Merkel will Deutschland aus düsteren Zeiten führen

Merkel will Deutschland aus düsteren Zeiten führen
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) trägt Schwarz und malt zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit erst einmal ein düsteres Bild. In ihrer Regierungserklärungspricht sie im Bundestag bittere Wahrheiten an. Merkels Worte markieren den Startschuss zur 17. Wahlperiode.
10.11.2009
Von Gerd Reuter und Basil Wegener

Premieren stehen vor dem voll besetzten Plenum an. Erstmals greift Ex-Vizekanzler und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier als SPD-Fraktionschef aus der Opposition in die Debatte ein. Auch FDP-Kollegin Birgit Homburger betritt bei ihren Ausführungen Neuland als Vorsitzende ihrer Fraktion.

Merkel vermeidet in ihrer knapp einstündigen Rede Pathos, ihre Ausführungen sind eher ernüchternd: "Die volle Wucht der Auswirkungen der Krise wird uns im nächsten Jahr erreichen. (...) Die Arbeitslosigkeit wird steigen", prophezeit sie. Die Probleme würden größer, bevor es wieder besser gehen kann. Weltweit würden die Karten als Folge der globalen Finanzkrise neu gemischt.

"Wachstum zu schaffen ist das Ziel"

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Sie hat aber auch Hoffnung parat: "Wir können scheitern, oder wir können es schaffen. Beides ist möglich. Ich will, und wir wollen, dass wir es schaffen. (...) In diesem Land steckt viel." Merkel gibt sich als kraftvolle Steuerfrau. Schulden jetzt in der Krise milliardenfach auszugleichen, das wäre der falsche Weg, rechnet sie vor. "Wachstum zu schaffen, das ist das Ziel unserer Regierung." Nach etwa 15 Minuten entlädt sich ihr Unmut über den Opel-Mutterkonzern General Motors, und sie mahnt ein überzeugendes Sanierungskonzept an.

Die Oppositionsparteien fangen an, unruhig zu werden, als Merkel von Entlastungen für die Bürger spricht. "Die Bundesregierung setzt auf Wachstum, um Deutschland zu neuer Stärke zu führen." Und: Jeder könne Deutschland besser machen - das schließe die Opposition ein, sagt Merkel unter höhnischem Gelächter von Linksfraktion, Grünen und der SPD.

Schulden jetzt in der Krise milliardenfach ausgleichen, das wäre der falsche Weg, rechnet Merkel vor: Um aber das im kommenden Jahr erwartete Defizit im Bundesetat von 86 Milliarden Euro auszugleichen, "müssten wir die größte Kürzungs- und Streichungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland starten". Dies sei in der Krise keine Lösung. Und deshalb werden wir auch im Jahr 2011 noch einmal einen weiteren Wachstumsimpuls setzen, und zwar in Form von Einkommensteuersenkungen", sagte Merkel. "Diesen Impuls werden wir auch dazu nutzen, um strukturelle, langfristige Veränderungen im Steuersystem vorzunehmen."

"Wachstumsbeschleunigungsgesetz" kommt Eltern zugute

Weiter verteidigte die Kanzlerin die Reformpläne in der Gesundheitspolitik; kündigte Betreuungsgeld und das Verbot sittenwidriger Löhne an; sagte zu, das Kurzarbeitergeld erneut zu verlängern und kündigte an, zum UN-Klimagipfel zu reisen: Die Krise dürfe keine Ausrede für den Umweltschutz sein. (Mehr zu den Inhalten von Merkels Rede im Artikel Regierungserklärung von A bis Z.)

Zudem bat Merkel den Bundestag um Unterstützung für den engen Zeitplan, um das geplante "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" rasch beschließen zu können. Dieses hatte das Bundeskabinett am Montag auf den Weg gebracht. Es sieht ab 2010 Steuerentlastungen von bis zu 8,5 Milliarden Euro jährlich vor - vor allem für Eltern, aber auch für Unternehmen und Erben. Dieser erste Steuerschritt von Union und FDP soll noch vor Weihnachten endgültig beschlossen werden. Damit würde der jährliche Kinderfreibetrag von 6.024 auf 7.008 Euro angehoben und das monatliche Kindergeld soll um 20 Euro je Kind erhöht werden. Zudem sollen auch Hotels, Pensionen oder Gasthöfe für Übernachtungen statt 19 Prozent Mehrwertsteuer nur noch sieben Prozent zahlen. Für Firmen sind weitere Steuersenkungen von fast 2,4 Milliarden Euro geplant - dafür werden die Unternehmenssteuerreform von 2008 korrigiert und Geschwister, Nichten und Neffen bei der Erbschaftsteuer entlastet.

Steinmeier als Rebell am Rednerpult

An das Bild der einstigen Regierungspartei SPD wird man sich im Plenum erst gewöhnen müssen. Nur noch drei Plätze in der ersten Reihe - links Steinmeier, rechts der nur noch wenige Tage amtierende Parteichef Franz Müntefering, dazwischen Geschäftsführer Thomas Oppermann. Die ehemaligen SPD-Minister sind auf die hinteren Reihen verteilt. Steinmeier setzt zu seiner Jungfernrede als Fraktionschef an und gibt den Rebell am Rednerpult.

Das selbst ernannte Traumpaar Merkel/Westerwelle werde zum "Traumtänzerpaar". Steinmeier dreht sich in Richtung seiner einstigen Weggefährtin Merkel und spricht von "ökonomischer Geisterfahrerei", "Spaltung", "Verrat an den Familien" oder "Salto rückwärts". Zu Westerwelle, seinem Nachfolger im Außenamt, sagt Steinmeier: Ämter würden Menschen verändern, aber was Westerwelle in Sachen Steuerpolitik vor der Wahl erzählt habe und was er jetzt umsetzen müsse, sei eine "Mutation in Lichtgeschwindigkeit".

"Aufguss statt Neuanfang"

Der Auftritt der neuen FDP-Fraktionschefin Homburger wird als nicht spektakulär empfunden. Sie referiert den Koalitionsvertrag. Der Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, wirft Merkel vor, die Regierung habe keine Lösungsansätze und rede über die Köpfe der Menschen hinweg.

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Tief greift Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin in die Rhetorik-Kiste. Merkels zweite Regierung sei kein Neuanfang, sondern ein Aufguss. Schwarz-Gelb vertrete ausschließlich die Interessen der Bourgeoisie, und dieses wohlhabende Bürgertum sei der einzige Gewinner christlich-liberaler Regierungspolitik. Trittin vergleicht Merkels Politik mit einem Zug: Dieser werde von Kohle und Atomkraft angetrieben, und während in der 1. Klasse kostenlos Cocktails serviert würden, würden die letzten Wagen abgehängt und in der zweiten Klasse die Heizungen abgestellt.

Wachstum und Stärke gegen Spaltung und Kälte - das dürfte bis auf Weiteres der Grundton beim Schlagabtausch zwischen Schwarz-Gelben, Roten, Dunkelroten und Grünen bleiben.

dpa