmann und Andreas Mosch sind nicht müde. "Wir können tagsüber wunderbar schlafen", sagen beide. In Höchst kontrollieren sie einige Toilettenhäuschen, wo sich ebenfalls Obdachlose aufhalten, die wiederum mit Tee und Schokoriegel versorgt werden. Danach fährt Nordmann zur Uniklinik und nimmt dort einen Obdachlosen auf, der einen anderen Obdachlosen dorthin begleitet hatte und nun wieder in die Notunterkunft im Ostpark zurück will.

Gegen 2 Uhr - diesmal singt Rod Stewart "Baby Jane" - fahren Nordmann und Mosch nochmals zur Hauptwache. Die B-Ebene hat sich nun mit Obdachlosen gefüllt, die bei inzwischen nur noch einem Grad nicht draußen schlafen möchten. 18 Männer und sieben Frauen haben heute in der U-Bahn-Station Quartier bezogen. Sie verbringen die Nacht wenigstens einigermaßen warm. Peter Nordmann und Alexander Mosch fahren noch bis fünf Uhr weiter durch die eisige Nacht. Stets Ausschau haltend nach Menschen, die es vor dem Kältetod zu retten gilt.


Henrik Schmitz ist Redakteur für Kultur und Medien bei evangelisch.de.