Journalisten und Politiker in Kontroverse über Twitter

Journalisten und Politiker in Kontroverse über Twitter
Beim Mainzer Mediendisput wurde heftig diskutiert: Journalisten fürchteten den Kontrollverlust, hieß es auf der einen Seite, die andere bezeichnete twitternde Politiker als Kokolores. Auch die Zukunftsfähigkeit des Berufsstandes Journalist wie des klassischen Qualitätsjournalismus' im Allgemeinen beurteilten die Diskutanten uneinheitlich.

Journalisten fürchten nach Ansicht des schleswig-holsteinischen SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner einen Kontrollverlust, wenn Politiker neue Medien wie Twitter nutzen, um direkt mit den Menschen zu kommunizieren. "Das bringt Unruhe ins System", sagte Stegner am Dienstag beim Mainzer Mediendisput. Politiker könnten so über das Internet Themen setzen, die ihrer Ansicht nach in den Medien nicht genug Aufmerksamkeit finden.

Stegner verteidigte seine teilweise auch unpolitische Aktivität im Netz. Wenn man die dortigen Möglichkeiten nicht nutze, werde man von einem Teil der Wähler nicht mehr wahrgenommen. Die Leiterin der Innenpolitikredaktion des ZDF, Bettina Schausten, erwiderte, Politiker dürften sich über derartige Mediennutzung keinen falschen Anstrich von Jugendlichkeit und Bürgernähe geben, sonst würden sie unglaubwürdig. Der Chefreporter des "Berliner Kurier", Sascha Langenbach, stimmte ihr zu. Die Twitternachrichten von Politikern seien "totaler Kokolores", sagte er.

Beck twittert auch

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) nutzt die Möglichkeiten von Twitter und den sozialen Netzwerken, um "den Kontakt zu den jungen leuten zu behalten", sagte er laut Pressemitteilung der Staatskanzlei. Er nutze Twitter seit einigen Tagen. Die Netzwerke könnten das journalistische Angebot nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. „Deshalb brauchen wir gut ausgebildete Journalisten als Mittler und Brückenbauer", teilte er mit.

Bettina Schausten vom ZDF forderte, die Medien müssten gegenüber der Politik auch weiterhin Themen setzen: "Entgegen der Meinung mancher stellen öffentlich-rechtliche Sender den Politikern nicht nur Sendezeit zur Verfügung." Viele Politiker nähmen aber nicht mehr so gern an härteren Talk-Formaten teil, sagte Schausten.

Beck hat sich beim Mediendisput außerdem für eine Kennzeichnungspflicht von Internetangeboten ausgesprochen. Für den Nutzer müsse klar sein, wem ein Internetportal gehöre, sagte er. Nutzer dürften nicht dem Trugschluss verfallen, das Internet sei eine freie Zone ohne wirtschaftliche Interessen. Zugleich forderte Beck, Journalisten benötigten neben guter Ausbildung und angemessener Bezahlung auch Zeit für ihre Recherchen: "Das Internet ist kein Grund zu sagen: Wir brauchen keinen Qualitätsjournalismus mehr."

Geschäftsmodell dem Tode geweiht

Der Berliner Medienwissenschaftler Stephan Weichert rechnet dagegen damit, dass es in absehbarer Zeit keine herkömmlichen Berufsjournalisten mehr geben wird. "Ein Markt für Qualitätsjournalismus wird noch zehn Jahre lang existieren", sagte er. Für Journalisten gebe es keine Existenzgarantie. Parallel zum Abstieg der herkömmlichen Medien erwartet Weichert eine Professionalisierung der Internet-Blogs.

Für Journalisten könne die Arbeit künftig darin bestehen, auf eigenen Internetplattformen Inhalte zu publizieren und damit auch Einkünfte zu erzielen. In den USA gebe es bereits erste Ansätze dafür, sagte Weichert. Er warb um Verständnis für Medienunternehmen, die ihre Mitarbeiter zu schlechten Bedingungen beschäftigen. Nicht nur Journalisten, sondern auch Verlage hätten Zukunftsangst: "Auch die Verleger wissen, dass ihr Geschäftsmodell dem Tode geweiht ist."

Kritik am Selbstverständnis der Medien

Gerhard Manthey von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di übte scharfe Kritik an der Honorarpolitik der Verlage. Selbst in wirtschaftlich guten Zeiten seien nur die Gewinne, aber nicht die Honorare gestiegen. "Viele freie Kollegen arbeiten auf Hartz-IV-Niveau", sagte Manthey. Besonders "unsittlich" sei die inzwischen weit verbreitete Forderung an freie Mitarbeiter, bei Presseterminen nicht nur zu berichten, sondern auch Anzeigen anzuwerben.

Die Parlamentsredakteurin der "tageszeitung", Ulrike Winkelmann, übte Kritik am Selbstverständnis vieler Qualitätsmedien. Gerade in Berlin sei es auch bei Journalisten überregionaler Medien weit verbreitet, voneinander abzuschreiben und viele Leitthesen der politischen Akteure nicht ernsthaft zu hinterfragen.

Beim 14. Mainzer Mediendisput diskutierten am Montag und Dienstag gut 500 Teilnehmer aktuelle Themen der Medienbranche. Veranstalter der Tagung sind das Land Rheinland-Pfalz, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die rheinland-pfälzische Landeszentrale für Medien und Kommunikation. Medienpartner sind das ZDF und der SWR.


Twitterlinks: Kurt Beck, Ralf Stegner

epd/evangelisch.de