Störungen im Betriebsablauf (Folge 5)

Störungen im Betriebsablauf (Folge 5)
Unsere Kolumnistin Ursula Ott ist viel unterwegs. Meistens mit der Bahn. Und da meistens im ICE. Über das, was ihr dort passiert, was sie hört und sieht, schreibt sie. Und nein, es ist nicht immer die Bahn schuld.
27.10.2009
Von Ursula Ott

Meine Woche vom 26. bis 30. Oktober

Sonntag

Na toll. Da war man eine Woche in Urlaub, hat sich bei 28 Grad die kanarische Sonne auf den Pelz scheinen lassen und den Großraumwagen mit dem Speisesaal der Ferienanlage Iberostar vertauscht – und was passiert? Der Frankfurter Hauptbahnhof hat direkt auf Winter umgeschaltet, Sport Scheck stellt seine überdimensionierten Snowboards und Skihelme zur Schau. Ist es schon wieder soweit? Dabei herrschen auch in Frankfurt noch spätsommerliche 15 Grad. Das ist allerdings auch wieder egal, denn die Protestantin ist diese Woche gar nicht so mobil, sondern hockt relativ immobil in einem fensterlosen Kongress-Saal des Maritim-Hotels in Ulm. EKD-Synode, der Höhepunkt des organisierten Protestantentums. Bischof Huber hält seine letzte Rede, und alle Journalisten sind gekommen. Pressetribüne rappelvoll. Vielleicht hätte ich wie auf Lanzarote mein Handtuch rechtzeitig auf den besten Tribünenplatz legen sollen?

Montag

So eine Synode ist ohne Deutsche Bahn gar nicht denkbar. Die Synodalen reisen selbstverständlich mit der Bahn an, bis auf die Landesbischöfe, für die gibt’s Dienstwagen mit Fahrer. Viele Redebeiträge beginnen mit den Worten "Eine ICE-Stunde von Ulm entfernt" – die Bahn ist eindeutig das Verkehrsmittel des Protestanten. Und das ist gut so, wegen der Umwelt und überhaupt. Den Adam-und-Eva-Preis für unberührte Paradiese werden sie trotzdem nicht kriegen, die Synodalen - der CO2 Fußabdruck ist enorm. So viel Papier! Noch mehr Papier! Gleich am Eingang zur Synode liegen zentimeterdicke Stapel aus kopiertem Papier: Haushaltsentwürfe. Ausschussberichte. Rechenschaftsberichte. Und daneben gleich eine große Piraten-Schatztruhe, in die man das graue Papier entsorgen kann. Ob das der Bewahrung der Schöpfung dient?

Mittwoch

Frau Käßmann gewählt, die Kolumnistin ist zufrieden. Mit dem guten Gefühl, heute gleich zwei Chefinnen gekriegt zu haben, eine Kanzlerin und eine Ratsvorsitzende, steigt sie in den ICE zurück nach Frankfurt. Siehe da, es gibt noch ein Leben außerhalb der Synode, man vergisst das zuweilen, wenn man 14 Stunden in einem protestantischen Kongresszentrum hockt. Im Pendlerzug zurück nach Frankfurt zwei Drittel Männer, da kann es noch so viele Bischöfinnen und Kanzlerinnen mit lila Pashmina-Schals geben, die Wirtschaft ist überwiegend grau und blau und krawattig. Die Wirtschaft? Vier junge Männer in Anzug und Krawatte pflegen den üblichen Smalltalk im Abteil. Wo fahren Sie hin? Meeting, Non-Issues, Projektziele. Bis einer von den vieren sagt: Ich fahr ins Jobcenter nach Heidelberg, meine Firma hat dicht gemacht. Kurzes peinliches Schweigen. Die andern drei steigen in Mannheim aus, raffen eilig ihre Laptops und lassen den vierten mit einem "viel Glück bei der Suche" zurück. Arbeitslosigkeit ist ein komisches Thema im Zug. Man wird es jetzt öfter hören.

Donnerstag

Vier Stunden im ICE von Köln nach Berlin, so lange hält der Akku von meinem Laptop nicht durch. Kurz nach Bielefeld will ich mein Ladegerät in die ICE-Steckdose stecken und scheitere an einem kleinen Plastikteil. "Kindersicherung" herrscht mich die Schaffnerin an. Ist das hier ein Kinderhort? Muss die mit mir per infantilem Ein-Wort-Satz kommunizieren? Und ist das nicht reichlich übertrieben, eine Kindersicherung für die paar Kinder im Zug, die zudem äußerst selten ihre Powerpoint-Präsentation am Vierer-Klapptisch vorbereiten? Vier Stunden später bin ich ganz kleinlaut. Wir sitzen in Berlin für ein "chrismon"-Interview dem Leiter der Berliner Rechtsmedizin gegenüber, der den ganzen Tag nichts macht als Unfall- und Mordoper aufzuschneiden. Und was ist einer der häufigsten Unfälle? Kinder, die im Wasser ertrinken oder mit einem Nagel in eine ungesicherte Steckdose fassen. Zwar nicht im ICE, aber ich muss zugeben: Es ist ok mit den Plastikteilen.

Freitag

6.30, Morgenandacht im Deutschlandfunk. Hallo wach, was ist das denn, "als evangelische Staatsbürgerin gleich zwei Chefinnen bekommen", das ist doch mein eigener Kommentar vom Mittwoch? Das ist ja schön, dass die Pastorin der Verkündigungs-Sendung das neue Medium evangelisch.de so aufmerksam liest. Spart eigenen Hirnschmalz, und heute ist ja Weltspartag. Drum gibt’s am Kölner Hauptbahnhof auch Geschenke: Papiertüten mit Apfel, Kuli, zwei Sudokus und einem Sparangebot der Bahn. Die Bahnreisenden stürzen sich auf die Apfel-Tüten, als seien sie kurz vorm Verhungern. Und da sich ja offenbar kaum einer gegen die Schweinegrippe impfen lassen will, kann Vitamin C nichts schaden am zugigen Bahngleis. Lasst uns alle zusammen einen roten Apfel essen. Wenigstens eine Ahnung von Paradies. Schönes Wochenende!


 

Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de

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